Rund 3800 Menschen leben in Hamburg auf der Straße. (Symbolbild)

Rund 3800 Menschen leben in Hamburg auf der Straße. (Symbolbild) Foto: picture alliance / ABBfoto

Erschreckend: So schlecht geht es Hamburgs Obdachlosen

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Monatelang haben Wohnungslose und Hilfseinrichtungen darauf gewartet, nun ist sie da: Die Sozialbehörde hat die Ergebnisse einer Gesundheitsbefragung von Obdachlosen in Hamburg veröffentlicht. Sie zeichnen ein düsteres Bild: Vielen geht es gesundheitlich schlechter denn je. Fast 70 Prozent leiden unter körperlichen oder psychischen Problemen – viele ohne Krankenversicherung. „Dass man wie ein Mensch behandelt wird und nicht zweiter Klasse“, wünscht sich ein Befragter. Andere bitten schlicht: „Ich brauche einfach nur ein warmes Zuhause.“ Wie die Behörde reagiert.

Der Gesundheitszustand der Obdachlosen auf Hamburg Straßen wird immer schlechter. Bei einer Befragung bewertete mehr als die Hälfte der Obdachlosen ihre Gesundheit als weniger gut oder schlecht, wie die Gesundheitsbehörde mitteilte. 41 Prozent gaben an, psychische oder Suchterkrankungen zu haben, weitere 16 Prozent erklärten, zusätzlich an körperlichen Erkrankungen zu leiden. Lediglich 26 Prozent bewerteten ihre Gesundheit als gut oder sehr gut.

Rund 3800 Obdachlose in Hamburg

Nach dem jüngsten, im Januar veröffentlichten Wohnungslosenbericht des Bundes gibt es in Hamburg rund 3800 Obdachlose. Die Behörde hat nun nach eigenen Angaben 300 Fragebögen obdachloser Menschen ausgewertet. Die Befragung fand schon im Februar 2024 statt. Dass die Behörde rund 20 Monate für die Auswertung brauchte, hatte zuletzt für scharfe Kritik gesorgt. Die MOPO hatte darüber berichtet.



Nun hat die Behörde reagiert und die Ergebnisse sind öffentlich: Obwohl mehr als zwei Drittel der Befragten über dauerhafte gesundheitliche Probleme berichteten, gab nur knapp ein Drittel an, Unterstützung zu benötigen – aus Sicht der Behörde ein Hinweis auf eine eingeschränkte Krankheitseinsicht oder mangelnde Behandlungsbereitschaft. Rund 31 Prozent der Befragten suchten Sucht- oder Drogenberatungsstellen auf – fast doppelt so viele wie in früheren Jahren.

Fehlende Krankenversicherung weiter großes Problem

Weiterhin ein Problem für viele Obdachlose ist das Fehlen einer Krankenversicherung. So seien 72 Prozent der deutschen, aber nur 42 Prozent der nicht-deutschen Befragten versichert. 77 Prozent nutzten daher in den vergangenen sechs Monaten niedrigschwellige Angebote, über die zumindest eine medizinische Grundversorgung verfügbar ist. Nur 51 Prozent nahmen reguläre medizinische Leistungen in Anspruch. Von denjenigen, die in den vergangenen sechs Monaten Leistungen in Anspruch genommen haben, waren mit mehr als 33 Prozent die meisten mit den Angeboten zufrieden. Ein Fünftel war unzufrieden.

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Der Fragebogen hat auch identifiziert, welche Barrieren es für die Inanspruchnahme von Angeboten gibt. Besonders häufig gaben die Befragten an, sich nicht zu trauen oder kein Fahrgeld für Bus oder Bahn zu haben, um die Angebote zu erreichen. Auch, dass die Angebote nicht helfen würden oder sich nicht willkommen zu fühlen, wurde häufiger als Barriere genannt.

Besonders schwer haben es dabei obdachlose Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, die mehr als die Hälfte der obdachlosen Menschen Hamburgs ausmachten. Sie haben nach Angaben der Behörde aufgrund sehr häufig fehlender Leistungsansprüche oder Sprachbarrieren überwiegend keinen Zugang zur Regelversorgung. 

