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„Bedingungsloses Grundeinkommen jetzt!“ steht bei der Auftaktkundgebung einer Demonstration für ein bedingungsloses Grundeinkommen auf dem Alexanderplatz auf einem Banner geschrieben
  • Das bedingungslose Grundeinkommen ist gerade in der Corona-Zeit wieder viel diskutiert worden – und wird in einigen Pilotprojekten bereits getestet.
  • Foto: picture alliance/dpa/Christoph Soeder

1000 Euro für alle! Darum hält ein Hamburger Ökonom das für die Zukunft

Der Ökonom Thomas Straubhaar von der Uni Hamburg schlägt ein monatliches Grundeinkommen für alle vor und will dafür alle anderen Leistungen streichen. Im MOPO-Interview erklärt er, wieso er das für finanzierbar hält und warum der alte Sozialstaat ungerecht und eh am Ende ist.

MOPO: Herr Straubhaar, als ich Ihr neues Buch „Grundeinkommen Jetzt“ zur Seite legte, hatte ich eine Mischung aus Christian Lindner und Karl Marx im Kopf, die allen fortan jeden Monat 1000 Euro schenken. So stellen Sie sich also die Zukunft vor?

Thomas Straubhaar: Warum nicht? Ich finde Ihre Verknüpfung gar nicht so verkehrt. Es können in einem Menschen, in einem Buch und in der sozialen Marktwirtschaft eben beide Seiten schlummern: eine freiheitlich und eine soziale Seite. Das schließt sich nicht aus.

Beim bedingungslosen Grundeinkommen, das Sie vorschlagen, bekommt ein Professor wie Sie genauso viel Geld vom Staat überwiesen wie ein Arbeitsloser. Was ist daran liberal oder sozial?

Da könnten Sie ja genauso fragen: Was braucht jetzt das Kind eines Professors Kindergeld? Genauso muss man sich das Grundeinkommen vorstellen: Wie ein Kindergeld, das nur nicht durch eine völlig willkürlich gesetzte Altersgrenze beendet wird.

Warum sollte die Gesellschaft derart in Vorleistung gehen?

Im Vertrauen darauf, dass Menschen einen Vertrauensvorschuss in aller Regel nicht missbrauchen, sondern das Fördergeld nutzen, um etwas Sinnvolles zu tun und den Vorschuss dann später in Form von Steuern zurückzubezahlen. Und das Kindergeld hat sich so bewährt, dass ich wirklich nicht verstehe, warum man das nicht zu einer generellen Lösung für alle und immer macht. Eben nicht: fordern und fördern, wie es das jetzige Sozialsystem tut, sondern andersherum: fördern und fordern.

Aber ist es eher nicht so, dass niemand mehr irgendwas macht, wenn es einfach so Geld vom Staat gibt?

Es wird immer Müßiggänger geben. Es wird immer Menschen geben, die nicht wollen, die gegen das System arbeiten, die Steuern hinterziehen, oder gar Betrüger sind, die kriminell werden.

Der Ökonom und Migrationsforscher Thomas Straubhaar lehrt an der Hamburger Uni und schlägt ein lebenslanges Kindergeld für Erwachsene vor. picture alliance / Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/ZB | Jens Kalaene
Thomas Straubhaar
Der Ökonom Thomas Straubhaar ist Professor für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Uni Hamburg und schlägt in seinem neuen Buch „Grundeinkommen jetzt! Nur so ist die Marktwirtschaft zu retten“ eine Art lebenslanges Kindergeld für Erwachsene vor.

Aber?

Mein Punkt ist: Wir haben uns die letzten 50 Jahre – und mit den Hartz IV-Gesetzen maximal – darum gekümmert, mit ökonomischen Zwangsinstrumenten, Menschen dazu zu bringen, etwas zu tun, was sie weder können noch wollen. Daran ist fast die Sozialdemokratie zugrunde gegangen. Meine Perspektive ist, denen eine Chance zu geben, die wollen, aber aus finanziellen Gründen nicht können. Zwang ist weder bei Marx noch bei Lindner ein Instrument, das Erfolg hat. Eigentlich wissen das auch alle.

Warum wird daran festgehalten?

Weil das Prinzip „fordern und fördern“ in der christlichen Sozialethik ein tief verwurzeltes Arbeitsethos ist. Das ist weitergegeben worden von Generation zu Generation und prägt unser ganzes Denken und Sein. Wir sind überzeugt: Nur wer viel arbeitet, hat auch soziale Unterstützung verdient.

