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  • Foto: Institut für Forensische Textanalyse.

Interview: Nach rassistischem Corona-Schreiben – Das sagt ein Profiler über den Täter

Neu Wulmsdorf –

„Ich habe eine Überraschung für euch, denn ich habe Corona und habe diesen Brief mehrfach angehustet und an allen Ecken abgeleckt“ – so beginnt ein Brief, denn Metin Kaya aus Neu Wulsmdorf vergangene Woche bekommen hat. Das Motiv des anonymen Schreibers: Hass auf Menschen mit Migrationshintergrund. Laut Sprachprofiler Leo Martin vom Institut für forensische Sprachanalyse besteht eine gute Chance, den Täter zu überführen. Die MOPO hat mit ihm gesprochen.

MOPO: Herr Martin, in einem solchen Fall wie in Neu Wulmsdorf, in dem ein Mann einen rassistischen Brief bekommt, der zudem noch gefährlich ist – wie gehen sie da vor?

Leo Martin: Für uns ist das ein Standardauftrag. Ein anonymer Brief, der eine Bedrohungslage enthält. Was wir machen: Wir  zerlegen den Text in seine sprachlichen Einzelteile. Wir fragen uns: Wie geht der Täter mit Sprache um? Wie bildet er Haupt- und Nebensätze? Verwendet er Aktiv-oder Passivkonstruktionen? Macht er systematische Fehler?

Rassismus-Eklat in Neu Wulmsdorf.

„Meine letzte Mission ist eine Ausländerfreie Heimat“ steht in dem Hass-Brief, den Kaya erhielt.

Foto:

privat/hfr

In dem Brief sind teils grobe Grammatikfehler. Ein Indiz, dass es sich dabei um einen schlechten Scherz handeln könnte?

Wir haben haben hier einen Text, der aus nur 15 Zeilen besteht, aber etwa 17 Fehler beinhaltet. . Das spricht in erster Linie für schlechte schriftliche Sprachfertigkeit und für einen geringen Bildungsgrad. Zudem gibt es weitere Auffälligkeiten. „Ich möchte meinen Kindern eine Ausländer-freie Heimat überlassen“, schreibt er. Hinterlassen wäre naheliegender. Oder: „Ich werde nicht alleine gehen von dieser Welt“. Gewöhnlicher wäre: „Ich werde nicht alleine von dieser Welt gehen“. Und nach genau solchen Auffälligkeiten suchen wir.

Nach rassistischem Corona-Schreiben: Das sagt ein Profiler über den Täter

Wie bemerken Sie, wenn jemand absichtlich Fehler einführt, um von sich als Absender abzulenken?

In der Regel merken wir das sehr schnell. Die häufigste Form der Verstellung ist, dass Einzeltäter in Wir-Form schreiben, weil sie so ihre Identität verschleiern oder ihrer Forderung mehr Gewicht zu verleihen wollen. Gelegentlich wird auch ein gebrochenes Deutsch, also ein „Ausländerdeutsch“, simuliert. Die menschliche Sprache ist hoch komplex und bildet sich zum Großteil unbewusst. Versucht man sich zu verstellen, fällt man irgendwann aus dem Muster. Anonyme Täter wollen verstanden werden. Deshalb wird das Deutsch in der Regel wieder besser, sobald es um die Forderung geht.

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Also ist der Täter vielleicht gar kein Nazi?

Als Sprachprofiler dürfen wir nicht nur der offensichtlichsten Spur folgen, sondern müssen auch alle anderen möglichen Optionen in Betracht ziehen. In diesem Fall ist das Spektrum sehr breit. Von einem ekelhaften Aprilscherz bis hin zum rechtsextremen Angriff ist alles drin. Im anonymen Brief an die Familie Kaya kommen zwar Elemente vor, wie „Sieg Heil!“, „88“ und „Deutschland den Deutschen!“. Also platte, oberflächliche Klischees, sonst aber insgesamt auffällig wenig Nazi-Sprech.

„Gehen von einem 45-50 Jährigen Mann aus, vielleicht auch jünger“

Herr Kaya glaubt, er sei der einzige, der ein solches Schreiben bekam und sagt, er wisse nicht, wer der Absender sei. Macht es das schwieriger, den Täter zu überführen?

Je mehr anonyme Schreiben auftauchen, desto mehr Ermittlungsansätze bekommen wir. Interessant wird es, wenn wir Vergleichstexte von möglichen Verdächtigen bekommen. Wenn die selben Sprachmuster wie im anonymen Brief auch in einem der Vergleichstexte auftauchen, dann haben wir unseren Täter.

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Wie hoch ist ihre Erfolgsquote?

Hoch. Das liegt daran, dass wir nur Fälle annehmen, in denen wir auch helfen können. Wir arbeiten in der Regel ohne Öffentlichkeit. Unser Job ist es, Klarheit zu schaffen. Manche Fälle betreuen wir über Monate hinweg.

Profiler: „Ich war 10 Jahre lang für den Verfassungsschutz im Einsatz“

Wie sind sie darauf gekommen Bekennerschreiben, Stalking-Briefe und Erpresserschreiben zu analysieren?

Ich habe Kriminalwissenschaften studiert und war zehn Jahre lang für den Verfassungsschutz im Einsatz. Dann habe ich mit einem Professor das Institut für forensische Sprachanalyse gegründet. Wir arbeiten im Team mit mehreren Analysten. Dieser Text hier wurde von Patrick Rottler analysiert.

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Sie hoffen, dass sich jemand meldet, dem das Sprachbild des Täters bekannt vorkommt?

Spannender ist die Frage, ob jemand einen ganz konkreten Verdacht hat, wer hinter dem anonymen Schreiben stecken könnte. Dann machen wir uns auf die Suche nach Vergleichstexten zu dieser Person. Das können ältere E-Mails sein oder auch Social-Media-Postings. Wir machen dann eine vergleichende Sprachanalyse. Am Ende steht ein Gutachten, das verrät, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, ob der Verdächtige tatsächlich der Täter ist oder nicht.

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