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Der Schlafplatz eines Obdachlosen in Hamburg.
  • Der Schlafplatz eines Obdachlosen in Hamburg.
  • Foto: dpa

Dramatischer Anstieg der Attacken gegen Obdachlose in Hamburg

Keine zwei Wochen ist es her, da wurde ein schlafender Obdachloser angezündet. Mitten in Hamburg, zwischen Kiez und Landungsbrücken. Der Mann überlebte, weil eine Fußgängerin geistesgegenwärtig reagierte. Die Täter? Spurlos verschwunden. Zahlen des Bundeskriminalamts (BKA), die der MOPO exklusiv vorliegen, zeigen: Die Tat von St. Pauli ist kein Einzelfall – in Hamburg nimmt die Gewalt an Obdachlosen statistisch gesehen seit Jahren zu.

„Es ist nicht gerade eine seltene Straftat“, hatte Susanne Groth über das Verbrechen der MOPO gesagt. Die Hamburgerin arbeitet für den Verein „Leben im Abseits“, der sich um Obdachlose auf der Straße kümmert. „Kokeln tut es oft.“ Und oft, so erzählt es Groth, bekommt das die Allgemeinheit gar nicht mit.

Zahlen zeigen: Gewalt an Obdachlosen in Hamburg nimmt zu

Auch die Zahlen belegen die Vermutung: 2020 listete die Polizei 206 Übergriffe auf Menschen ohne Obdach. Im Jahr davor waren es noch 89. Auch im Bereich der gefährlichen und schweren Körperverletzung sind die Zahlen seit 2014 eher steigend als schwankend: 51 Taten wurden im Jahr 2020 registriert, davor waren es „nur“ 20.


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Erschreckend: Die Zahl der vorsätzlichen Körperverletzungen gegen Obdachlose hat sich von 2019 (41) auf 2020 (96) mehr als verdoppelt. In den vergangenen sechs Jahren wurden dazu acht auf der Straße lebende Menschen mit Vorsatz getötet.

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Groth sagt, die Zahlen würden vermutlich immer noch nicht die ganze Realität widerspiegeln: „Viele Obdachlose, die Opfer gewalttätiger Übergriffe geworden sind, bringen solche gar nicht zur Anzeige.“ Auch bei der Obduktion sei oft schwierig festzustellen, ob es Vorsatz oder ein Unfall war. „War es ein Sturz oder doch vielleicht ein Schlag? Oftmals können das Ärzte nicht zu hundert Prozent definieren, das hören wir in Gesprächen mit Medizinern immer wieder.“

Susanne Groth von „Leben im Abseits“. Privat.
Susanne Groth von „Leben im Abseits“.
Susanne Groth von „Leben im Abseits“.

Streit unter Obdachlosen, der in Gewalt ausartet, gehöre mit zum Alltag, sagt Groth, sei aber nicht die Norm. Dabei gehe es um Alkohol oder Drogen. Auch der Besitz von Pfandflaschen, das „Gold der Straße“, könne zu Streit führen.

Obdachlosen-Hilfe: „Weiß nicht, was das für ein Sport sein kann“

„Wir stellen mit Sorge fest, dass Gewalt an Obdachlosen vermehrt von Menschen kommt, die nicht obdachlos sind“, so Groth. Vor allem wenn der Kiez voll sei mit Touristen und Jugendlichen, „dann ist es gefährlich“. Diese würden es als Mutprobe sehen, Menschen auf der Straße zu verletzten. Beispiele gibt es zu genüge. „Ich weiß nicht, was das für ein Sport sein kann.“

Vor allem jetzt, wenn sich auch der Kiez und ganz Hamburg nach monatelangem Corona-Lockdown mit Leben füllt, würden die Menschen auf der Straße wachsamer sein: Sie hätten sich an die Leere gewohnt, Platten waren sichtbarer. Groth: „Jetzt steigt die Gefahr wieder. Und das jüngste Feuer-Beispiel zeigt: Sie ist real.“

Hamburger Obdachloser: „Ich will kein Mitleid“

Viele Obdachlose üben sich in Prävention: Sie leben in einer Gemeinschaft, haben einen Hund oder machen ihren Schlafsack nicht zu, damit sie schnell reagieren können, lassen Schuhe an, damit sie schneller weglaufen können. „Siggi“, der sein Lager abwechselnd in St. Georg, Altona und auf St. Pauli aufschlägt, sagt: „Es gibt nichts, was dich ganz schützt. Du musst mit der Angst leben. Du kannst nur wachsam sein. Und beten. Für viele sind wir nichts wert, sogar Taubenscheiße ist wertvoller als unser Leben. Sie spucken auf uns, lachen uns aus. Wir ertragen es.“ Warum? „Weil einige von uns keine andere Wahl und andere sich dafür entschieden haben. Ich persönlich will gar kein Mitleid. Ich will nur nicht angezündet werden.“

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