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Sonnenaufgang über dem Blumenbeet: Der Umzug in ein Hospiz bedeutet das Lebensende, heißt aber nicht, dass es keine Lebensfreude mehr gibt.
  • Sonnenaufgang über dem Blumenbeet: Der Umzug in ein Hospiz bedeutet das Lebensende, heißt aber nicht, dass es keine Lebensfreude mehr gibt.
  • Foto: Privat.

„Ich sterbe heute!“ MOPO-Reporter begleitete Mutter im Hospiz

Abschied zu nehmen ist die wohl schwierigste Aufgabe, die ein Mensch zu lösen hat. Niemand befasst sich gerne mit dem Tod – und gerade Hospize haben einen zweifelhaften Ruf als „dunkle“, bedrückende Orte. Doch MOPO-Reporter Florian Boldt hat seine Mutter beim Sterben begleitet und erlebt, dass dort überraschend viel Leben herrscht.

Selbst der Tod ist immer für eine Überraschung gut. Das Zimmer im Hospiz ist groß, hell, freundlich eingerichtet, es gibt einen Balkon mit Blick auf einen Wald. Vögel zwitschern. Es könnte auch ein Hotelzimmer sein. Meiner Mutter gefällt es.

Diagnose Darmkrebs: Zehntausende Menschen im Jahr betroffen

Es ist ein kleines Wunder, dass sie es hierhin geschafft hat. Kurz zuvor, Ende Januar 2022, lag sie mit einem Darmverschluss im Krankenhaus, Auslöser war einer ihrer Tumore. Dazu kam dann auch noch eine Lungenentzündung.

Eines Morgens Anfang Februar klingelt das Telefon. Meine Mutter bittet uns zu sich, sie würde noch heute sterben. Mit 58 Jahren. Es wäre zu viel für ihren Körper, Heilung war längst kein Thema mehr. Fast fünf Jahre nach der Diagnose Darmkrebs, die laut Robert-Koch-Institut allein im Jahr 2019 rund 59.000 Menschen bekommen haben – bei insgesamt etwas mehr als 500.000 festgestellten Krebserkrankungen.

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Wir fahren ins Krankenhaus. Überraschung: Ihr geht es gut. Wir lachen, unterhalten uns, bekommen Ratschläge von ihr, schaffen uns einen letzten gemeinsamen Tag. Sie fachsimpelt mit den Ärzt:innen und ruft Freunde an, um Tschüs zu sagen. Sie stirbt noch nicht.

Von Tag zu Tag wird sie schwächer, benötigt viel Ruhe. Nur: Es gelingt ihr nicht, zu sterben. Das Klinikpersonal und die Palliativärztin geben sich in dieser Zeit große Mühe, nicht nur ihre Patientin zu betreuen, sondern auch uns Angehörige. Unser starker Zusammenhalt sei beeindruckend und sehr selten. Das gibt Kraft.

Wer im Hospiz lebt, ist kein Patient, sondern Gast

Nächste Überraschung: Diese Kraft findet plötzlich auch meine Mutter wieder. Im Krankenhaus kann sie einfach nicht gehen, sagt sie. Genau im richtigen Moment wird ein Platz im Hospiz frei. Für meine Mutter war immer klar, dass sie in so einer Einrichtung sterben möchte, wenn es ihr Zustand erlaubt. Sie hat ihre Gedanken immer offen mit uns geteilt.

Die großen Fenster bringen viel Licht in das Zimmer im Hospiz. Privat.
Die großen Fenster bringen viel Licht in das Zimmer im Hospiz.

Wer in ein Hospiz zieht, verbringt dort laut Deutschem Hospiz- und Palliativverband im Schnitt 22 Tage. Ein „dunkler“, trauriger Ort müsste das dann doch sein. Nächste Überraschung: An wenigen Plätzen herrscht so viel Leben. Das fängt schon damit an, dass es keine Patient:innen gibt, sondern Gäste.

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Denn es geht darum, den Weg bis zum Tod mit so viel Lebensfreude wie möglich zu gestalten. Dieses Prinzip leben durchweg alle Mitarbeiter:innen vor – das beeindruckt mich.

Es gibt viel weniger Stress. Viel weniger Sorgen. Weil wir uns nicht mehr um die medizinische Versorgung kümmern müssen, sondern wieder „nur“ Familie sind. Sogar einen Geburtstag feiern wir im März noch zusammen.

Pflege im Hospiz: Entlastung gibt es auch für Angehörige

Mein Vater darf ganz selbstverständlich zu meiner Mutter ziehen. Nach mehr als 30 Jahren müssen sie nun ihre Ehe „abmoderieren“. Zu sehen, wieviel tiefer diese Beziehung noch geworden ist und wie mein Vater mit dieser letzten Phase umgeht, berührt mich.

Das Hospiz-Team macht viele Wünsche möglich: An der Konsole zocken? Spätabends kommt die Lust auf Burger und Fritten durch? Kein Problem. Auch die Veranstaltungen, die das Hospiz organisiert, machen den Alltag bunt. Mal wird Karneval gefeiert, mal kommt ein Streichelzoo. Es ist fast schon eine unbeschwerte Zeit.

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Zu einer besonders wichtigen Person wird die Seelsorgerin. Sie gibt meiner Mutter Halt und Unterstützung in all den Fragen, die sie selbst noch zum Sterben hat. Sie bauen sofort eine tiefe Verbindung auf.

Kuchen, Kaffee und bunte Blumen gehörten während der Wochen im Hospiz zum Alltag. Privat.
Kuchen, Kaffee und bunte Blumen gehörten während der Wochen im Hospiz zum Alltag.
Kuchen, Kaffee und bunte Blumen gehörten während der Wochen im Hospiz zum Alltag.

Angst vorm Sterben hat meine Mutter nicht. Sie hat lange genug mit dem Krebs gekämpft und beschlossen, dass es jetzt reicht. Draußen wird aus dem Winter derweil langsam Frühling – dort blüht das Leben auf, hier geht eines zu Ende.

Welthospiztag: Würdevolles Sterben ist ein Geschenk

Kurz vor dem Tod meiner Mutter besucht uns die Palliativärztin aus dem Krankenhaus. Sie sei froh, das noch geschafft zu haben. Der Umgang meiner Mutter mit ihrer Erkrankung habe sie sehr beeindruckt. Es macht mich stolz, das von einer fremden Person zu hören. Denn es sagt viel über das Menschsein meiner Mutter aus.

Fast zwei Monate verbringt meine Mutter im Hospiz. Anfang April schafft sie den „Schritt herüber“, ganz ruhig und friedlich. Als wir ankommen, brennt im Foyer eine Kerze. Als der Bestatter sie später abholt und im Sarg herausträgt, steht das ganze Team Spalier. Ein letztes Zeichen des Respekts.

Ein kleines Schmuckstück mit einer Spur Aschestaub erinnert mich Tag für Tag an meine Mutter. Ich denke dann an die guten Zeiten und daran, wie sehr sie fehlt. Zugleich erinnere ich mich an die überraschend positive Zeit im Hospiz: Würdevolles Sterben ist ein großes Geschenk. Für alle.

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