Nikolausbrauch Klaasohm: Die gruselige Seite der Insel Borkum
Auf der Insel Borkum haben 200 Frauen für das Recht demonstriert, von maskierten Kerlen mit Kuhhörnern geschlagen zu werden. Klaasohm nennt sich der Brauch, angeblich aus der Zeit der Walfänger, die nach Monaten auf See ihre Frauen wieder einnorden wollten.
Zum Konzept des Festes, das auf der Insel einen Stellenwert wie Weihnachten einnimmt, gehört es, dass sechs anonyme, junge Männer unter tonnenförmigen Helmen, die mit Schafspelz bezogen und mit Federn und Möwenflügeln beklebt wurden, Frauen jagen. Um sie mit Kuhhörnern zu prügeln.
Noch 2023 taten sie dies. Auf einer deutschen Ferieninsel. Doch, wirklich.
Frauen mit Kuhhörnern prügeln – 2023 auf einer deutschen Ferieninsel
„Der Klaasohm mag das nicht“, dieser Satz reichte bislang aus, damit alle auf der Insel darüber schwiegen. Bis jetzt, denn ein NDR-Fernsehteam filmte Gewaltszenen und interviewte Frauen der Insel, die berichteten, wie sie grün und blau geschlagen wurden. Sie erzählten von ihrer Angst. Anonym, aus Furcht, im Alltag gemobbt und ausgegrenzt zu werden.
![Stefan Krücken](https://cdn.mopo.de/uploads/sites/4/2023/04/f2a25e0c0c070f7a1b489ed04bf08ef1-wurde-auf-facebook-gesperrt-stefan-kruecken-vom-ankerherz-verlag-1.jpg?resize=101%2C117&crop_strategy=smart)
Der Autor: Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag (www.ankerherz.de). Vorher war er Polizeireporter für die „Chicago Tribune“, arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie „Max“, „Stern“ und „GQ“ von Uganda bis Grönland. Sein neues Buch „Das muss das Boot abkönnen“ gibt es im MOPO-Shop unter mopo.de/shop. Weitere Bücher gibt es im Ankerherz-Shop – zum Beispiel „Das kleine Buch vom Meer – Helden“ oder „Mayday – Seenotretter über ihre dramatischsten Einsätze“.
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Mich kontaktierte nach einem Kommentar auf unserer Facebook-Seite eine junge Frau, der vom Mob des Klaasohm aufgelauert worden war. „Das Schlimmste waren nicht die Schmerzen, sondern die Zeit nach der Demütigung“, sagte sie. „Niemand nahm mich ernst.“
Klaasohm auf Borkum: Empörung nach NDR-Doku groß
Nachdem der NDR den Beitrag sendete, war die Empörung groß. Also, auf dem Festland, von Flensburg bis Pfronten. Auf Borkum erklärte Inselbürgermeister Jürgen Akkermann die NDR-Reporter zu Schuldigen und beschwerte sich über „einseitige Berichterstattung“. Als ob Gewalt gegen Frauen zwei Seiten hätte. Dass Journalisten auf der Insel seit Jahrzehnten zum Thema Klaasohm keine Antworten, dafür aber Prügelangebote erhielten, erwähnte er nicht.
Meine Fragen, zum Beispiel darüber, wie zukunftsfähig das Konzept Frauenschläge für eine Urlaubsinsel im Jahr 2024 wohl ist, ließ Akkermann unbeantwortet. Der Verein „Borkumer Jungens von 1830“, der das Fest organisiert, kündigte nach dem nationalen „Shitstorm“ an, Gewalt zu verbieten. Die Inselpolizei, die bislang anscheinend nur zuschaute, wenn Frauen mit Kuhhörnern malträtiert wurden, verspricht eine „Null-Toleranz-Politik“.
Borkum: Klaasohm 2024 ohne Gewalt an Frauen
Damit ist die Sache für viele auf Borkum erledigt, wie eine kleine Sandburg, die von der Flut weggetragen wird.
Wenig Mitgefühl für die geschlagenen Frauen aus ihrer Mitte, im Gegenteil. „Soll sich nicht anstellen“, war zu lesen. Kaum Selbstkritik, wieso dieser Teil des Festes so lange akzeptiert wurde. Dafür Schweigen oder Trotz oder gar Wut auf jene, die das Geheimnis publik machen.
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Eine Insel funktioniert wie ein Schutzraum im Meer. Man hält zusammen. Man ist aufeinander angewiesen. Man trotzt dem Sturm. Manchmal hat eine Insel aber auch etwas Unheimliches.