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Zapfenstreich Berlin
  • Der große Zapfenstreich: Stare Haltung und starrer Gesichtsausdruck bei Soldaten und Soldatinnen, die zu einer einzigen Maschine aus Menschenleibern verschmelzen.
  • Foto: dpa

Standpunkt: „Jesus wäre gegen diesen Zapfenstreich“

Am Mittwoch soll es in Berlin einen Großen Zapfenstreich geben – zur Ehrung der Bundeswehr-Soldaten, die in Afghanistan Dienst taten. Eine Gruppe von evangelischen Theologen, darunter der Hamburger Pastor i.R. Ulrich Hentschel haben die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) aufgefordert darauf hinzuwirken, dass an diesem militärisch-religiösen Zeremoniell keine Repräsentanten der Evangelischen Kirche teilnehmen. Wieso Ulrich Hentschel den Großen Zapfenstreich ablehnt? Hier sein Standpunkt:

„Ich bete an die Macht der Liebe, die sich in Jesus offenbart. … Ich will, anstatt an mich zu denken, ins Meer der Liebe mich versenken.“ Ob und wie oft dieses pathetisch-hingebungsvolle Kirchenlied von 1820 heute noch in Gottesdiensten gesungen wird, weiß ich nicht. Aber es ist gleichwohl ein Hit, denn es gehört zum festen Bestandteil eines quasi-religiösen Zeremoniells, des Großen Zapfenstreiches, der am Mittwoch wieder vor dem Reichstag zelebriert werden soll.

In Gegenwart aller Repräsentanten des deutschen Staates, zahlreicher in Afghanistan eingesetzter Soldaten und Soldatinnen und mit dem Wachbataillon (in dem gerade und viel zu spät das Treiben einiger Nazis aufgedeckt wurde) und mit viel Dschingderassa wird es gegen Ende der Zeremonie den Befehl geben: „Helm ab zum Gebet“.  Und dann erklingt die Melodie „Ich bete an die Macht der Liebe“, die übergeht in ein leichtes drohendes Trommeln zum nächsten Befehl: „Helm auf“ und dann noch die Nationalhymne.

Zapfenstreich in Berlin: Eine Maschine aus Menschenleibern

Alles im Fackelschein, mit starren Gesichtern und starrer Haltung der Soldaten und Soldatinnen, die zu einer einzigen Maschine aus Menschenleibern verschmelzen. Wem diese Wahrnehmung zu überzogen erscheint, möge sich auf Youtube zumindest die letzten 20 Minuten der Aufzeichnung vom „Großen Zapfenstreich“ zum 60-jährigen Bestehen der Bundeswehr 2015 ansehen.

Ist dieses Ritual geeignet, den tausenden an Leib und Seele verletzten deutschen Soldaten und Soldatinnen, denen, die getötet wurden und die getötet haben, wie es der grausame Zweck jedes Krieges ist, gerecht zu werden? Und wie würden die afghanischen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Bundeswehr, die von der deutschen Regierung als zweitrangig alleingelassen wurden und um ihr Leben bangen müssen, den Zapfenstreich erleben?

Würdeloser Zynismus gegenüber den Opfern einer gescheiterten Politik

„Helm ab zum Gebet: Ich bete an die Macht der Liebe“ – Das ist kein Trost und keine Würdigung, das ist würdeloser Zynismus gegenüber den Opfern einer gescheiterten Politik, zu denen vor allem die vielen tausend getöteten und verletzten Menschen des Krieges zwischen Nato und Taliban gehören.

Nun soll den obersten deutschen Repräsentanten nicht unterstellt werden, dass dieser Zynismus in ihrer Absicht läge. Was aber bringt sie dazu, das Ende des Kriegseinsatzes in Afghanistan mit dem Großen Zapfenstreich zu zelebrieren? Offenbar geht es darum, diesem Krieg auch noch nachträglich einen Sinn und eine Legitimation zu verleihen und alle kritischen Fragen als unangemessen beiseite zu schieben.

