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Habeck und Baerbock im Sitzungssaal
  • Wirtschaftsminister Robert Habeck (l.) und Außenministerin Annalena Baerbock (beide Grüne) müssen im Ampel-Kabinett immer wieder Kompromisse schließen – bringt Lützerath das Fass zum Überlaufen?
  • Foto: picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Wie Lützerath die Grünen in eine schlimme Krise stürzen könnte

Der Kampf um das Steinkohledorf Lützerath könnte die schlimmste Krise der Grünen seit vielen Jahren auslösen. Denn langsam wird es für große Teile der Basis zu viel, was ihre Partei in Berliner Regierungsverantwortung an Kompromissen schlucken soll.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck kann zu Recht darauf verweisen, dass der Deal, den Politik und Energiewirtschaft geschlossen hatten, sehr viel Gutes hat. Zwar wird Lützerath geopfert, dafür werden andere Dörfer vor den Kohlebaggern gerettet und der Ausstieg aus der klimaschädlichen Braunkohle um viele Jahre vorgezogen.

Wie viele Kompromisse müssen die Grünen noch mittragen?

Bedenkenswert aber sind auch die Argumente derer, die – hoffentlich friedlich – gegen den Abriss von Lützerath kämpfen wollen. Warum soll noch dieses kleine Dorf weg, wenn man doch schon bald keine Braunkohle mehr verfeuern will? Und stecken wir nicht schon so tief in der Klimakrise, dass wir uns eben nicht mal mehr den von Habeck mit ausgehandelten Kompromiss leisten können; dass also noch früher und noch radikaler bei unserer Energieversorgung umgesteuert werden muss, wieviel Wirtschaftswachstum und Komfort das auch kosten mag?

Der Autor: Christoph Lütgert war Rundfunk-Korrespondent beim NDR, Erster Reporter beim ARD-Politik-Magazin „Panorama“ und 17 Jahre lang Chefreporter Fernsehen beim NDR. Er schreibt als Gastkommentator für die MOPO. Privat / hfr
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Der Autor: Christoph Lütgert (geb. 1945) war Rundfunk-Korrespondent beim NDR, Erster Reporter beim ARD-Politik-Magazin „Panorama“ und 17 Jahre lang Chefreporter Fernsehen beim NDR. Lütgert wurde wegen seiner sozialkritischen Reportagen mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. Er schreibt regelmäßig als Gastkommentator für die MOPO.

Wieviel Kompromisse mussten und müssen die Grünen in der Berliner Ampelkoalition schon mittragen? Die Partei, die eine Wurzel in der Friedensbewegung hat, übernimmt konstruktiv Mitverantwortung für die Lieferung von Waffen bis hin zu Panzern an die Ukraine. Die Partei, die eine zweite Wurzel in der Anti-Atom-Bewegung hat, machte wenn auch zähneknirschend mit, als der Ausstieg aus der Kernenergie hinausgeschoben und die Laufzeit für drei Reaktoren wenn auch nur um ein paar Monate verlängert wurde. Und jetzt Lützerath. Als sei das noch nicht Last genug, muss ausgerechnet ein grüner Polizeipräsident aus Aachen den massiven Polizeieinsatz kommandieren, der sich beim Kampf um Lützerath ankündigt.

Lützerath: Ein Einschnitt wie die Agenda 2010 bei der SPD?

So könnte Lützerath für die Grünen das werden, was für die SPD seinerzeit unter Kanzler Gerhard Schröder Hartz IV und die Agenda-Politik waren: Ausgangspunkt für einen Niedergang. Seinerzeit gab es gewiss auch gute Argumente für die Agenda 2010 und Hartz IV. In den Augen vieler verbitterter Mitglieder und Wähler aber hatte die SPD damit ihre sozialpolitische Kompetenz und ihre Glaubwürdigkeit als Anwalt des „kleinen Mannes“ verspielt. Die verließen die Partei und machten bei den nächsten Wahlen ihr Kreuz woanders, wenn sie überhaupt noch eins machten. Die SPD verlor in Bund und den Ländern dramatisch und sackte auf Tiefen, die man eigentlich nicht für möglich gehalten hatte.

Polizisten und Aktivisten in Lützerath: Der Kampf ums Dorf könnte die Grünen in eine Krise stürzen, glaubt Gastautor Christoph Lütgert. picture alliance/dpa/Rolf Vennenbernd
Polizisten und Klimaaktivisten stehen auf einem Feld nahe der Abrisskante von Garzweiler II.
Polizisten und Aktivisten in Lützerath: Der Kampf ums Dorf könnte die Grünen in eine Krise stürzen, glaubt Gastautor Christoph Lütgert.

So könnte es den Grünen mit Lützerath gehen. Irgendwann ist der Bogen der Kompromissbereitschaft überspannt, dies umso eher in einer Partei, für die der Fundamentalismus der reinen Lehre nichts Diskriminierendes hat. Und wenn 200 Prominente einen Aufruf unterzeichnen, mit dem der sofortige Stopp der Räumung von Lützerath gefordert wird, muss das ein Alarmsignal für die Partei-Spitze sein. Katja Riemann, Peter Lohmeyer, Igor Levit, Judith Holofernes – diese Namen stehen nicht für Staats- oder Demokratieverächter. Man könnte sie – zugegeben reine Spekulation – eher im links-grünen Spektrum verorten.

In jedem Fall: Für keine Partei steht mit Lützerath so viel auf dem Spiel wie für die Grünen.

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