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Innensenator Andy Grote (SPD) an einem Boxsack.
  • Innensenator Andy Grote (SPD) an einem Boxsack.
  • Foto: (c) dpa

Grotes „Pimmel-Gate“ – und das viel größere Problem mit dem Online-Hass

Eigentlich wollte er es aussitzen, doch dann wurde die Sache einfach zu groß: Innensenator Andy Grote (SPD) hat sich einen Tag nach Beginn des „Pimmel-Gate“ öffentlich geäußert und dabei jede Kritik zurückgewiesen. Auch der mutmaßliche Beleidiger hatte zuvor seine Sicht auf die Dinge erläutert. Politiker:innen mahnen indes an, dass Hass im Netz weiterhin ein enormes Problem sei.

„Du bist so 1 Pimmel.“ Mit dieser saloppen Beleidigung auf Twitter fing alles an. Doch mittlerweile ist daraus ein Politikum geworden – auch wenn Andy Grote die Aufregung um die Hausdurchsuchung beim vermeintlichen Verfasser des Tweets nicht nachvollziehen kann. 

„Nicht nur als Politiker wird man häufig mit Häme, Hass und Beleidigungen im Netz konfrontiert. Wenn dabei die Qualität einer Straftat erreicht wird, dann rate ich allen ausdrücklich immer, Anzeige zu erstatten, damit die Tat auch verfolgt werden kann“, sagte er in einer Stellungnahme. Dass es bei der Strafverfolgung von Online-Beleidigungen zu Hausdurchsuchungen komme, sei häufiger der Fall und nur konsequent. „Das mag für den einen oder anderen überraschend sein“. Natürlich stelle er selbst auch einen Strafantrag, damit die Polizei solche Verfahren vorantreiben könne. Im Vergleich mit rechtsextremistischen Bedrohungen oder sexualisierten Übergriffen gegen Frauen im Netz sei sein Fall natürlich nicht der schwerste, aber auch er müsse sich von „niemandem beleidigen lassen“.  Eine Sonderbehandlung der Ermittlungsbehörden, weil er Senator sei, wies er zurück. 

Twitter-User war vorher bei der Polizei

Für Verwunderung hatte zuvor gesorgt, dass der Mann hinter dem Twitter-Account eigenen Angaben zufolge kooperativ gegenüber der Polizei gewesen war, wie die „taz“ berichtet. Demnach sei Marlon P. bereits vor drei Wochen wegen der Beleidigung des Innensenators von der Polizei vorgeladen worden. Er sei dann auf der Wache erschienen und habe zugegeben, den Twitteraccount „ZooStPauli“, von dem die Beleidigung geschrieben wurde, zu betreiben. Man habe ihm dann signalisiert, dass die Anzeige wegen Geringfügigkeit vermutlich eingestellt werde. 

Dazu kam es allerdings bekanntlich nicht. Die Polizei rückte stattdessen am Mittwoch zur Hausdurchsuchung an seiner Meldeadresse an. „Einfach nur absurd“, befand P. gegenüber der „taz“. Ein Urteil, zu dem auch Hunderte andere Menschen auf Twitter kamen. Zahlreiche User und vor allem Userinnen berichten zudem von Beleidigungen, denen sie im Netz ausgesetzt sind – und bei denen die Justiz trotz Anzeigen untätig oder zumindest wirkungslos bleibe. 

Opposition stellt Verhältnismäßigkeit in Frage

Auch aus der Opposition wurden kritische Stimmen laut. „Niemand muss Beleidigungen hinnehmen und akzeptieren“, betonte Dennis Gladiator, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, gegenüber der MOPO. In diesem Falle stelle sich jedoch „die Frage der Verhältnismäßigkeit“. Deniz Celik von den Linken wurde noch deutlicher: „Leider erleben Betroffene häufig, dass selbst schlimmste Drohungen und Beleidigungen von der Polizei nicht intensiv verfolgt werden. Umso irritierender ist, dass im Fall Grote bei einer vergleichsweise harmlosen Beleidigung offensichtlich keine Kosten und Mühen gescheut werden“, sagte er im Hinblick auf die Hausdurchsuchung. 

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Vom Koalitionspartner kam vorsichtige Kritik – aber auch ein allgemeiner Verweis auf Hass im Internet. „Natürlich sind die Reaktionen auf #Pimmelgate unterhaltsam und laden zu infantilem Humor ein – tatsächlich ist die konsequente Strafverfolgung von Hass im Netz aber äußerst begrüßenswert“, twitterte die Grünen-Fraktionschefin Jenny Jasberg. Dass ausgerechnet das Wort Pimmel zu einem solchen Einsatz geführt hätte, werfe aber die Frage nach der Verhältnismäßigkeit auf. 

Politiker:innen werden häufig Opfer von Anfeindungen im Netz

Politiker:innen werden regelmäßig Zielscheibe von Hass und Hetze im Netz. Eine Umfrage des NDR aus der ersten Jahreshälfte ergab, dass deutlich über die Hälfte aller Bürgerschaftsabgeordneten bereits bedroht und beleidigt wurden. Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) sprach in dem Zusammenhang von „einer Verrohung des Diskurses“. Gerade Frauen bekommen die abgründigsten Nachrichten – häufig sexualisierter Natur. 

Die heutige Bezirksamtschefin von Altona, Stefanie von Berg (Grüne), wurde in den Jahren 2015 und 2016 massiv aus der rechten Ecke angefeindet, weil sie sich zu Migrationsthemen geäußert hatte. Sie bekam rund um die Uhr Hassnachrichten bis hin zu Morddrohungen. „Das geht unter die Haut. Ich hatte Angst, konnte nicht mehr schlafen“, sagt sie heute. Bis heute treibe sie das Thema um, auch weil es vor allem Frauen treffe. „Kern der Hassbotschaften ist oft sexualisierte, verbale Gewalt.“ Damals nahm sie sich psychotherapeutische Hilfe und juristischen Beistand. „Das ist für mich ein Zeichen von Professionalität, den Hass und die Bedrohungen kann man nicht allein mit sich ausmachen.“ Der Hass im Netz sei weiterhin ein großes Problem und auch die Strafverfolgung sei noch nicht weit genug. „Die meisten Anzeigen verlaufen im Sande – entweder höre ich nichts mehr von den Ermittlungsbehörden oder die Täter sind nicht ermittelbar.“ 

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