Ritual Zapfenstreich: Mehrere Gründe, es abzuschaffen

Rituale dienen der Selbstvergewisserung und dazu gehören oft die Abwehr von Schulderkenntnis und Schuldbekenntnis. Militärische Rituale sollen in der Abfolge von Befehl und Gehorsam und mit starken musikalisch-emotionalen Elementen den Zusammenhalt der Truppe festigen und ggfs. wiederherstellen. „Ich bete an die Macht der Liebe“, klingt die Melodie und macht eingängig, worum es geht: „Wir glauben an die Macht der Waffen“.

Ulrich Hentschel (71) war bis 2010 Pastor an der St. Johanniskirche in Altona und arbeitete als Studienleiter für Erinnerungskultur an der Evangelischen Akademie der Nordkirche. Asmus Henkel
Ulrich Hentschel.
Ulrich Hentschel (71) war bis 2010 Pastor an der St. Johanniskirche in Altona und arbeitete als Studienleiter für Erinnerungskultur an der Evangelischen Akademie der Nordkirche.

Das Ritual funktioniert dafür wie ein Hilfsmittel, wie eine Medizin. Aber es ist eine giftige Medizin mit gefährlichen Bestandteilen. Es gibt mehrere Gründe, sie abzuschaffen:

  • Der große Zapfenstreich ist eine öffentliche Zeremonie, die mit ihren kirchlichen Elementen nicht nur Muslime, sondern auch Menschen ohne Religions- oder Kirchenzugehörigkeit ausgrenzt und darum unvereinbar ist mit dem religiösen Neutralitätsgebot unserer Verfassung.
  • Der von dem Preußenkönig Friedrich Wilhelm III.  in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eingeführte Große Zapfenstreich tradiert eine im preußischen Königtum geschaffene Glorifizierung und gesellschaftliche Sonderstellung des Militärs. Es ist mit einer nicht-militaristischen Demokratie unvereinbar.
  • Der frühere Bundespräsident Gustav Heinemann (SPD) wusste noch um das Unpassende dieses Ritus in einer demokratischen Gesellschaft und hat anders als alle anderen Bundespräsidenten davor und danach zu seiner Verabschiedung aus dem Amt auf den Großen Zapfenstreich verzichtet und stattdessen seine Gäste zu einer Rheinfahrt einladen lassen.
  • Das Ritual des Großen Zapfenstreichs baut auf der religiösen Überhöhung und Weihe militärischer Bereitschaft und militärischer Einsätze auf.  Der zentrale Einsatz des der christlichen Mystik zuzurechnenden Liedes „Ich bete an die Macht der Liebe“, zudem als „Gebet“ angekündigt, ist eine blasphemische Funktionalisierung der gewaltlosen Liebesbotschaft Jesu für einen militärischen Festakt. Man mag Jesu Aufforderung „Liebet Eure Feinde“ ja für naiv und weltfremd halten, aber für Christinnen und Christen, auch die in den entsprechenden Parteien, gehört sie zum christlichen Wertekanon und bleibt Leitlinie ihres Denkens und Handelns.
  • Wenn Jesus heute an einem Großen Zapfenstreich teilnehmen würde, dann als Störenfried. Die frühen Kirchenväter wie Hippolyt in der „Traditio apostolica“ wussten noch von der Unvereinbarkeit von christlicher Taufe und Soldatenberuf: „Ist ein Soldat im Dienst der weltlichen Obrigkeit, so darf er keinen Menschen töten. Wenn es befohlen wird, soll er die Sache nicht ausführen und auch keinen Schwur leisten.“

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Das klingt zu fromm, um wahr zu sein? Wie wäre es, wenn der Große Zapfenstreich abgeschafft und stattdessen ein Großer Ratschlag an seine Stelle träte. Thema: Was muss getan werden, um die Spirale von Aufrüstung und eskalierenden Kriegen zu unterbrechen werden und wie kann der Glaube an die Macht von Militär und Überlegenheit überwunden werden?

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