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  • Babette Glöckner, Leiterin der Telefonseelsorge Hamburg übernimmt auch selbst noch Schichten am Telefon.
  • Foto: Florian Quandt

Die Leiterin erzählt: Der harte Alltag der Hamburger Telefonseelsorge

Altona –

Reden, reden, reden! Alles quatscht, doch die Worte laufen ins Leere. Jeder für sich und alle durcheinander. Haben wir das Zuhören verlernt? Ja, sagt Babette Glöckner. Die Leiterin der Telefonseelsorge Hamburg hat genau das zu ihrem Beruf gemacht. Ihre Mission: zuhören, reagieren, helfen! Auch ihr Leben hat sich dadurch verändert.

Die Räume der Diakonie Hamburg liegen Mitten in Altona. Ein Auto auf der vierspurigen Straße hupt, weil ihm der Weg abgeschnitten wurde, eine Frau auf dem Gehweg streitet sich am Telefon, eine Gruppe Halbstarker macht sich nichts aus Kopfhörern und lässt die Rap-Musik aus den Boxen dröhnen.

Von der belebten Fußgängerzone geht es in einen Hinterhof, bereits hier ebbt der Lärm ab. Einen Schritt ins Gebäude, die Tür schließt sich und die Stille nimmt einen in Empfang. Am Eingang flackert ein Teelicht, der Blick in den Flur gibt eine Hand voll Türen frei. Hohe Vasen mit Deko-Sträuchern stehen auf dem Boden. Der Geruch von frisch gebrühtem Kaffee liegt in der Luft. „Es freut mich, dass Sie da sind“, sagt Babette Glöckner und streckt lächelnd die Hand aus.

16 Jahre hat Babette Glöckner in der Krankenhausseelsorge gearbeitet

Seit knapp 30 Jahren kümmert sie sich um die Probleme Fremder, hört zu und begleitet sie bei den ersten Schritten zurück ins Leben. Sie ist Pastorin, hat 16 Jahre in der Krankenhausseelsorge gearbeitet. Seit zehn Jahren leitet sie die Telefonseelsorge Hamburg. Sie bildet neue Ehrenamtliche aus und übernimmt noch immer einige Schichten am Telefon.

Seit mehr als 50 Jahren steht das Seelsorgetelefon der Diakonie Hamburg allen Menschen zur Verfügung. Anrufen kann jeder, der ein offenes Ohr braucht. Rund um die Uhr ist der Apparat besetzt. Im vergangen Jahr wurden allein in Hamburg 28.825 Seelsorgegespräche geführt. Die meisten rufen an, weil sie einsam sind. Aber auch Schmerzen, Schlafstörungen oder Ängste sind häufig Thema: „Der Seele geht es schlecht und der Körper zieht hinterher“, sagt Babette Glöckner.

„Das Zuhören hat sich verändert“, sagt sie. „Die Menschen haben nur noch wenig freien Innenraum.“ Zuhören bedeute, sich auf andere einzulassen. Gefühle und Emotionen des Gegenüber selbst zu spüren und mit den gesprochenen Worten in Verbindung zu bringen. Doch die Menschen ziehen sich immer weiter in sich zurück. Die tägliche Reizüberflutung sorgt dafür, dass wir bereits voll von Eindrücken sind. Mehr ist nicht möglich. „Es ist eine Schutzmaßnahme der Seele“, erklärt sie.

Wenn keiner da ist, werden Fremde zu Zuhörern

Dabei ist das Bedürfnis, gehört zu werden, so stark, dass sogar Fremde darum gebeten werden. An diesem Punkt setzt die Arbeit von Babette Glöckner an: Sie hört zu, wenn es kein anderer mehr tut. Doch nicht jeder kann diese „Schwere“ am Telefon aushalten, sagt sie, zuhören, wenn der andere keinen Ausweg mehr sieht.

