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  • MOPO-Reporter Olivier David mit eindeutiger Botschaft: „Lars wohnt nicht auf der Straße“ – gemeint ist der Schauspieler Lars Eidinger.
  • Foto: Florian Quandt

Faul, prollig und selber schuld?: Schluss mit dem Armen-Bashing!

Mit einer Designer-Aldi-Tüte posierte Schauspieler Lars Eidinger im Januar vor Schlafplätzen von Obdachlosen – und erntete dafür Kritik. Die Düsseldorfer Obdachlosen-Organisation fiftyfifty konterte mit einer Tasche in Lidl-Optik, darauf steht: „Lars wohnt nicht auf der Straße“. Seit jeher werden arme Menschen verhöhnt, ihnen wird oft ausschließlich selbst die Schuld an ihrer Lage gegeben. Zeit, dem Armen-Bashing ein Ende zu setzen.

Auch ich finde, dass die Aktion von Schauspieler Lars Eidinger, Symbole des Elends als hip zu verkaufen, eine Frechheit ist.  Früher kam ein Mitschüler in meiner Schulzeit statt mit einem Schulrucksack mit einer Alditüte zur Schule. Ganz so schlimm war ich selbst nicht dran. Dennoch sind mir einige Phänomene von Armut sehr wohl ein Begriff.

Vor der Klassenfahrt vor den Augen aller nach vorne zum Lehrerpult müssen, um den Unterstützungsbescheid vom Amt abzugeben? Kenn ich. Im teuren Restaurant nicht wissen, welches Besteck für welchen Gang verwendet wird? Kenn ich. Während andere Leute nach der Schule ins Ausland gingen, arbeitete ich stattdessen im Supermarkt.

Faul, prollig, selber Schuld? Schluss mit dem Armen-Bashing

Arm sein und sich dafür schämen – das geht oft Hand in Hand. In unserer Gesellschaft, in der es heißt, dass jeder seines Glückes Schmied ist, in der, so die Erzählung, jeder vom Tellerwäscher zum Millionär werden kann, bedeutet Armut vor allem eines: Du bist selbst dran schuld. Auch wenn mittlerweile bei vielen angekommen ist, dass es in unserer Wirtschaftsordnung für einen Gewinner viele Verlierer braucht, ist das Bild vom armen, oft übergewichtigen Unterschichtsmenschen in unserem Bewusstsein fest verankert.

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Es gibt mindestens ein Dutzend Reality-Formate im deutschen Fernsehen, in denen arme Menschen vorgeführt werden. Und häufig ist ihnen das nicht einmal bewusst. 2016 deckte Moderator und Komiker Jan Böhmermann auf, dass in der Sendung „Schwiegertochter gesucht“, Menschen vorsätzlich schlechter und elendiger dargestellt werden, als sie sind.

Trash-TV macht alles nur noch schlimmer

Olivier David fordert ein Umdenken zum Thema Verbote.

Schon in der Schule bekam MOPO-Volontär Olivier David (31) mit, dass die meisten Kinder mehr hatten – heute schreibt er gegen die Ungleichheit an.

Foto:

Patrick Sun

Auch einige meiner Freunde setzen sich nach der Uni vor den Fernseher und gucken zur Entspannung erstmal Trash-TV. Danach rufen sie sich geflügelte Worte zu, wie zum Beispiel „Hauptsache, Alessio geht es gut“ – und lachen damit über den Sänger Pietro Lombardi, der, bevor er berühmt wurde, Schulabbrecher war und danach als Lackierer arbeitete. Vielen Menschen ist schlicht nicht bewusst, was sie da tun – und was es bedeutet.

Der Sänger Jan Delay ist Teil des Problems

Das Wort Klassismus ist dem Begriff Rassismus entlehnt, nur richtet sich die Diskriminierung eben gegen eine bestimmte Gesellschaftsschicht. Kurz: An die Armen. Kritik an dem Vergleich kam unter anderem vom Sänger Jan Delay. Der sagt, man könne sehr wohl seinen „Arsch hochkriegen, statt rumjammern“ – nur schlägt er damit genau in dieselbe Bresche: Arme müssten sich nur mehr anstrengen, dann würden auch sie endlich Erfolg haben. Nur ist diese Denkweise schlicht falsch.

Schon der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat aufgezeigt, wie fein die Unterschiede sind. Kinder aus Akademikerhaushalten beispielsweise verfügen über „kulturelles Kapital“, also das Wissen: Wie verhält man sich in jeder Situation angemessen? Wie isst man richtig mit Fischbesteck? Wie führt man ein Gespräch mit einem Dozenten? Wie hakt man richtig nach, wenn es um einen neuen Job geht? Dinge, die viele arme Menschen nicht wissen – und dadurch strukturell benachteiligt sind.

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Was also tun? Eine der größten Chancen, Vorurteile zu überwinden, bietet der direkte Kontakt. Da, wo Menschen verschiedener Milieus sich begegnen, da stellen viele Leute fest: Ah, die anderen sind gar nicht so anders als ich selbst. Da ist zum Beispiel die Stadtentwicklungsbehörde gefragt, die Neubauprojekte so konzipieren muss, dass Wohnraum für verschiedene Milieus entstehen und man vielleicht bald sagen kann: Ah, cool, du wohnst in Billstedt.

Was wir alle tun können: reflektieren. Habe ich Vorurteile gegenüber armen Leuten? Wenn ja: Treffen die in der Realität überhaupt zu? Kenne ich überhaupt Arme? Und was sagen die? Wenn man miteinander ins Gespräch kommt, vielleicht kommt dann raus, dass es doch mehr Gemeinsamkeiten gibt, als gedacht. Und noch eine Bitte: Hört auf, Trash-TV zu gucken.

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