Adam Dzwigala stürzt über Tiago Tomas

Eine harte Landung nicht nur für Adam Dzwigala: St. Pauli ließ auf die starken Leistungen in den vergangenen Wochen eine mäßige Vorstellung in Stuttgart folgen. Foto: WITTERS

„Schlechtestes Spiel seit langem!“ Kiezkicker üben Selbstkritik und schlagen Alarm

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Es war zu wenig. Von allem. Und von allen. Die logische und auch verdiente Quittung für den FC St. Pauli: die erste Niederlage der Saison. Beim 0:2 in Stuttgart zeigten die Kiezkicker eine nahezu kollektiv mangelhafte Leistung und konnten sich bei ihrem Keeper Nikola Vasilj bedanken, der eine richtige Klatsche verhinderte. Nach dem braun-weißen Topstart mit sieben Punkten aus drei Spielen ist der missratene Ausflug in die Heimat von Trainer Alexander Blessin kein Beinbruch, aber ein Dämpfer, vor allem jedoch: ein Warnschuss. Die Führungsspieler redeten nach der Partie Tacheles und schlugen Alarm. Tenor: So kann und darf es nicht weitergehen.

Finstere Mienen, klare Worte, kein Beschönigen, kein Relativieren. „Wir waren nicht gut heute. Wir befolgen unsere Prinzipien nicht gut genug. So kann man keine Fußballspiele gewinnen“, brachte es Kapitän und Abwehrchef Eric Smith auf den Punkt. „Wir haben die Basics vermissen lassen. Wir gewinnen nicht genügend Zweikämpfe, wir verteidigen nicht zusammen, wir helfen uns nicht mit dem Ball. Das war unser schlechtestes Spiel seit langer Zeit.“

Hauke Wahl: „Wir waren in allen Belangen schlechter“

Von einer absolut verdienten Niederlage sprach auch Hauke Wahl. „Wir waren in allen Belangen schlechter als der VfB. Es fällt mir gerade schwer. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber wir hatten keine gute Energie, haben viele Fehler gemacht, waren mit Ball und gegen den Ball nicht gut. Dann ist es schwer, überhaupt ein Spiel zu gewinnen oder offen zu gestalten.“ Wahl erneuerte seine Mahnung der vergangenen Wochen: „Ich glaube, dass wir defensiv noch nicht auf dem Level sind wie im letzten Jahr. Das hat man heute gesehen. Aber noch wichtiger ist: Es kann nicht sein, dass ein Gegner mehr Energie hat als wir und in den Basics besser ist. Dafür sind wir einfach nicht gut genug, um mit 99 oder 98 Prozent hier ein Spiel zu gewinnen. Wir müssen zwei, drei Schippen drauflegen.“


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Trainer Alexander Blessin schlug in die gleiche Kerbe. „95 oder 99 Prozent ist mir egal. Das reicht einfach nicht“, stellte der Coach klar. „Wir sind nicht zufrieden. Wir haben viele Dinge schlecht gelöst mit Ball, uns eher versteckt. Wir hatten zwar ein paar Chancen in der zweiten Halbzeit, aber heute von Zurückkommen zu reden, wäre viel zu vermessen. Wir haben alle, die ganze Mannschaft, nicht die Leistung aus den ersten drei Spielen gezeigt.“

Nur Nikola Vasilj überzeugte beim FC St. Pauli

Vor den 60.000 Zuschauenden in der ausverkauften MHP Arena in Stuttgart war der Tabellenvierte vom Kiez über weite Phasen des Spiels auch von den genannnten Prozentzahlen ein gutes Stück entfernt gewesen. Individuell und kollektiv. Kaum ein Spieler erreichte Normalform. Ausnahme: Torhüter Vasilj, der in der ersten Halbzeit einen Foulelfmeter von Nationalspieler Angelo Stiller (23.) pariert hatte – sein sechster gehaltener von sieben Strafstößen in der Bundesliga. Eine unfassbare Quote. Mit weiteren Klasseparaden wendete er eine deutlichere Niederlage ab.

Der Liveticker zum Nachlesen

Schon bevor das Spiel überhaupt angepfiffen worden war, hatten der VfB und seine Fans groß und breit gefeiert – und zwar den DFB-Pokalsieg im Mai. In einem Filmchen, das über die Videowände der Arena flimmerte, schwelgten Stuttgarter Spieler noch einmal von ihrem 4:2-Sieg gegen den damaligen Drittligisten Arminia Bielefeld (mit Neu-Kiezkicker Louis Oppie), anschließend gab es eine ebenso riesige wie sehenswerte Cup-Sieger-Choreografie in der Cannstatter Kurve.

Saliakas rückte für Pyrka in St. Paulis Startelf

Die Partystimmung setzte sich nach dem Anpfiff fast nahtlos fort, als Demirovic eine Freistoßflanke von Stiller einköpfte und dabei derart frei war, dass es Abseits sein musste. Aber die Cannstatter Kurve und auch der vermeintliche Torschütze brauchten recht lange, um das zu realisieren. St. Pauli im Glück.

