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„Es reicht mit den Alleingängen”: Politikerin fordert einen Corona-Rat für Hamburg

Sperrstunde, Maskenpflicht, eingeschränkte Feiern – seitdem die Neuinfektionen mit dem Coronavirus in Hamburg wieder ansteigen, hat der Senat viele Regeln verschärft. Die Hamburger Linke kritisiert die Entscheidungsmacht des Senats. Sie fordert mehr Teilhabe an den Regeländerungen für die Bürgerschaft, Experten und andere Organisationen.

Ein Hamburger Corona-Rat muss her, zumindest wenn es nach der Linken geht. Neben Vertretern des Senats sollen darin auch Regierungs- und Oppositionsfraktion, Experten aus Wissenschaft, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und aus migrantischen Selbstorganisationen sitzen. Der Rat soll Empfehlungen an Senat und Parlament aussprechen, selbst aber nicht beschlussfähig sein.

Hamburger Politikerin fordert Corona-Rat

„Es reicht jetzt mit diesen Alleingängen, diesen einsamen Entscheidungen und Beschlüssen des Senats, von denen alle anderen Hamburger dann nur über Pressekonferenzen erfahren“, sagt die Co-Fraktionsvorsitzende Sabine Boeddinghaus.

Sabine Boeddinghaus, Hamburger Ko-Fraktionsvorsitzende von "Die Linke"

Sabine Boeddinghaus, Hamburger Co-Fraktionsvorsitzende von „Die Linke“

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dpa

„Natürlich muss gehandelt werden, um die Ausbreitung dieser Pandemie in den Griff zu bekommen – aber der Senat muss dabei beginnen, die Bürger ernst zu nehmen.” Bisher sei zu intransparent, anhand welcher Expertise sich der Senat seine Meinung bildet. „Alles findet im Hintergrund statt, ohne Austausch. Wir wissen zum Beispiel, dass sich der Senat mit Experten aus der Zivilgesellschaft zu wenig auseinandersetzt“, sagt Boeddinghaus auf Nachfrage der MOPO.

Corona-Regeln: Kritik an Alleingang der Regierung

Auch auf Bundesebene fordern Parteien mehr parlamentarische Mitsprache bei den Entscheidungen zur Eindämmung der Pandemie. Kommunikation solle „nicht mehr im Hinterzimmer, nicht mehr in Videoansprachen“ erfolgen, „sondern an den Orten, die in einer Demokratie dafür vorgesehen sind“, sagte Grünen-Chef Robert Habeck am Montag. Man müsse „weg von einer Verordnung auf Zuruf, hin zu einer transparenten Debatte“.

Boeddinghaus: „Manche Entscheidungen erwecken den Eindruck von Willkür.“

Der Hamburger Senat erklärt die aktuellen Corona-Regeln in den Landespressekonferenzen – sie sind für alle Hamburger live im Internet zu sehen. Dieses Vorgehen hält Boeddinghaus nicht für „einen Ausdruck von Transparenz“. „Es gibt ganz unterschiedliche Einschätzungen von Experten zur Lage und ich spreche jetzt ausdrücklich nicht von den Corona-Leugnern“, so die Co-Chefin der Hamburger Linksfraktion. „Warum werden die Vorgaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) für die Schulen zum Beispiel nicht direkt umgesetzt? Manche Entscheidungen erwecken den Eindruck von Willkür.“

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Hiermit spielt sie zum Beispiel auf die Empfehlung des RKI an, ab einem Inzidenzwert von 50 Neunifektionen pro 100.000 Einwohnern die Schulklassen aufzuteilen. Nach den Zahlen des RKI liegt der Wert für Hamburg noch unter der 50er Grenze, nach den Berechnungen der Hamburger Gesundheitsbehörde befindet er sich bei 58,9 Fällen (Stand: Mittwoch).

