• In den Walddörfern wartet man weiterhin vergeblich auf die ersten Zeichen einer Verkehrswende.
  • Foto: Florian Quandt

Verkehrswende? Wo denn?: Nicht einmal die E-Scooter haben es an den Stadtrand geschafft

Die Verkehrswende wird aktuell in Hamburg heiß diskutiert. Verkehrssenator Anjes Tjarks präsentiert laufend neue Radwege und Pläne für die autofreie Innenstadt. Doch wenn man den Blick einmal von der Innenstadt weg in Richtung der Außenbezirke wendet, ist die Lage ernüchternd. Hier ist nach wie vor das Auto das vorherrschende Verkehrsmittel. MOPO-Reporterin Hannah Borwitzky kommentiert den Stand der Verkehrswende aus der Sicht der Walddörfer und anderer Randbezirke. 

Hamburg wird Fahrradstadt, habe ich gehört – steht ja in den Nachrichten. Klingt nach einem guten Plan, aber irgendwie sehe ich davon nichts. Jedenfalls nicht da, wo ich herkomme: in den Walddörfern (für die, die sich wundern wo das ist: das sind die Stadtteile im Nordosten Hamburgs, jenseits der S- und U-Bahn-Endhaltestellen Ohlstedt und Poppenbüttel).

So viele Autos gibt es in den Walddörfern 

Hier fahren fleißig die Leute mit SUVs und Familienkutschen über die Landstraßen, um beispielsweise ihre Kinder zur Schule, zum Sport oder zum Musikunterricht zu bringen. Wer einen Führerschein hat, der nutzt ihn auch. Das Fahrrad hält allenfalls für sonntägliche Ausflugsfahrten her – aber definitiv nicht für den Weg in die Stadt oder zur Arbeit. Für diese Strecke vertraut der gemeine Randbezirks-Bewohner auf die altbewährte Blechkiste.

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Nach Angaben vom Statistischen Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein waren 2018 im Bezirk Wandsbek 391 Autos pro 1000 Einwohner zugelassen. Verglichen mit dem Hamburger Durchschnitt von 334 Autos kein besonders guter Wert. Aber wenn man mal in die einzelnen Stadtteile guckt, ist die Situation noch viel schlechter: In den Walddörfern liegen die Werte durchgehend über 400 oder teilweise 500. Spitzenreiter ist hier Lemsahl-Mellingstedt mit 574 Autos pro 1000 Einwohner.

Mobilitätswende – Fehlanzeige 

Für jemanden, der tagtäglich an den gut gefüllten Carports der Nachbarschaft entlang geht, ist diese Zahl nicht sonderlich überraschend. Alarmierend sollte sie trotzdem sein – vor allem in einer als „Fahrradstadt“ deklarierten Stadt. Von einer Verkehrswende merken die Randbezirke bisher denkbar wenig. Schade eigentlich.

Von modernen Mobilitätsalternativen fehlt jede Spur. Es gibt weder Stadtrad noch Emmy-Roller (elektrische Mietmofas). Auch auf Angebote aus dem Car-und Ridesharing-Bereich wartet Hamburgs Norden vergeblich. Nicht einmal die allseits beliebten E-Scooter haben es zu uns geschafft – und die stehen ja sonst wirklich überall in Hamburg rum.

Bahnfahrt in die Stadt wird schnell zum Tagesausflug 

„Frust kommt auf denn der Bus kommt nicht“, sang Peter Fox einst in seinem Song über die Hauptstadt. Eine Situation, die definitiv nicht nur die Berliner kennen, weiß ich aus eigener Erfahrung. Ich fahre jeden Morgen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln aus den Walddörfern zu meiner Arbeitsstelle bei der MOPO in Altona.

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Von Tür zu Tür brauche ich etwa eineinhalb Stunden. In dieser Zeit kann viel passieren. Es ist genug Zeit für eine Weichenstörung der S11, ein Störsignal an der Sternschanze, einen Polizeieinsatz am Berliner Tor und ein belegtes Gleis in Poppenbüttel. Ich erwähne hier mal nicht, dass all diese kleinen und großen Verspätungen dazu führen, dass man grundsätzlich nie den geplanten Bus erreicht, jedenfalls nicht ohne engagierten Zwischensprint.

Es fehlen die positiven Erfahrungen, die mit Mobilitätsalternativen in Verbindung gebracht werden könnten. Ich denke, dass es wichtig ist, die Menschen für Klimaschutz und Mobilitätswende zu begeistern und das ist etwas, was bei uns hier draußen völlig fehlt. Wenn man den ÖPNV nutzt, dann weil man es muss, nicht weil man es will.

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Wenn die ganze Stadt davon spricht, dass jetzt alles klimafreundlich und autofrei wird, dann fühle ich mich davon nicht angesprochen. Ich kann mir schlicht nicht vorstellen, dass plötzlich E-Scooter und elektrische Sammeltaxis durch den Hamburger Nordosten fahren sollen, wo momentan am Wochenende kaum ein Bus fährt. Ähnliches gilt natürlich auch für andere Randbezirke, wie Rahlstedt oder Jenfeld, vom Hamburger Umland muss man wohl gar nicht erst anfangen. 

Verkehrswende ja, aber leider nicht für alle 

Es kann doch nicht sein, dass ein Wasserstoff-Bus alle Jubeljahre alles ist, was von der Welle der Klimaschutz-Euphorie in die Außenbezirke schwappt. Die Verkehrswende kann nicht nur in Deutschlands Innenstädten stattfinden, es müssen alle Menschen mitgenommen werden. Sonst werden wohl weiterhin die guten Ansätze aus der Innenstadt von den SUVs der Randbezirke plattgefahren.

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