Enttäuschung: Manolis Saliakas ist unzufrieden. WITTERS
Enttäuschung: Manolis Saliakas ist unzufrieden.
Enttäuschung: Manolis Saliakas ist unzufrieden.

Trainer Alexander Blessin hatte seine ganz in Rot spielenden Kiezkicker im Vergleich zum 2:1-Sieg gegen Augsburg nur auf einer Position verändert und diese Personalie war auch keine Überraschung: Manolis Saliakas rückte als rechter Schienenspieler für Arkadiusz Pyrka in die Startformation. Startelfdebüt für den Griechen, der defensiv mächtig gefordert war – wie alle St. Paulianer. Zu oft überfordert mit der Stuttgarter Wucht.

Demirovic bringt Stuttgart kurz vor der Pause in Führung

Die Braun-Weißen standen nicht gut, ließen die defensive Stabilität und Aggressivität vermissen, die sie stark macht. Der VfB hatte zu viel Platz, konnte das Mittelfeld zu leicht und zu schnell überbrücken und gefährlich mit Tempo den Hamburger Strafraum bespielen. St. Pauli hatte zu wenig Zugriff, die Doppelsechs aus James Sands und Joel Chima Fujita funktionierte und harmonierte an diesem Abend nicht gut genug, die Staffelung passte nicht, der Weg zum Tor durchs Zentrum war für den Gegner oftmals frei.

Ermedin Demirovic chipt den Ball über Nikola Vasilj hinweg ins Tor. imago/kolbert-press
Ermedin Demirovic chipt den Ball über Nikola Vasilj hinweg ins Tor.
Ermedin Demirovic chipt den Ball über Nikola Vasilj hinweg ins Tor.

Das erste Gegentor fiel zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt: kurz vor der Halbzeitpause. Demirovic kam im Strafraum der Braun-Weißen viel zu frei an den Ball, ließ Eric Smith aussteigen und sich auch nicht von Louis Oppie stören und netzte eiskalt ein (43.). Eine verdiente Führung.

El Khannouss erhöht kurz nach Wiederanpfiff

Bitter, dass das zweite Gegentor dann kurz nach der Pause fiel, in der sich die Kiezkicker in der Kabine noch einmal eingeschworen hatten, um die Partie zu drehen wie zuletzt das Spiel gegen Augsburg. Erschreckend, wie frei stehend El Khannouss an der Strafraumgrenze zum Schuss kam. Viel zu einfach – und zu allem Überfluss noch nach eigenem Einwurf. So etwas kennt man von den Kiezkickern eigentlich nicht: die große Freiheit des Gegners im Sechzehner von St. Pauli.

Bilal El Khannouss setzt sich gegen Hauke Wahl durch. IMAGO/DeFodi Images
Bilal El Khannouss setzt sich gegen Hauke Wahl durch.
Bilal El Khannouss setzt sich gegen Hauke Wahl durch.

Pech gesellte sich auch noch hinzu, als Oppie den Ball per Dropkick an die Unterkante der Latte setze und nicht ins Netz beförderte. Der Abschlusstreffer hätte vielleicht noch mal Energie freigesetzt, aber die Gäste waren nicht gut genug an diesem Abend, um ernsthaft das Konjunktiv-Spielchen mit „hätte“ und „wäre“ zu spielen. Die Kiezkicker spielten erst nach dem 0:2 besser nach vorne – als es im Grunde zu spät war und der VfB sogar noch ein, zwei, drei Treffer hätte nachlegen können, wäre Vasilj nicht gewesen. Ganz zu schweigen von einem weiteren Abseitstor der Gastgeber, dem nur aufgrund weniger Zentimeter die Anerkennung verweigert worden war.

Trainer Blessin: „Müssen daraus unsere Lehren ziehen“

Der Abpfiff war letztlich auch eine Erlösung. „Wir hätten noch länger spielen können, das Tor hätten wir nicht gemacht“, meinte Blessin sarkastisch. Der VfB hätte vermutlich noch weitere Treffer erzielt. Mit dem 0:2 waren die Kiezkicker ganz gut bedient.

Für Danel Sinani, James Sands und Hauke Wahl war in Stuttgart nichts zu holen. WITTERS
Danel Sinani, James Sands und Hauke Wahl reagieren enttäuscht auf das Tor zum 0:2
Für Danel Sinani, James Sands und Hauke Wahl war in Stuttgart nichts zu holen.

„Das ist kein Beinbruch“, ordnete Blessin die Niederlage in seiner Heimatstadt richtig ein. „Aber wir müssen daraus unsere Lehren ziehen für das nächste Spiel und es besser machen.“ Schon im nächsten Spiel. Und auch grundsätzlich, wenn man den Worten von Wahl folgt, der schon länger Defizite sieht und benennt.

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Leichter wird es nicht. Am kommenden Samstag empfängt St. Pauli Champions-League-Teilnehmer Bayer Leverkusen am Millerntor. Da muss mindestens das Energie-Level bei 100 Prozent sein, um eine Chance auf Punkte zu haben und in die Erfolgsspur zurückzukehren.

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