Die HSV-Frauen jubeln

Riesenjubel bei Pauline Machtens (M.) und Co. – die HSV-Frauen haben sich gegen Wolfsburg einen Punkt erkämpft. Foto: WITTERS

„Ball ist fünf Zentimeter auf der Linie“: Riesen-Ärger bei Sensation der HSV-Frauen

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Die 10-jährige Hedi hatte mindestens genauso viel Lust aufs Bundesliga-Comeback wie die 11.934 Zuschauer. „Moin Volksparkstadion!“, schrie das Ballkind vor dem Auftaktspiel der HSV-Frauen gegen den VfL Wolfsburg. Der atmosphärische Rahmen, er stimmte am 1. Spieltag der neuen Saison – und die Dramaturgie auch. In der siebten (!) Minute der Nachspielzeit machte das Team von Trainerin Liése Brancão die Sensation perfekt, holte sich ein sehr spätes 3:3 – dank eines Treffers, bei dem zunächst keiner so richtig wusste, ob er denn zählt. Er zählte wirklich. Was die HSV-Spielerinnen ausflippen ließ – und was die Gäste aus Niedersachsen erzürnte.

War der Ball wirklich hinter der Linie? Wolfsburgs Torhüterin Stina Johannes hatte eine klare Meinung: nein. „Ich glaube nicht, dass die Schiedsrichterin das aus der Position hätte beurteilen können“, sagte sie. „Meiner Meinung nach ist der Ball noch mindestens fünf Zentimeter auf der Torlinie.“ Die Szenerie war unübersichtlich. HSV-Kickerin Svea Stoldt hatte einen Freistoß aus dem Halbfeld in Richtung des langen Ecks geschossen, offenbar war keine Spielerin mehr am Ball, ehe dieser an den Innenpfosten prallte – und von dort auf den Oberschenkel von Johannes.

Wolfsburg-Trainer Lerch: „Kein zweifelsfreier Treffer“

Die 25-Jährige brachte das Spielgerät irgendwie unter Kontrolle, offenbar aber erst, nachdem es mit vollem Umfang hinter der Linie war. Die Linienrichterin hob jedenfalls ihre Fahne, signalisierte: Tor! Und der Volkspark explodierte. Die HSV-Frauen lagen sich in den Armen, die Wolfsburger machten ihrem Ärger Luft. Stürmerin Alexandra Popp wütete, als sie das Video vom Ausgleichstreffer auf der Arenaleinwand sah. VfL-Coach Stephan Lerch redete an der Seitenlinie auf die Vierte Offizielle ein. „Kein zweifelsfreier Treffer“, sagte er später und beurteilte es als „fraglich, ob der wirklich hinter der Linie war“. Den VAR gibt es in der Frauen-Bundesliga nicht, auch keine Torlinientechnik.

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„Man muss ein bisschen runterkommen“, fiel es Lerch auch auf der Pressekonferenz noch schwer, die Entscheidung zu akzeptieren. „Es ist sehr fraglich, ob der Ball drin sein kann, weil Stina mit dem Fuß kurz hinter der Linie steht.“ HSV-Trainerin Liése Brancão wollte sich an der Diskussion nicht beteiligen: „Ich weiß, wie ärgerlich es für Wolfsburg ist. Aber es ist nicht mein Thema“, sagte sie. „Die Schiedsrichterin hat eine Entscheidung getroffen.“ Und die sorgte dafür, dass die Hamburgerinnen nicht mehr herauskamen aus dem Strahlen. „So ein Spiel schafft man vielleicht einmal im Leben. Und das haben wir geschafft“, drückte Brancão ihren Stolz aus. Der Spielverlauf war dramatisch.

HSV-Keeperin Laura Sieger verschuldete einen Elfmeter

Die HSV-Frauen kamen gut in die Partie und hatten den ersten Szenenapplaus auf ihrer Seite, als Keeperin Laura Sieger vor DFB-Ikone Popp auf den Ball sprang (7.). Nationalspielerin Svenja Huth schoss rechts vorbei (10.), die Wölfinnen taten sich darüber hinaus zunächst schwer, Lücken zu finden in der Hamburger Fünfer-Abwehrkette um Torschützin Stoldt. In der 27. Minute entstand allerdings eine, und die nutzte der VfL aus: Ella Peddemors spielte einen Steckpass zwischen den HSV-Verteidigerinnen Jobina Lahr und Nina Räcke hindurch und Stürmerin Lineth Beerensteyn tunnelte Sieger – das 0:1, und der Startschuss der zunächst unterhaltsamsten Phase der Partie.

HSV-Talent Lotta Wrede (r., hier im Zweikampf mit Wolfsburgs Ella Peddemors) spielte auffällig. WITTERS
Lotta Wrede im Zweikampf mit Ella Peddemors
HSV-Talent Lotta Wrede (r., hier im Zweikampf mit Wolfsburgs Ella Peddemors) spielte auffällig.

