• Hamburger Kiez: Die meisten der Geschäfte neben der nur von wenigen Touristen besuchten Herbertstraße sind geöffnet.
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Der Kiez und Corona: „Hier wacht so langsam das Leben wieder auf!“

St. Pauli –

Der Kiez um die Hamburger Reeperbahn erwacht langsam aus dem Corona-Schlaf und fährt allmählich seinen Betrieb wieder hoch. Doch wie vertragen sich die Corona-Regeln mit einem Viertel, das für Sünde und Ekstase steht?

Eigentlich will Lea tanzen. Doch in „Susis Show Bar“ am Beatles-Platz zwischen Hamburger Reeperbahn und Großer Freiheit ist nichts mit Show: Statt Tabledance serviert die groß gewachsene Blondine Getränke – in Dessous und mit Mundschutz. „Natürlich wünscht man sich, auf die Bühne zu gehen“, sagt sie. „Deswegen sind wir ja auch eigentlich hier.“ Doch mehr als eine kleine Drehung beim Servieren sei gerade nicht drin.

Video: Vor Kontaktverbot – so feiert man ein letztes Mal auf dem Kiez

St. Pauli: Hamburger Kiez fährt den Betrieb langsam wieder hoch

Viele Besucher kommen auf den Kiez, weil sie hier über die Stränge schlagen können. Die coronabedingten Maßnahmen treffen das Viertel deshalb besonders hart. Doch der Kiez kämpft. „Wir sind der erste Laden auf der Freiheit, und wir müssen natürlich auch ein bisschen Flagge zeigen“, sagt Christian Schnell, Geschäftsführer von „Susis Show Bar“.

Wirtschaftlich rentiere sich die Wiedereröffnung vor vier Wochen bisher nicht. Maximal 35 Gäste dürften sich in der Bar aufhalten –  ein Drittel der eigentlichen Kapazität. Aber es fehlten ohnehin noch die Gäste, vor allem die Touristen. Etwa ein Fünftel des üblichen Umsatzes mache er. Es sei ein Kampf, den sie aufgenommen hätten, sagt Schnell. „Und den werden wir auch durchziehen.“

„Susis Show Bar“ ist eine Institution – wie Herbertstraße und Davidwache.

„Susis Show Bar“ ist eine Institution – wie Herbertstraße und Davidwache.

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Seitdem Mitte Mai Restaurants und Kneipen unter Auflagen wieder öffnen konnten, kommen zumindest allmählich wieder mehr Menschen und auch Touristen auf den Kiez. Das bestätigt auch die Polizei. Die Besucherzahlen seien aber im Vergleich zur Zeit vor Corona niedriger. Und so schlendern zwar Pärchen und kleinere Gruppen über die Reeperbahn, normalerweise wären die Bürgersteige an einem lauen Sommerabend aber wesentlich voller.

Hamburger Kult-Kneipe „Zur Ritze“: So lässt sich hier Abstand halten

150 Meter weiter befindet sich das „Pink Palace“ auf der Reeperbahn. Die 55 Zimmer des Bordells sind seit Mitte März verwaist. Er komme nur vorbei, etwa um die Post durchzugehen, sagt Geschäftsführer Thorsten Eitner. „Momentan ist einfach nur Abwarten.“ Zu Anfang habe er die Entwicklung rund um die Corona-Pandemie noch ständig im Fernsehen verfolgt, mittlerweile mache er das aber nicht mehr. Selbst wenn eine Öffnung wieder erlaubt sein sollte, wolle er nichts überstürzen.

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Um die Ecke in der Kultkneipe „Zur Ritze“ sitzen Kirsten Markgraf und Andreas Wegenhoff am Tresen. Sie sind für drei Tage in Hamburg und kommen aus dem Ruhrgebiet. „Da darf man zum Beispiel gar nicht am Tresen sitzen“, sagt Wegenhoff. Sie seien froh, dass das hier zumindest mit Abstand möglich sei. In dem Lokal hängen signierte Fotos von Kiezgrößen und Prominenten dicht an dicht – neu sind die Absperrungen aus rotem Flatterband und die mit Folie improvisierten Trennwände. Wegenhoff scheint das nicht zu stören. „Sehr, sehr schön“, finde er es. „Eigentlich wären wir jetzt auf Mallorca“, sagt Kirsten Markgraf. Hamburg sei der Ersatzurlaub.

Kiez-Touren auf der Reeperbahn: 4 statt 100 Teilnehmer

Im Ersatzurlaub sind auch Frank und Viola Meyer aus der Nähe von Heidelberg. Sie hatten eigentlich nach England reisen wollen. Stattdessen lassen sie sich nun hinter der „Ritze“ von Michael Gremliza die Geschichte des Lokals erzählen – früher ein Treffpunkt von Rotlichtgrößen. Gremliza bietet zusammen mit seinem Partner Sven Jakobsen als „Kiezjungs“ Touren über die Reeperbahn an. Was jetzt anders ist? „Ist total leer“, sagt Heike Koch.

