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  • Der Hamburger Yakov Schacht (49) konvertierte zum Judentum.
  • Foto: privat/hfr

Jüdisches Leben: Von Curt zu Yakov: Warum dieser Hamburger konvertierte

Haifa –

Als Junge hieß er Curt. Die Jarrestadt (Winterhude) war sein Zuhause. Doch irgendwann tauschte Curt sein Basecap gegen eine Kippa ein, seinen Vornamen änderte er zu Yakov. Heute lebt der 49-Jährige, der in Hamburg ein bekanntes Kampfsportstudio führte, als orthodoxer Jude in Israel. Im letzten Teil der MOPO-Serie über jüdisches Leben in Hamburg geht es um die Konversion zum Judentum.

Jude ist, wer eine jüdische Mutter hat. So steht es in der Halacha, dem jüdischen Religionsgesetz. Wer nur einen jüdischen Vater hat, ist kein Jude. Auch kein Halbjude. Diese Kategorie ist eine Erfindung der Nazis. Man kann aber auch Jude werden: durch Konversion. Yakov Schacht ist diesen Weg gegangen.

Nirgendwo so viele Konversionen wie in Deutschland

Es ist ein mühsamer und beschwerlicher Weg, der jahrelang dauert und bei dem der Konvertit beweisen muss, dass er es wirklich ernst meint. „Als ich mich das erste Mal an den Rabbiner wandte, hat er mich abgelehnt“, erzählt Yakov Schacht. Ein ganz normaler Vorgang. Denn zunächst einmal muss die Motivation des Anwärters geklärt werden.

Gerade in Deutschland ist das wichtig. Denn ausgerechnet hier gibt es so viele Übertritte zum Judentum wie nirgendwo sonst auf der Welt. Das hat nichts mit Mission zu tun. Das Judentum missioniert nicht. Wer den „Giur” macht, den Übertritt, macht es aus freien Stücken. Viele machen es der Liebe wegen. Aus religiösen Gründen. Oder weil sie einen jüdischen Vorfahren haben. Aber gerade in Deutschland gibt es auch das Phänomen der Identifikation mit den Opfern der NS-Verbrechen.

„Ich hatte das Gefühl, dass irgendetwas fehlte“

Der israelische Psychologe Dan Bar-On (✝), der am UKE forschte, hat es untersucht und eine auffällige Häufung von Übertritten zum Judentum sogar bei den Kindern von NS-Haupttätern festgestellt. Manche Rabbiner fordern daher von Konvertiten ein psychologisches Gutachten.

Bei Yakov Schacht war das nicht nötig. „Ich bin vollkommen areligiös erzogen worden“, erzählt er. „Doch ich hatte immer das Gefühl, dass mir etwas fehlte.“ Als in der Schule das Buch „Damals war es Friedrich“ gelesen wurde, passierte etwas mit dem Jungen aus Winterhude.

Ein Kinderbuch brachte ihn auf die richtige Spur

„Ich habe nicht nur Mitgefühl und Empörung empfunden, so wie meine Klassenkameraden. Bei mir war es irgendwie ein Gefühl von persönlicher Betroffenheit“, sagt Schacht. Dieses Gefühl ließ ihn nie wieder los. Auch nicht als er Teenager wurde, als er mit Kampfsport anfing, als er heiratete und Kinder bekam, als er eine Ausbildung zum Naturheilpraktiker und Osteopathen machte.

Vielleicht hat letzteres die Sache sogar noch verstärkt. Denn die Naturheilkunde hat Verbindungen zum Hinduismus und Buddhismus. Beide Religionen gehen von der Idee der Wiedergeburt aus, die auch dem Judentum nicht gänzlich fern liegt.

Wiedergeburt einer jüdischen Seele in einem anderen Körper

„Ich glaube daran, dass die Seele nach dem Tod in einem anderen Körper wiedergeboren wird“, sagt Yakov Schacht. Er fühlte in seinem Körper eine jüdische Seele schlummern. Und das sollte nun auch offiziell werden. Es fehlte also nur noch die Aufnahme in die jüdische Gemeinde. Und das geht nur per Konversion.

Mit Anfang 30 war es soweit. Schacht war frisch geschieden. Da seine erste Frau den Weg des Übertritts nicht mitgehen wollte, fühlte Schacht sich nun endlich frei, den Weg zu betreten, den er immer gehen wollte. Nachdem er den Rabbiner doch noch überzeugen konnte, lernte er zusammen mit Rabbiner Shlomo Bistritzky die Schriften, die Speisegesetze, wie man betet, wie man Schabbat feiert. 

