Auf der Suche nach dem Orkan: Unterwegs mit Sturmjägern
Sie werden sich einfach nicht einig. Schon seit Stunden ist dem einen Jäger zu kalt, dem anderen zu warm. Autofenster auf oder Autofenster zu, es ist die einzige Frage, bei der sie sich an diesem Abend nicht einig sein werden. Von draußen knallt der Starkregen auf die Windschutzscheibe, der Wind wiegt den Wagen hin und her, Bäume tanzen im Sturm. Das Jagdziel der beiden hat sie umzingelt. So wie geplant, so wie seit Tagen erhofft.
Es gibt Hobbys, bei denen man sich unweigerlich fragt, warum sich das jemand freiwillig antut. Da gibt es Menschen, die stellen sich beim Handball ins Tor, andere schießen sich mit Paintballkugeln ab. Und Arne Schroedter (29) und Leif Klöfkorn (31), die jagen Stürme. Oder präziser am heutigen Tag einen Orkan namens „Zeynep”. Nicht aus purer Lust aufs sensationellste Foto, nein, ihre Arbeit sei wichtig, sagen die beiden.
- Deutsch (Deutschland)
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Sie werden sich einfach nicht einig. Schon seit Stunden ist dem einen Jäger zu kalt, dem anderen zu warm. Autofenster auf oder Autofenster zu, es ist die einzige Frage, bei der sie sich an diesem Abend nicht einig sein werden. Von draußen knallt der Starkregen auf die Windschutzscheibe, der Wind wiegt den Wagen hin und her, Bäume tanzen im Sturm. Das Jagdziel der beiden hat sie umzingelt. So wie geplant, so wie seit Tagen erhofft.
Es gibt Hobbys, bei denen man sich unweigerlich fragt, warum sich das jemand freiwillig antut. Da gibt es Menschen, die stellen sich beim Handball ins Tor, andere schießen sich mit Paintballkugeln ab. Und Arne Schroedter (29) und Leif Klöfkorn (31), die jagen Stürme. Oder präziser am heutigen Tag einen Orkan namens „Zeynep”. Nicht aus purer Lust aufs sensationellste Foto, nein, ihre Arbeit sei wichtig, sagen die beiden.
Die Sturmjäger sind ein eingespieltes Team
Seit 17 Uhr sitzen Schroedter und Klöfkorn an diesem Freitag nun schon im Auto, Ende offen. Im Ärmelkanal, von wo sich der Orkan weiter in Richtung Deutschland vorarbeitet, wurden zuvor einzelne Böen mit fast 200 Stundenkilometer gemessen – angesagt waren ursprünglich 160 Stundenkilometer. „Das wird heute ein Schlag in die Fresse“, sagt Klöfkorn, der permanent ein Auge auf verschiedene Wetterdienste wirft, um die Orkanentwicklung nachzuvollziehen.
Die beiden Jäger sind ein eingespieltes Team. Schroedter sitzt am Steuer und hält den VW Touran auf der Straße, während Klöfkorn navigiert. Vorne in der Mitte, wo andere Autofahrer Ihr Navigationssystem postieren, ist ein iPad, auf dem der Wetterradar der App „windy” läuft und worauf der Orkan immer näher rückt. Zwischen 0 und 3 Uhr soll es im Großraum Lübeck am ärgsten werden. Leifs Telefon ist mittlerweile am Dauerklingeln. Andere Sturmjäger aus ihrer elfköpfigen Gruppe sind dran, Feuerwehrleute, die lokale Presse, sie alle erkundigen sich nach der aktuellen Lage. Doch bislang ist es ruhig. „Da kommt gleich noch was, das geht gleich los!“, sind sich aber beide sicher.
Sturmjäger melden ihre Eindrücke an Wetterdienste
Die beiden sind sogenannte Sturmjäger, nennen sich „Storm Hunters Germany” und betreiben seit 2018 eine Web- und diverse Social-Media Seiten. Wenn andere zu Hause bleiben (sollen), dann ziehen sie los. Immer dem Sturm, dem Gewitter, dem Naturereignis hinterher. Ihre Fotos und Videos posten sie später auf ihrer Facebook-Seite, wo Follower:innen sich darüber austauschen. „Wir sind keine Unwettertouristen”, widerspricht Schroedter den Vorwurf der Sensationslüsternheit. Wenn es zu gefährlich wird, brechen sie ab.
Beide fasziniert die Naturgewalt, die das Wetter in seinen verschiedensten Ausprägungen bereithält. Sie melden außerdem direkt ihre Eindrücke vor Ort an Wetterdienste, stehen sogar im Austausch mit der Feuerwehr. Wenn man so will, sind sie das sehende Auge im Sturm, das Korrektiv zur Modellrechnung. Wie viele es von ihnen in Deutschland gibt, dazu gibt es keine offiziellen Zahlen. Aber in allen Regionen des Landes kann man sie finden.
Schroedter jagt bereits seit zehn Jahren besonderen Wetterereignissen hinterher, Leif Klöfkorn entdeckte seine Leidenschaft für Unwetterfronten ein bisschen später. Über Facebook fanden sie schließlich zueinander.
Die beiden Sturmjäger fahren Tausende Kilometer jährlich
Seitdem fahren die Männer als Team an die Schauplätze der Verwüstung. Beide reißen jährlich mehrere Tausend Kilometer beim Jagen ab. Klöfkorn zieht auch gerne mit seiner Frau Catharina los, die an diesem Freitag aber mit der Frau von Schroedter Zuhause geblieben ist.
In Sturmlagen gibt es kein festes Ziel
Anders als bei Gewitterjagden kann man sich bei Sturmlagen nur treiben lassen. Das bedeutet, dass Schroedter mehr oder weniger ziellos das Auto durch die Nacht steuern muss. Es braucht Geduld, die nächste Böe könnte überall lauern. Ihre großen Vorbilder kommen aus den USA und jagen dort Tornados durch Florida.
Arne steuert den Wagen derweil von Bad Schwartau nach Travemünde. Ein Tornado ist heute nicht zu erwarten, dafür liegen mittlerweile größere Äste auf den Straßen. Die Böen sind bei über 100 Kilometern pro Stunde, bald ist Mitternacht erreicht. Erstes Fazit von Arne: „Nicht überragend, man hätte sich schon ein wenig mehr erwartet.“ Nichtsdestotrotz sammle man auch an einem solchen Abend Erfahrungen, weiß die Unwetter von Mal zu Mal besser einzuschätzen.
„Zeynep” schüttelt nun das Auto, man merkt den beiden an, wie sie minütlich angefixter werden. Doch an diesem Abend bleibt das ganz große Spektakel aus. Ein Baum versperrt um kurz vor 1 Uhr die Weiterfahrt. Die Feuerwehr wird alarmiert, dann geht es weiter durch die Nacht. Bis 4.30 Uhr halten die beiden durch, die Reporter sind schon früher ausgestiegen. „Langsam reicht es mit den Stürmen“, sagt Arne. Sie freuen sich auf die ab April anstehende Gewittersaison. Dann geht die Jagd erst richtig los.