Nach einem Rückpass der auffälligen HSV-Youngsterin Lotta Wrede spielte Sieger den Ball in die Füße der anlaufenden Beerensteyn, die sich den Ball an Hamburgs Torhüterin vorbei legte und gelegt wurde. Ein klarer Elfmeter, den DFB-Vizekapitänin Janina Minge souverän verwandelte (29.). Patzer bestraft, auf einmal hieß es 0:2. Die Hausherrinnen fanden aber die perfekte Antwort auf den Doppelschlag des Favoriten: Maria Mikolajova schoss aus rund 20 Metern an die Latte, Angreiferin Sophie Hillebrand staubte zum 2:1 ab (31.). Das dritte Tor binnen vier Minuten an diesem Sonntagnachmittag war das erste für die HSV-Frauen in der Bundesliga seit mehr als 13 Jahren.

Alexandra Popp per Kopf – Brunnthaler verkürzte traumhaft

Damals, am 28. Mai 2012, hatte Janina Haye beim 1:4 in München den Hamburger Ehrentreffer erzielt. Nun war es Stürmerin Hillebrand, die im Volkspark für den Jubelschrei sorgte. Die Zuschauer verteilten sich auf den unteren A-Rängen der Arena. Auf der Nordtribüne sangen einige Hundert HSV-Anhänger und auch die mitgereisten VfL-Fans hatten eine Trommel mitgebracht. Sie sahen, wie die spielfreudige Wrede einen zu zentralen Fernschuss absetzte (38.), wie Minge nach einer Ecke in die Arme von Sieger köpfte (39.) und wie Popp den Ball grätschend am HSV-Tor vorbeilegte (42.). Es war die einzige gefährliche Offensivszene der 34-Jährigen in der ersten Hälfte.

Auch HSV-Kapitänin Pauline Machtens (l.) lieferte sich intensive Duelle mit Wolfsburgs Stürmerin Alexandra Popp. WITTERS
Pauline Machtens im Zweikampf mit Alexandra Popp
Auch HSV-Kapitänin Pauline Machtens (l.) lieferte sich intensive Duelle mit Wolfsburgs Stürmerin Alexandra Popp.

„Wir können Wolfsburg bisher gut ärgern“, bilanzierte die angeschlagene Aufstiegsheldin Emilia Hirche in der Pause und hatte recht. Doch wenige Minuten später ärgerte Popp den HSV, indem sie per wuchtigem Kopfball auf 1:3 stellte (52.). Der abgezockte Vizemeister aus der Autostadt nutzte nahezu jeden Abspiel- oder Stellungsfehler des Bundesliga-Neulings aus, hätte durch Cora Zicai, die aus fünf Metern vergab, zum vierten Mal treffen müssen (62.).

HSV setzt gegen den VfL Wolfsburg ein Ausrufezeichen

Das tat die 20-Jährige aber nicht – weshalb Melanie Brunnthaler 20 Minuten später die spannende Schlussphase einleitete. Denn die neue HSV-Stürmerin krönte einen Steilpass der eingewechselten Christin Meyer mit einem wuchtigen 20-Meter-Schuss in den Winkel (81.). Das traumhafte 2:3 entfachte den Glauben an die Sensation neu, die Fans wollten mehr: „Auf geht’s Hamburg, schieß’ ein Tor!“ Es fiel tatsächlich. Tief in der Nachspielzeit (90.+7).

Die HSV-Frauen konnten ihr Glück selbst nicht so richtig fassen. „Es war ein krasses Gefühl, wir haben alle geschrien“, beschrieb Stoldt. „Es ist unglaublich!“, rief Brunnthaler, die „Gänsehaut“ hatte, in das Stadionmikrofon. Kapitänin Pauline Machtens legte nach: „Es war der Wahnsinn.“ Und an die Fans gerichtet: „Ohne euch wäre das nicht möglich gewesen. Danke dafür!“ Die Hamburgerinnen haben direkt ein dickes Ausrufezeichen gesetzt.

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„Purer Wahnsinn“, meinte Machtens, die es „scheißegal“ fand, dass das 3:3-Treffer womöglich gar keiner war. „Tor ist Tor“, sagte Stoldt. „Es ist ein unglaubliches Gefühl, vor so vielen Fans zu spielen.“ Wenn die Partien so verlaufen wie diesmal, dürften in den nächsten Monaten noch mehr Anhänger in den Volkspark pilgern, um Brancãos Team zu sehen. Die Trainerin schloss: „Ich hoffe, wir haben die Menschen überzeugt, dass sie beim nächsten Mal dabei sind.“

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