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Deshalb durchlaufen die Ehrenamtlichen einen langen Auswahl- und Ausbildungsprozess. Allen voran müssen sie psychisch belastbar sein: Sich mit sich selbst gut auskennen und Grenzen akzeptieren, empathisch sein. Seelsorger müssen die Gefühle anderer selbst erfahren und durchleben, sagt sie. „Es sollte auch eine profunde Lust vorhanden sein, auf Menschen zuzugehen und ihren Geschichten zu lauschen“. Im vergangenen Jahr teilten sich 86 ehrenamtlich ausgebildete Seelsorger die Schichten am Telefon.

Babette Glöckner öffnet die Tür zu einem der zwei Telefonräume: „Nur wenn es den Seelsorgern gut geht, können sie ihre Arbeit machen“, sagt sie. Gegenüber der Tür ist ein breites Fenster, das viel Licht in den Raum lässt. Relativ zentral steht ein hölzerner Schreibtisch, darauf das Telefon. An der linken Seite steht ein schmales Bett mit Kissen und Decken.

Kaffee, Tee und Obst: Jeder braucht kleine Rituale

Die Mitarbeiter sind frei in der Gestaltung ihrer Schicht, erklärt sie. „Sie können Pausen machen, sich etwas zu Essen holen.“ Wenn sie selbst das Telefon übernimmt, macht sie sich zuerst einen Kaffee, kocht eine Kanne Tee und stellt etwas Obst bereit. Nach jedem Gespräch macht Babette Glöckner eine kurze Pause: „Ich möchte nicht, dass die Energie des Gespräches in den nächsten Anruf rutscht.“

Selbst im Alltag spürt sie, dass es an Zuhörern fehlt: „Die Verkäuferin fängt plötzlich an zu erzählen und landet gleich bei tiefgründigen Themen wie Kindheit, Krankheit und Tod.“ Jeder wolle in der Masse wahrgenommen werden und dann platzen die Geschichten manchmal zu ungewöhnlichen Zeitpunkten heraus. „Auch die Kränkungsbereitschaft ist angestiegen. Wir können es kaum verkraften, wenn jemand uns nicht genau in diesem Moment seine volle Aufmerksamkeit schenkt“, sagt Babette Glöckner. Die Zeit rinnt uns durch die Hände.

„Zuhause muss ich die Seelsorgerin in mir abstellen“, sagt sie lachend. „Meine Mutter sagte mir das auch ständig.“ Der Beruf beeinflusst ihr ganzes Leben. „Die Arbeit weitet enorm den Horizont und bietet Zugang zu einer Fülle an Leben.“ Sie spricht von Gelassenheit gegenüber den Widrigkeiten des Alltags, von Barmherzigkeit mit sich selbst.

In Hamburg ist Babette Glöckner mit viel Leid konfrontiert worden

„Ich bin vom Krankenhaus in die Großstadt und war hier konfrontiert mit so viel Leid, das man sich in seinen kühnsten Träumen nicht ausmalen kann.“ Ihr wurde bewusst, dass es ihr besser geht, aber auch, dass alles schnell vorbei sein kann. „Ein Unfall kann alles verändern“, sagt sie und das könne jedem passieren.

Das Erkennen und Akzeptieren der eigenen Fehler und Schwächen fällt immer leichter. „Lebendiger kann ein Job nicht sein“, schwärmt sie. Eine Aufgabe fürs Leben, der sie mit Freuden jeden Tag wieder begegnet.  Es kommt auf die innere Haltung an. Die Schlüsselbegriffe des guten Zuhörens sind Glaubwürdigkeit, Verschwiegenheit und Aufmerksamkeit, so Babette Glöckner.

Die Notizzettel rascheln beim Verstauen in der Tasche. Einen Schritt aus dem Gebäude, eine junge Frau läuft am Telefon diskutierend vorbei, ein Lkw steht mit laufendem Motor am Rand der Straße. Ein Griff in die Jackentasche, Kopfhörer ins Ohr: Musik an, Welt aus!

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