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  • Foto: betterplace.org

Interview mit „betterplace“-Chef: “Corona ist eine Form der Zwangsdigitalisierung”

Unter der Corona-Krise haben viele Branchen derzeit gewaltig zu leiden. Da wo die Politik kann, versucht sie zu helfen. Doch einige Bereiche erreicht die Hilfe spät  – und genau da werden gerade Rekordsummen an Spenden gesammelt. Sind Spenden-Plattformen also die Gewinner der Krise? Die MOPO hat mit Björn Lampe, Chef der Spendenplattforn „betterplace“, gesprochen.

MOPO: Was genau ist betterplace?

Björn Lampe: Wir haben betterplace.org 2007 mit dem Ziel gegründet, Menschen, die sich sozial engagieren wollen, mit Organisationen zusammenzubringen, die Hilfe benötigen. Auf unserer Seite sind mittlerweile über 30.000 gemeinnützige Projekte registriert und es wurden bisher insgesamt über 93 Millionen Euro gespendet. Damit sind wir die größte deutsche Spendenplattform.

Wie läuft so eine Spendensammlung ab?

Bei uns sammeln nur gemeinnützige Organisationen Spenden. Da gibt es dann zum Beispiel Vereine mit langfristigen Projekten, die sagen: Wir bieten Hausaufgabenhilfe an und brauchen dafür jeden Monat Summe X. Andere sammeln zeitlich begrenzt: Wie aktuell in der Corona-Krise, wenn für eine einmalige Aktion Geld für 10.000 Atemschutzmasken benötigt wird. Dafür wird dann einige Wochen gesammelt und danach ist das Projekt wieder vorbei.

betterplace ist gemeinnützig. Wieso das?

Uns geht es darum, sozialen Organisationen zu helfen, damit sie vom Internet profitieren können. Da war die Entscheidung, gemeinnützig zu arbeiten, bewusst gewählt. Damit finanzieren auch wir uns zu einem Teil aus Spenden. Zu einem anderen Teil aus Dienstleistungen, die wir Unternehmen anbieten, die sich engagieren möchten. So ermöglichen wir es, dass Payback-Kunden ihre gesammelten Punkte auch spenden können, oder wir betreiben zusammen mit der Haspa ein lokales Spendenportal für Hamburger Projekte.

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Wie macht sich der Coronavirus derzeit beim Thema Spendensammeln bemerkbar?

Viele Organisationen stehen jetzt vor der Herausforderung, wie sie mit Corona umgehen. Dadurch entstehen neue Bedarfe und neue Projekte. Aber wir sehen auch eine extrem hohe Spendenbereitschaft und Solidarität in der Bevölkerung. Diese ganz konkreten Projekte bekommen also auch Unterstützung.

Sind Sie die Gewinner der Krise?

Das kann man nicht ganz so sagen. Die Spendenbereitschaft ist zwar gerade für Projekte mit direktem Corona-Bezug sehr hoch, das stimmt. Aber: Viele Projekte, die eben nicht direkt mit Corona zu tun haben, haben es gerade sehr schwer.

Das heißt, über Ihre Plattform laufen nicht viel mehr Spenden als vor Corona?

Doch, bei uns gehen mehr Spenden ein. Aber ich würde in dieser Situation ungern von “Gewinnern” sprechen. Wir sehen eine Veränderung der Spendenbereitschaft: Die Organisationen, die nicht für Corona-Projekte sammeln, bekommen einfach gerade deutlich weniger mediale Aufmerksamkeit. Klassische Wege des Spendensammelns funktionieren auch nicht mehr: Das Spendensammeln auf der Straße beispielsweise. Oder auf Musikfestivals Pfandbecher sammeln, das findet ja alles nicht statt.

Stattdessen?

Jetzt entstehen eben neue Formate. Beispielsweise werden jetzt in den vielen neuen Livestream-Formaten Spenden gesammelt, weil dort die Leute zusammenkommen.

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Wird sich das  Spendenbewusstsein auch nach Corona weiter ins Internet verlagern?

Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Deutschland hyperdigitalisiert sich gerade. Entwicklungen, denen wir seit Jahren hinterher hinkten, passieren jetzt ganz schnell. Digitaler Unterricht von Schulen, Sportvereine. Auch Behörden digitalisieren nun viele ihrer Vorgänge. Das haben sich viele gewünscht, jetzt passiert das im Hau-Ruck-Verfahren. Und so ist das auch mit Spenden. Ich denke, dass das eine länger anhaltende Bewegung sein wird, definitiv.

Nochmal zur Corona-Krise: Sie sagen, Initiativen, die nicht wegen Corona-bedingten Einbußen sammeln, kommen zu kurz.

Es ist interessant zu sehen, dass der originäre Spendenbegriff sich momentan auflöst. Jetzt geht es darum, generell Solidarität zu zeigen: Man möchte die Eckkneipe, das Restaurant im Kiez, das eigene Leben unterstützen. Die Notwendigkeiten, die wir da momentan draußen sehen, gehen über die klassischen Solidaritätsspenden hinaus. Es steigt auch die Notwendigkeit für gemeinnützige Organisationen, sich der Digitalisierung zu stellen. Plötzlich ist das so eine Art Weckruf.

Ein digitaler Weckruf?

Ja, wir bekommen da gerade einen Generationswechsel mit. Wie oft hören wir von jüngeren Leuten in Organisation: Wir würden gerne digitaler sein, aber der Vorstand hält das nicht für nötig. Das ist jetzt einfach eine Form von “Zwangsdigitalisierung”, die durch Corona entstanden ist. Diejenigen, die sich jahrelang nicht mit dem Thema Digitalisierung beschäftigt haben, werden gerade dazu gezwungen.

Profitieren Sie von der Krise?

Für eine Beurteilung ist es noch zu früh. Im Moment ist es sehr viel Arbeit und ja, es gibt auch sehr viele Spenden. Aber final abschätzen kann ich das noch nicht. Insbesondere da unklar ist, wie sich Corona auf die wirtschaftliche Situation von uns allen auswirkt.

Thema Livestreaming: Wird das die neue Art, Spenden zu sammeln?

Wir sammeln seit drei Jahren Spenden per Livestream, bisher war das meist ein Nischen-Thema. Insbesondere Live-Gamer rufen ihre Fans schon länger per Livestream zu Spenden auf. Das ist eine junge Community, die sich da gerade formiert. Über Lesungen, Konzerte oder sogar Online-Yoga-Stunden wird Geld gesammelt.

Viva Con Aqua sammelte 36 Stunden am Stück…

Ja, die Hamburger Organisation Viva Con Agua steht beispielsweise vor der Herausforderung, dass aktuell keine Konzerte und Festivals stattfinden, auf denen sie sonst Spenden gesammelt haben. Doch jetzt haben sie einen 36-Stunden-Livestream mit verschiedenen Künstlern veranstaltet. Dabei wurden 50.000 Euro für das gesammelt, wofür sie auch sonst Spenden sammeln: sauberes Trinkwasser für Menschen in Uganda und anderen Ländern zu ermöglichen.

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