Russischer Arzt floh vor Putin nach Hamburg: „Ich schäme mich für diesen Krieg“
Ein Foto wurde ihm zum Verhängnis: Weil Alexander Goncharenko Anfang März in Russland mit einem Anti-Kriegs-Plakat öffentlich auftrat, drohte dem Arzt in seiner Heimat Fürchterliches. Der 61-Jährige und seine Frau Galina (59) ergriffen gerade noch rechtzeitig die Flucht – nach Hamburg. Mit der MOPO sprach das Paar über seinen gefährlichen Kampf gegen Putin, warum sie ihn für „krank“ halten und warum es nur ein einziges Szenario gibt, das ihnen eine Rückkehr nach Russland ermöglicht.
Der 2. März war ein bitterkalter Tag in Barnaul. Tiefer Schnee bedeckte die im Westen Sibiriens gelegene Hauptstadt der Region Altai. Seit einer Woche tobte über 4000 Kilometer entfernt der Krieg in der Ukraine. Alexander Goncharenko setzte sich eine warme Fellmütze auf den Kopf und trat mit einem Plakat auf die Straße.
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Ein Foto wurde ihm zum Verhängnis: Weil Alexander Goncharenko Anfang März in Russland mit einem Anti-Kriegs-Plakat öffentlich auftrat, drohte dem Arzt in seiner Heimat Fürchterliches. Der 61-Jährige und seine Frau Galina (59) ergriffen gerade noch rechtzeitig die Flucht – nach Hamburg. Mit der MOPO sprach das Paar über seinen gefährlichen Kampf gegen Putin, warum sie ihn für „krank“ halten und warum es nur ein einziges Szenario gibt, das ihnen eine Rückkehr nach Russland ermöglicht.
Der 2. März war ein bitterkalter Tag in Barnaul. Tiefer Schnee bedeckte die im Westen Sibiriens gelegene Hauptstadt der Region Altai. Seit einer Woche tobte über 4000 Kilometer entfernt der Krieg in der Ukraine. Alexander Goncharenko setzte sich eine warme Fellmütze auf den Kopf und trat mit einem Plakat auf die Straße.
„Ich schäme mich für diesen Krieg“
„Nein zum Krieg!“, stand auf dem Plakat, das Goncharenko vor sich hielt. Daneben eine weiße Friedenstaube. Und Goncharenko tat noch mehr. Er ließ sich mit dem Plakat fotografieren und teilte es in den sozialen Netzwerken. Nur eine Woche später erfuhr der 61-jährige Dissident aus vertraulichen Quellen, dass gegen ihn ermittelt wurde. Inzwischen hatte Präsident Wladimir Putin ein Gesetz verabschiedet, nach dem für die Verbreitung kritischer Informationen über den Krieg in der Ukraine künftig bis zu 15 Jahre Haft drohen.
Goncharenko und seine Frau packten sofort ihre Sachen, setzen sich ins Auto und fuhren über die Grenze nach Kasachstan. „Ich schäme mich für diesen Krieg“, sagt Goncharenko in seinem Wohnzimmer in der Hansestadt, wo er nun als Gast der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte lebt. „Ich entschuldige mich bei den Ukrainern für den durch die russischen Autoritäten entfesselten Krieg.“
Eine Phosphorbombe zerstörte die Wohnung des Ehepaars
Das Anti-Kriegs-Foto war nur das I-Tüpfelchen im langen Kampf des Arztes Alexander Goncharenko gegen das System Putin. Schon während seiner Zeit als stellvertretender Leiter eines Krankenhauses engagierte er sich nebenbei in der sozialliberalen Oppositionspartei Jabloko, die unter anderem von Ex-Oligarch und Putin-Gegner Michail Chodorkowski finanziert wurde. Außerdem veröffentlichte Goncharenko kritische Artikel in der Zeitung „Für die Menschenrechte“.
„Seit 2005 hat sich Russland schleichend immer mehr zu einem autoritären System entwickelt“, sagt Goncharenko. Immer wieder prangerte der Mediziner die Zensur an, die Verletzung der Menschenrechte, die Verfassungsänderungen zum Machtausbau Putins. Dafür wurde Goncharenko bestraft. Drei Mal wurde er wegen Teilnahme an Demonstrationen zu Geldstrafen verurteilt. Einmal flog eine Phosphorbombe in seine Wohnung und zerstörte das Schlafzimmer. Schließlich verlor er seine Stellung am Krankenhaus.
Auch in Kasachstan waren die Goncharenkos nicht mehr sicher
„Seitdem habe ich all meine Energie in die politische Arbeit gesteckt“, sagt Goncharenko. Immer wieder kritisierte er in Artikeln, in den Sozialen Medien und auf Demos Putins Vorgehen in der Ukraine, das mit der Besetzung der Krim 2014 begann und sich auf den Donbas ausweitete. Seine Frau Galina, auch sie eine Ärztin, arbeitete weiter und verdiente das Geld. Ihre gemeinsame Tochter verließ das Land und zog nach Großbritannien.
Als die Goncharenkos auch in Kasachstan nicht mehr sicher waren, weil es dort ein Auslieferungsabkommen mit Russland gibt und Alexander von einem russischen Gericht in Abwesenheit verurteilt wurde, folgten sie ihrer Tochter nach Europa. Am 27. September kamen sie in Hamburg an.
Dissident: „Putins Propaganda ist wie Gehirnwäsche!“
„Aus meiner Sicht als Ärztin ist Putin ein kranker Mann“, sagt Galina Goncharenko. „Er ist hasszerfressen, weil es ihm an Liebe und Zuneigung fehlt.“ Ihr Mann ergänzt: „20 Jahre an der Staatsspitze haben Putin machthungrig gemacht. Er kann nicht mehr loslassen.“
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Alexander Goncharenko will von hier aus weiter machen. Seine Landsleute aufklären. „Die Propaganda zeigt eine unglaubliche Wirkung. Ich bin traurig, wie viele Leute auf Putins Lügen hereinfallen. Das ist wie Gehirnwäsche!“ Durch die Zensur und den eingeschränkten Internet-Zugang sei es schwierig für die Bevölkerung, sich der Wahrheit zu nähern.
„Putin muss den Krieg in der Ukraine verlieren“
Das Dissidentenpaar sieht nur eine Chance: „Putin muss den Krieg in der Ukraine verlieren. Die Niederlage kann das Land schwer erschüttern. 1917 und 1991 haben gezeigt: Umbrüche können in Russland sehr schnell gehen.“
Für die Goncharenkos ist Putins Sturz Voraussetzung für eine mögliche Rückkehr in die Heimat. „Wir haben keine Wahl“, sagt Galina. Beide besuchen jetzt Deutsch-Kurse. „Wir würden hier gerne als Ärzte in Organisationen arbeiten, die sich mit humanitären und menschenrechtsbezogenen Aktivitäten wie zum Beispiel Flüchtlingen beschäftigen.“