Forderung nach mehr Demokratie: Der Faktor Zeit

Im Corona-Rat würden womöglich mehr Stimmen Gehör finden, aber könnte auch wertvolle Zeit für langwierige Beratungen draufgehen? „Das ist immer schnell die Rechtfertigung: Demokratie dauert zu lange. Wir haben schon Anfang des Jahres eine Corona-Kommission gefordert, das wurde abgeschmettert. Ich denke man kann da auch mit mehreren Beteiligten schnell zu Ergebnissen kommen“, so Boeddinghaus.

Die aktuellen Corona-Regeln für Hamburg werden vom Senat auf einer Landespressekonferenz verkündet.

Die aktuellen Corona-Regeln für Hamburg werden vom Senat auf einer Landespressekonferenz verkündet.

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imago images/Chris Emil Janßen

Tatsächlich stellte die Linke bereits Ende April einen ähnlichen Antrag auf eine Corona-Kommission. Der erneute Antrag sei aus Sicht der Linken wichtig, weil die Akzeptanz einzelner Maßnahmen in der Bevölkerung teilweise nachlasse und die Kritik lauter werde.

Das sagt der Hamburger Senat zu den Vorwürfen

Was sagt der Hamburger Senat zu den Vorwürfen? Der Senat berate sich mit den anderen Landesregierungen und dem Bund, mit Fachexperten, Gewerkschaften, Verbänden und besonders von der Krise Betroffenen, so Senatssprecher Marcel Schweitzer. „In Krisen hat die Exekutive die Verantwortung und die Verpflichtung zu handeln. In der Corona-Pandemie kommt es auf vernünftiges, aber auch entschlossenes und schnelles Handeln an.“

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Für das Vorgehen des Senats bestünden dabei weiterhin rechtliche und parlamentarische Kontrollmöglichkeiten. „Wir berichten fortlaufend und transparent in der Bürgerschaft und ihren Ausschüssen über das Vorgehen in der Pandemie und beachten die Beschlüsse des Parlaments“, so Schweitzer.

Experte für Staatsrecht: Ein extra Gremium ist nicht notwendig

Die MOPO fragt bei dem Hamburger Experten für Staatsrecht Ulrich Karpen nach, ob er die Entscheidungsmacht des Senats angesichts der aktuellen Lage als verhältnismäßig einschätzt. „Ich verstehe, dass die Linke ein Interesse daran hat, ihre Sorge in die Öffentlichkeit zu tragen. Aber ich teile nicht die Meinung, dass ein extra Gremium notwendig ist“, so Karpen. Es gelte die aktuellen Möglichkeiten auszuschöpfen, die Linke könne einen Antrag stellen auf eine Sondersitzung, eine Debatte oder einen Gesetzentwurf.

„Aber man sollte nicht sofort in einem Übersprungverhalten sagen, das taugt alles nichts und wir brauchen einen Corona-Rat. Da könnte man genauso sagen, wir brauchen einen Hochwasser-Rat oder einen Straßenverkehrsrat“, so Karpen. „Das brauchen wir aber nicht, weil unsere Verfassung dafür vorgesorgt hat. Sonst steht die Bildung eines Corona-Rats im Mittelpunkt und nicht Corona selbst.“

Corona: Experte unterscheidet Einzel- und Grundfragen

Einzelfragen wie „Darf man Heizpilze aufstellen?“ oder „Muss man die Maske tragen, wenn man auf die Straße geht?“ sollten nach der Ansicht des Staatsrechtsexperten tagesaktuell vom Senat entschieden werden. „Die Grundfragen, wie wir mit Corona umgehen, müssen in der Bürgerschaft erörtert werden. Dazu zählen auch die Fragen, für die die Linke einen Corona-Rat einberufen will. Meine Meinung ist, dass die Vielfalt unserer Organe also Bürgerschaft, der Senat und Gerichtsbarkeiten ausreicht, um auch mit den aktuell schwierigen Fragen fertig zu werden.“

Die Linke wird ihren Antrag zum Corona-Rat auf der Bürgerschaftssitzung am 11. November einbringen. Dort dürfte der Vorstoß ebenfalls für Diskussionsstoff sorgen.

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