Hamburg: Was sich Wohnungslose von der Versorgung wünschen

Und was wünschen sich Wohnungslose? Eine „menschliche“ Behandlung – das spiegeln laut Auswertung viele der frei formulierten Antworten wider. „Dass man wie ein Mensch behandelt wird und nicht zweiter Klasse“, heißt es zum Beispiel, oder: „Meine ,individuellen‘ Problematiken respektieren, ernst nehmen, zuhören, ZEIT nehmen.“ Besonders Suchtkranke betonten, dass sie sich eine diskriminierungsfreie Behandlung wünschen. „Suchterkrankte sollen als ,Mensch‘ behandelt werden“, wird eine Antwort als Beispiel in der Auswertung zitiert – laut den Autoren lasse das „befürchten, dass eine Abhängigkeitserkrankung zu zusätzlicher Diskriminierung im Gesundheitssystem führt.“

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Zudem wird ersichtlich, dass Wohnungslose auch für längerfristige Behandlungen offen wären: „Bein richtig zu Ende behandeln. Wunde seit 5 Jahren und immer nur Verband bekommen“, schreibt etwa einer der Befragten. Oder: „Umfangreiche Hilfe statt nur kurz Tablette.“

An Hitzetagen wünschen sich Betroffene vor allem Wasser und Schatten oder Räume zum Abkühlen. Im Winter wärmende Sachen, warmes Essen und heiße Getränke. Zudem wünschen sich Befragte auch längere Öffnungszeiten des Winternotprogramms. Eine Person schrieb aber auch: „Ich brauche keine spezielle Hilfe – Ich brauche einfach nur ein warmes Zuhause / Heim / eigene Wohnung.“

Senatorin von Umfrageergebnissen nicht überrascht

„Die Ergebnisse der Gesundheitsbefragung überraschen uns nicht“, sagte Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD). Die Befragung zeige, dass viele nur schwer Zugang zu Hilfe finden. „Das bestärkt uns darin, unseren eingeschlagenen Weg konsequent fortzusetzen.“

Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) sieht sich im Weg der Behörde bestärkt. (Archivbild) Marius Röer
Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) sieht sich im Weg der Behörde bestärkt. (Archivbild)
Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) sieht sich im Weg der Behörde bestärkt. (Archivbild)

Mit der Neukonzeption der Straßensozialarbeit, dem Social Hub Hauptbahnhof und dem Streetwork-Mobil würden obdachlose Menschen direkter auf der Straße erreicht. „Parallel setzen wir den Landespsychiatrieplan um, um insbesondere schwer psychisch und häufig auch gleichzeitig suchterkrankte obdachlose Menschen noch gezielter zu unterstützen.“

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Der sozialpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Andreas Grutzeck, nannte die Ergebnisse alarmierend und warf dem Senat vor, nur mit kleineren Korrekturen innerhalb eines Systems zu reagieren, das offenkundig versage.

Andreas Grutzeck ist CDU-Abgeordneter und zuständig für die Themen Soziales, Arbeit, Senioren und Gleichstellung. Michael Zapf/Hamburgische Bürgerschaft
Andreas Grutzeck ist CDU-Abgeordneter und zuständig für die Themen Soziales, Arbeit, Senioren und Gleichstellung.
Andreas Grutzeck ist CDU-Abgeordneter und zuständig für die Themen Soziales, Arbeit, Senioren und Gleichstellung.

„Es reicht nicht, immer neue Konzepte und Arbeitsgruppen vorzustellen, während auf der Straße Menschen krank werden, ohne medizinische Versorgung bleiben und vielfach sterben.“ Der rot-grüne Senat dürfe sich nicht länger damit zufriedengeben, Symptome zu verwalten, während die soziale Not wachse.

Sozialverband kritisiert Umgang mit Obdachlosen

Kritik am Umgang mit Obdachlosen kam auch vom Sozialverband Hamburg. So seien im vergangenen Winter mindestens 47 obdachlose Menschen in der Hansestadt gestorben – 26 im Krankenhaus, 21 auf der Straße. Nur auf die Notunterkünfte im Winter und eine verstärkte Straßensozialarbeit zu setzen, werde nicht ausreichen, um Obdachlosigkeit nachhaltig zu bekämpfen, sagte der Sozialverbandsvorsitzende Klaus Wicher.

„Darum ist klar – im Winter müssen die Notunterkünfte auch am Tag geöffnet bleiben und Verpflegung ausgeben.“ Ein Muss sei auch der Ausbau des Projekts „Housing First“, bei dem Obdachlose ohne Vorbedingungen und vor allen anderen Hilfsleistungen eine Wohnung erhalten. (nf/dpa)

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