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Ein Krabbenfischer hält eine Kiste mit frisch gefischten Krabben
  • Hat die Fischerei in Deutschland noch eine Zukunft? Nur 758 Fischer fahren noch raus aufs Meer.
  • Foto: dpa | Carsten Rehder

Sie wissen nicht, wie es weitergehen soll: unsere verratenen Fischer

Aufmerksamkeit ist eine Währung in unserer Zeit, und dass auch diese Währung häufig ungerecht verteilt wird, beweist die Situation der Fischer. Sie können nicht mit mächtigen Fendts und John-Deere-Traktoren vor das Brandenburger Tor rollen und den Verkehr der Innenstädte kollabieren lassen. Sie sind wenige, haben keine Lautsprecher unter Filzhüten und so gut wie keine Lobby. 

Ihre Probleme bleiben wie ihre Kutter meistens hinter dem Horizont verborgen. Dabei stinkt das, was ihnen widerfährt, längst wie eine vergessene Tüte Nordseekrabben nach drei Wochen. Ihre Nöte könnten sich auf viele kleine Häfen übertragen – und sie bedrohen den Norden, wie wir ihn kennen.


Stefan Kruecken hfr
Stefan Krücken

Der Autor: Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag (www.ankerherz.de). Vorher war er Polizeireporter für die „Chicago Tribune“, arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie „Max“, „Stern“ und „GQ“ von Uganda bis Grönland. Sein neues Buch „Das muss das Boot abkönnen“ gibt es im MOPO-Shop unter mopo.de/shop. Weitere Bücher gibt es im Ankerherz-Shop – zum Beispiel „Das kleine Buch vom Meer – Helden“ oder „Mayday – Seenotretter über ihre dramatischsten Einsätze“.

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Aber der Reihe nach. Im vergangenen Jahr hat der Bund Gebiete in der Nord- und Ostsee für Windenergieanlagen an Energiekonzerne versteigert. 13,3 Milliarden Euro brachte das ein. Ein reicher Fang, der rechtlich verbindlich verteilt wurde. Der Großteil ging in die Senkung von Stromkosten, insgesamt fünf Prozent in den Meeresschutz – und ein Anteil davon an die Fischer.

Das ist nur fair, sollte man meinen, schließlich fehlen ihnen fortan Fanggebiete, also ihre Lebensgrundlage. 670 Millionen Euro sollten sie erhalten, unter anderem, um ihre Flotte zu modernisieren. Viele der Kutter sehen zwar auf Urlaubsfotos schick aus, tuckern aber schon seit 60 oder 70 Jahren über die Wellen.

670 Millionen Euro sollten sie erhalten. Zumindest war das der Plan

Zumindest war das der Plan, bis der Haushaltsentwurf der Bundesregierung kollabierte. Im neuen Spar-Etat sind nun noch 134 Millionen vorgesehen. 536 Millionen Euro wurden also gestrichen, einfach so. Die Fischer haben im Internet davon erfahren. Wie das rechtlich möglich ist? Zumindest an dem Punkt scheint man in Wirtschafts- und Finanzministerium Kreativität zu entwickeln. Manche munkeln, ob es ziemlich genau die Summe sein könnte, die nun die wütenden Bauern beruhigen soll?

Nun profitieren viele Menschen, eigentlich das ganze Land, vom Öko-Strom durch die Offshore-Anlagen. Mit Ausnahme der Fischer, die mit dem Meer leben. Selbst in der Wissenschaft gibt es Widerspruch. „Die Krise der Fischerei ist so groß, dass wir das nicht auf die lange Bank schieben dürfen. Sonst gibt es bald keine kleine Küstenfischerei mehr“, sagt Christopher Zimmermann, Leiter des Thünen-Instituts für Ostseefischerei in Rostock, dem NDR.

Jedes Jahr hören 15 Fischer auf, nur zwei bis drei kommen nach

758 Fischer im Haupt- und Nebenerwerb fahren noch raus aufs Meer, auf insgesamt 486 Fischkuttern und offenen Booten. Jedes Jahr hören 15 Fischer auf, nur zwei bis drei kommen nach. Wer hat schon Lust, in einen Beruf ohne Zukunft zu starten?

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„Die Stimmung ist am Tiefpunkt“, schreibt mir André Claußen per WhatsApp, er ist aktuell auf der Nordsee, Krabben fangen mit seinem Kutter „Andrea“. „Wir wissen einfach nicht, wie es weitergehen soll“.

Eine Frage, die sich nicht nur die Fischer stellen. Was soll aus Dörfern wie Fedderwardersiel, Wremen, Dorum, Husum oder Travemünde werden, wenn die Kutter nicht mehr sind? Schlendern Touristen an leeren Hafenbecken vorbei? Was bedeutet das für Hotels, Restaurants und den Tourismus? Stirbt nicht auch eine wichtige Identität der Küsten, wenn die Fischer verschwinden? Und macht sich jemand in Berlin darüber eigentlich Gedanken?

Das Gefühl, vergessen worden zu sein, ist für viele Landwirte ein Motiv ihrer Proteste und ihrer Wut. Jahrelang hat sich das aufgestaut. Wie soll es erst den Fischern gehen, fragt man sich. Wenn Politik nicht zu ihren Versprechen steht und Abmachungen einhält, dann droht etwas, das nicht nur Fischer fürchten: der Schiffbruch für MS Deutschland.

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