Familie und Freunde zeigten viel Verständnis

Vor dem Rabbinatsgericht „Beit Din“ in München legte Yakov Schacht schließlich seine Prüfung ab. Als er aus der Mikwe, dem rituellen Tauchbad, zurückkehrte, bekam er die langersehnte Urkunde überreicht: Er war jetzt Jude.

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Hamburgs Landesrabbiner Shlomo Bistritzky: Bei ihm konvertierte Yakov Schacht zum Judentum.

Foto:

/ Florian Quandt

Seine Familie und Freunde haben den Prozess stets offen und unterstützend begleitet, erzählt Yakov Schacht: „Meine Eltern waren nur traurig, dass ich nun nicht mehr bei ihnen zu Hause essen konnte.“ Denn von nun an galt: Alles musste koscher sein und den jüdischen Speisegesetzen entsprechen. Yakov Schacht führt ein orthodoxes Leben. Strenger als viele gebürtige Juden in Hamburg.

„Die Deutschen haben Angst vor dem Wort orthodox“

Als konservativ oder gar radikal empfindet er sich deshalb noch lange nicht. „Ach, die Deutschen haben immer so eine Angst vor dem Wort orthodox“, winkt er ab und lacht. „Für mich heißt das nur, dass ich mich an die Regeln halte.“ Heißt: regelmäßiges Beten, koschere Küche, Besuch des Schabbat-Gottesdienstes in der Synagoge. Und ganz wichtig: an diesem Tag bleibt das Auto stehen. Das elektrische Licht aus.

Seit Schacht mit seiner zweiten Frau, einer Jüdin aus Hamburg, nach Israel zog, ist all das einfacher geworden. „Hier ist alles viel normaler für uns. Wir sind Teil der Gesellschaft und fühlen uns voll akzeptiert.“ Die ganze Familie, inklusive der drei Kinder (vier Monate, vier und sechs Jahre) besitzt die israelische Staatsangehörigkeit. Auch Schachts ältester Sohn aus erster Ehe ist dem Vater gefolgt. Er ist konvertiert, hat in der israelischen Armee gedient und vor Kurzem eine aus Marokko stammende Jüdin geheiratet.

An Hamburg vermisst die Familie nur den Schnee

„Bei uns werden alle möglichen Sprachen durcheinander gesprochen“, lacht Yakov Schacht. Beim Frühstück meist Deutsch, nach der Schule und Kita Hebräisch, nicht selten auch Englisch, weil Schacht weiter als Ninjitsu-Trainer arbeitet und an internationalen Zusammenkünften teilnimmt.

An Hamburg vermissen die Schachts nur den Schnee. Vor allem ist Yakov froh, auf der Straße nicht mehr angesprochen zu werden, weil er eine Kippa trägt, einen langen Bart und ein Hemd mit Gebetsfäden („Zizijot“). „Einmal hat mich ein Mann im Grindelviertel gefragt, ob ich Jude sei. Als ich das bejahte, hat er mich gebeten, dafür zu sorgen, dass die vertrockneten Blumen am Joseph-Carlebach-Platz nach Gedenkveranstaltungen entsorgt würden. Das würde so unordentlich aussehen!“ 

Bornplatzsynagoge als Chance für mehr Verständigung

Was haben Hamburgs Juden mit der Entsorgung von Kerzen und Blumen zu tun, bloß weil auf dem Platz vor über 80 Jahren mal eine Synagoge stand? Man könnte es als Dummheit abtun. Man könnte es aber auch als Antisemitismus einordnen, der auch Konvertiten wie Yakov Schacht begegnet.

„In meinem Kampfsportstudio gab es einen sehr gläubigen Christen. Als ich konvertierte, ist er ausgetreten mit der Begründung, die Juden hätten Jesus umgebracht“, erzählt Schacht. Für ihn ist der Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge daher eine Chance für mehr Verständigung.

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„Ich bin überzeugt, die Synagoge hilft der jüdischen Kultur mehr als ein leerer Platz. Sicher werden drum herum Cafés und Restaurants entstehen, die Begegnungsorte für Juden und Nichtjuden sein werden. Wo es zum Dialog kommt, gibt es auch mehr Verständnis füreinander“, sagt Schacht. 

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