Michael Gremliza, einer der "Kiezjungs"-Touristenführer auf dem Hamburger Kiez, steht im Boxclub "Zur Ritze".

Michael Gremliza, einer der „Kiezjungs“-Touristenführer auf dem Hamburger Kiez, steht im Boxclub „Zur Ritze“. 

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Das bekommt auch „Kiezjung“ Gremliza zu spüren. „Wenig Gäste, aber die waren zufrieden“, sagt er nach der Tour. Statt vier Teilnehmern, hätten die „Kiezjungs“ vor Corona auch Touren mit 100 Leuten gehabt. Seit rund vier Wochen sind Stadtführungen in Hamburg wieder erlaubt. Es kämen mehr Anfragen, aber aufholen können man die Verluste nicht mehr. „Das Jahr ist kaputt, völlig“, sagt Gremliza. Bei unter zehn Prozent des üblichen Umsatzes seien sie aktuell.

„The Chug Club“ in Hamburg: Jede Woche wird es besser

Von unter zehn Prozent Umsatz im Vergleich zum Vorjahresmonat spricht auch Uwe Schindzielorz, Geschäftsführer von „Unser Hamburg“, das Stadtführungen in ganz Hamburg anbietet. Die „Kult-Kieztouren“, zu denen unter anderem die Führungen mit Olivia Jones gehören, kommen nach eigenen Angaben beim Vorverkauf auf 40 bis 50 Prozent dessen, was für diese Jahreszeit üblich sei.

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Bettina (Betty) Kupsa, Betreiberin der Tequila-Bar „Chug Club“ auf St. Pauli, steht an einem Tisch ihrer Bar an dem durch Plexiglasscheiben ein Infektionsschutz für die Gäste aufgebaut ist. 

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In einer Querstraße der Reeperbahn findet man die Tequila-Bar „The Chug Club“, sie hat schon seit 14. Mai wieder geöffnet. Um die Auflagen zu erfüllen, hat die Betreiberin Bettina Kupsa innerhalb eines Tages Abstände ausgemessen, Trennwände aus Holz eingebaut oder Plexiglasplatten am Tresen installiert. „Hier wacht so langsam das Leben wieder auf“, sagt sie. „Das wird einfach jede Woche besser.“ Es sei aber noch ein langer Weg bis die Bar „wieder das ist, was es mal war – nämlich ein Platz der Begegnung“.

Corona in Hamburg: Bars und Kneipen geöffnet, Clubs weiterhin zu

Kupsa erwirtschafte mit ihrem Lokal mittlerweile ungefähr die Hälfte des normalen Umsatzes. Damit geht es ihr im Vergleich zu vielen anderen Lokalen relativ gut. Kaum ein Betrieb komme auf mehr als 20 oder 30 Prozent, sagt Maik Hennig, selbst Barbetreiber und Mitglied vom „barkombinat“, einem Zusammenschluss von 100 Hamburger Lokalen. Die Initiative hatte Ende Mai Forderungen an den Hamburger Senat gestellt – unter anderem Mietzuschüsse oder die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes. Mittlerweile habe die Stadt Gespräche angeboten.

Sebastian (Baster) Rübsam, Inhaber der «Komet Musik Bar» auf St. Pauli, wartet in seinem Lokal auf Gäste.

Sebastian (Baster) Rübsam, Inhaber der «Komet Musik Bar» auf St. Pauli, wartet in seinem Lokal auf Gäste.

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Während Bars und Kneipen unter Auflagen wieder geöffnet haben, ist das Tanzen in Clubs weiter untersagt. „Das trifft einen natürlich total ins Mark“, sagt Sebastian Rübsam, genannt Baster. Er ist Inhaber der „Komet Musik Bar“ in einer Parallelstraße der Reeperbahn, wo er normalerweise auch Platten auflegt. Stattdessen empfängt er nun mit Mundschutz seine Gäste und reicht ihnen Listen für deren Kontaktdaten. Gut ein Dutzend Besucher haben sich auf die Sitzplätze verteilt. Die Tanzfläche ist leer.

Hamburg: Hoffnung auf neue Corona-Lockerungen ab Juli

Seit Anfang Juni hat der „Komet“ mit Barbetrieb wieder geöffnet. Bei etwa 40 Prozent des Umsatzes sei man derzeit. Gefragt nach der schwierigsten Corona-Auflage, nennt Baster wie andere Barbetreiber auch, die Regel, dass sich nur Personen zweier Haushalte treffen dürfen. Er hoffe, dass diese Auflage wie zuvor schon in anderen Bundesländern bald auch in Hamburg falle.

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Das könnte frühestens ab 1. Juli passieren, denn bis dahin gilt die aktuelle Rechtsverordnung. Die Hamburger Wirtschaftsbehörde machte zwar zunächst keine konkrete Zusage, schrieb aber, die seit Ende April beschlossenen Lockerungen hätten bisher nicht zu einem Anstieg des Infektionsrisikos geführt. „Deshalb können immer mehr Bereiche des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft geöffnet werden.“ Grund zur Hoffnung besteht also, dass der Kiez bald weiter erwacht.

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