Das Elend am Hauptbahnhof verunsichert viele Menschen

Das Elend am Hauptbahnhof verunsichert viele Menschen Foto: IMAGO/BREUEL-BILD

Unterwegs am Hauptbahnhof: Es ist die Unberechenbarkeit, die einem Angst macht

Eine Frau, die mit einem Messer durch die dicht gedrängte Menge geht – und völlig wahllos Menschen verletzt. Ohne Motiv. Der buchstäbliche Wahnsinn. Der Angriff am frühen Freitagabend ist für häufige Hauptbahnhof-Nutzer auch deshalb so verstörend, weil er eher nicht aus heiterem Himmel kommt. Bei all dem menschlichen Elend und den psychischen Abgründen, die Hamburgern und Reisenden zwischen den Bahnsteigen, Treppen, Tunneln und Wandelhallen tagtäglich entgegenschlagen, wundere ich mich eher, dass nicht öfter furchtbare Dinge passieren.

Ich bin eigentlich kein ängstlicher Mensch. Aber es ist noch nicht so lange her, da habe ich mich ernsthaft unwohl gefühlt. In der S3 saß mir ein Mann gegenüber, der erkennbar in einem psychischen Ausnahmezustand war. Er redete mit sich selbst, mal leise knurrend, dann plötzlich laut. Er gestikulierte wild, bewegte sich ruckartig.

Ich neige dazu, mich in der S-Bahn von nervigen äußeren Impulsen abzugrenzen, indem ich Kopfhörer aufsetze und Musik höre. Das bringt oft viel. Hier war mir das zu riskant. Ich stand auf und wechselte ans andere Ende des Zuges.

Der Großteil der verelendeten Menschen ist nicht aggressiv, sondern mitleiderregend

Drogen, Verelendung, Obdachlosigkeit – die Zahl der Menschen, deren einziger täglicher Anlaufpunkt der Hauptbahnhof ist und die schwerwiegende Probleme haben, ist groß. Den weit überwiegenden Teil von ihnen empfinde ich nicht als aggressiv, sondern vor allem als mitleiderregend.

Manche sind sogar sehr engagiert. Ich habe viele bemerkenswert höfliche und in Sachen „Öffentlicher Auftritt“ geradezu talentierte Menschen in der S-Bahn getroffen, die innerhalb der wenigen Minuten zwischen zwei Stationen versuchen, das dicke Fell der Fahrgäste und Großstadtbewohner mit einem charmanten und reflektierten Vortrag zu durchdringen, um ein bisschen Unterstützung zu bekommen.

Manche wirken wie Gespenster, getrieben und verwirrt

Aber dann gibt es eben auch die Menschen, die wie Gespenster wirken. Getrieben. Verwirrt. Wie in einer anderen Welt. Unberechenbar. Manche laufen barfuß herum, auch im Winter. Manche sind in unfassbarem Zustand, ausgezehrt, verdreckt, gekleidet in Lumpen. Es schmerzt, dieses Leid zu sehen. Es ist unvorstellbar, was diese Menschen durchmachen müssen. Und als Passant guckt man dann meist schnell weg, weil: Was soll man tun?

Solche Szenen sind typisch für einen Großstadtbahnhof. Das war schon immer so, seit ich zurückdenken kann. Ein Hauptbahnhof spiegelt die gesamte Gesellschaft wider. Hier sind alle unterwegs. Hier wird alles sichtbar. Und das ist zum Teil schmerzhaft.

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Es gibt aber schon Anzeichen dafür, dass die Situation am Hamburger Hauptbahnhof aus dem Rahmen fällt. Das höre ich immer wieder von auswärtigen Besuchern, die auch Erfahrungen in anderen Großstädten gemacht haben. Das liegt auch an der räumlichen Enge und den Massen. Aber auch aufgrund des schieren Ausmaßes der Verelendung.

Ein Messerverbot und mehr Polizei? Das bringt hier nichts

Wer auf die Situation am Hauptbahnhof nur mit Messerverbot und Polizeistreifen reagiert, wird sie nicht lösen. Kontrollen können immer nur stichprobenhaft sein, bei 500.000 Menschen, die am Tag am Hauptbahnhof unterwegs sind. Und wer eine schwere Psychose hat, den schrecken keine Vorschriften. Diese Leute brauchen intensive und oft langwierige medizinische Behandlung. Und die ist extrem aufwendig und teuer.

Insider berichten, dass die Zahl solcher Fälle zunimmt, während die Zahl der Betten in den entsprechenden Abteilungen seit Jahren rückläufig ist. Das ist kaum überraschend, denn mit dieser Art der Medizin können Klinikbetreiber wenig gewinnen, aber viel verlieren.

Hinzu kommt der heikle Umgang mit der Frage des „Wegschließens“: Die Hürden sind hoch. Zu Recht. Die Verantwortung der Ärzte, die über Entlassung oder ein weiteres belegtes Bett entscheiden müssen, ist riesig.

Weder das Gesundheitssystem noch die Polizei werden diese wachsenden Probleme lösen. Hier ist die Politik gefragt. Und dafür wird Geld gebraucht. Viel Geld.

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