Wie soll sich eine so geprägte Gesellschaft darauf einlassen, dass jeder einfach so jeden Monat 1000 Euro bekommt?

Weil Arbeit im 21. Jahrhundert einen ganz anderen Charakter haben wird als Arbeit im 19. Jahrhundert, als dieses Arbeitsethos unser Sozialsystem mit Bismarck und seinen Nachfolgen geprägt hat.

Und welchen?

Da kommt wieder Marx, der gesagt hat, dass es doch Ziel einer Gesellschaft sein muss, Zwangsarbeit, die man nicht aus innerer Motivation tut, abzuschaffen. Eigentlich müsste Arbeitslosigkeit der größte Erfolg einer Gesellschaft sein. Heute haben wir eine wachsende Chance, das auch realisieren zu können, weil es für viele sogenannte Bullshit-Jobs technologische Lösungen gibt.

Das klingt nach einer reinen Utopie.

Ist es nicht. Wir können heute nicht mehr sagen, jetzt ist die Jugendzeit abgeschlossen und ab sofort beginnt das Arbeitsleben. Es wird künftig immer Zeiten geben, in denen es Brüche geben wird, die ein Weiter so wie bisher verhindern. Viele Studierende sagen mir, dass sie das Gefühl haben, im Grundeinkommen erstmals ein System zu sehen, das mit ihrer eigenen Lebenswirklichkeit umgeht. Und damit meine ich nicht, dass die alle per se davon begeistert sind. Aber sie sehen, dass unser jetziges Modell längst pleite ist. Das wird nur dadurch übertüncht, dass der Staat die Sozialversicherungssysteme schon zu einem Drittel aus Steuermitteln und nicht aus Abgaben finanziert, wie es eigentlich sein sollte.

Und das Grundeinkommen? Wer zahlt das?

Es braucht ungefähr 1000 Milliarden Euro, also eine Billion, um 83,1 Millionen Deutschen (das ist der aktuelle Bevölkerungsstand) 12.000 Euro im Jahr zu geben. Und es einfach falsch und selbstentlarvend, wenn gesagt wird, dass das nicht finanzierbar sei. Für den Staat ist das nämlich ein Nullsummenspiel: Er nimmt zwar zunächst mit der einen Hand höhere Steuern von einer Billion Euro ein. Aber er gibt diese Billion Euro gleichzeitig vollumfänglich mit der anderen Hand als Grundeinkommen an die Bürgerinnen und Bürger zurück.

Sie schlagen 50 Prozent für alle vor, Steuern zahlt man ab einem Jahresbruttoeinkommen von 24.000 Euro.

Genau. Und nicht vergessen: Man muss keine Sozialabgaben mehr abdrücken. Da freuen sich die kleineren Einkommen. Wer kein eigenes Einkommen hat, zahlt auch keine Steuern, behält also sein Grundeinkommen von 1000 Euro im Monat. Wer 3000 Euro im Monat verdient, hat netto 2500 Euro zur Verfügung und zahlt demzufolge netto 500 Euro Steuern. Bei 6000 Euro hat man 4000 Euro und zahlt netto 2000 Euro Steuern und so weiter. Somit wird auch klar, dass wer mehr verdient netto auch mehr Steuern zahlt.

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In Hamburg wird schon von einer unerwünschten Sogwirkung gesprochen, wenn es um das Winternotprogramm für wohnungslose Menschen geht, das angeblich Menschen aus Osteuropa in die Stadt lockt. Wie soll das aussehen, wenn in Deutschland jeder monatlich 1000 Euro bekommt?

Wer in Deutschland leben und wohnen und arbeiten darf, ist eine Frage, die wir über Zuwanderungsrecht, Einwanderungsrecht, Aufenthaltsrecht klären müssen. Das hat mit dem Grundeinkommen rein gar nichts zu tun. Aber natürlich wird der Zuwanderungsdruck nach Deutschland damit noch größer, vor allem eben auch gerade wegen des Grundeinkommens, das Deutschlands Wohlstand weiter beflügeln wird.

Wer profitiert am meisten vom Grundeinkommen?

Junge und Frauen. Denn die Einkommenseinbußen der Frauen gegenüber den Männern werden heutzutage durch unseren paternalistischen Sozialstaat nicht abgebaut, sondern gefördert. Altersarmut ist weiblich. Die jungen Menschen wiederum werden vom Sozialstaat benachteiligt, sind noch dazu die großen Verlierer der Pandemie. Unser System kann man also nicht als ausgeglichen und gerecht bezeichnen. Das können doch eigentlich nur Männer oder Ältere als Zukunftsmodell propagieren.

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