Jackson Irvine im St. Pauli-Trainingslager

Rückkehr auf den Rasen im Visier: St. Pauli-Kapitän Jackson Irvine arbeitet in Flachau an seinem Comeback und blickt zurück auf bewegte Monate. Foto: WITTERS

„Beleidigend, verletzend“: Irvine über harte Vorwürfe und seinen langen Weg zurück

kommentar icon
arrow down

Der Käpt’n ist wieder an Bord und die Präsenz ist spürbar. Wenngleich Jackson Irvine noch nicht wieder auf dem Rasen mittendrin mitmischt, so ist er doch immer dabei und nah dran an der Mannschaft im Trainingslager des FC St. Pauli im österreichischen Flachau. In seinem ersten Interview der Saisonvorbereitung in einer sehr kleinen Medienrunde, bei der die MOPO dabei war, spricht der 32-Jährige über starke Konkurrenz im Mittelfeld und seinen Platz im Team, den langen und manchmal frustrierenden Reha-Weg nach seiner Fuß-OP, die Glücksgefühle wieder bei der Mannschaft zu sein, seine Rolle bei der Integration der vielen neuen Spieler und schmerzhafte Abgänge. Erstmals nimmt der australische Nationalspieler auch Stellung zum Wirbel um sein Palästina-Trikot und die schweren Vorwürfe. Ein Thema, das ihn aufwühlt.

Wie schwierig ist es für einen jahrelangen Dauerbrenner wie Sie, nicht mit den Teamkollegen auf dem Platz stehen und trainieren zu können, sondern zuschauen zu müssen?

Es ist ungewohnt, aber ich sehe es als etwas sehr Positives. Ich habe zuletzt enorme Fortschritte gemacht in der Reha, um überhaupt jetzt hier dabei sein zu können. Natürlich bin ich etwas abseits, aber im Hotel bin ich die ganze Zeit bei der Mannschaft und wir verbringen sehr viel Zeit miteinander, was sehr wichtig ist – einerseits für meine Stimmung, andererseits, weil wir viele neue Spieler haben und es noch nicht so viel Gelegenheit gegeben hat, richtig in Kontakt zu kommen und zu interagieren.

Wie weit ist Jackson Irvine auf dem Weg zum Comeback?

Was macht diese sehr lange Zwangspause nach Ihrer Verletzung, die Sie mitten im Saisonendspurt im April erlitten haben, mit Ihnen?

Es ist meine längste Verletzungspause als Fußballer, dazu die Operation – das waren viele unterschiedliche und neue Schritte für mich. Natürlich ist das ausgerechnet in dieser Phase meiner Karriere frustrierend, aber es ist andererseits auch eine andere Art der Herausforderung und ich versuche, die positiven Aspekte hervorzuheben. Ich verpasse glücklicherweise nicht drei Monate in der Mitte der Saison. Natürlich verpasse ich Teile der Vorbereitung und würde gerne mehr auf dem Platz stehen, aber es ist ein langes Jahr und ich sage immer: lieber fit für die letzten fünf Spiele der Saison sein als für die ersten fünf! (lacht)


MOPO

Die WochenMOPO – ab Freitag neu und überall, wo es Zeitungen gibt!
Diese Woche u.a. mit diesen Themen:

  • Drama um Hamburger Zwillinge (23): Getötet auf dem Radweg
  • Lärm, Besucher, Verkehr: So läuft’s am Westfield
  • Für die Ferien: Altona all inclusive!
  • Wurden die Grünen abgekocht? Senatorin Fegebank im Interview
  • Große Rätselbeilage: Knobelspaß für jeden Tag
  • 20 Seiten Sport: HSV-Star Glatzel hat keine Lust auf die zweite Reihe und der FC St. Pauli muss im Trainingslager zu alten Stärken finden
  • 20 Seiten Plan7: Auf St. Pauli steigt das „Spielbudenfestival“ und viele weitere Ausgeh-Tipps für jeden Tag

Wann werden Sie wieder voll belastbar sein und mit der Mannschaft trainieren können?

Es ist schwer, das in Tagen oder mit Daten vorherzusagen. Wenn man sich meinen Plan für den Reha-Prozess anschaut, dann bin ich aktuell da, wo ich sein soll. Alles läuft im richtigen Tempo, aber es ist wichtig, wenn ich jetzt wieder mit dem Laufen anfange, nicht übermütig zu werden und mehr zu wollen als man schon leisten kann. Wir müssen einfach akzeptieren, dass es eine schlimme Verletzung war. Ich muss vorsichtig sein. Alle sind sich da einig.

Irvine über schwere Phasen, Zweifel und neue Konkurrenz

Waren Sie in den letzten Monaten immer so pragmatisch und zuversichtlich, oder gab es auch mental schwere Tage und Phasen?

Es ist echt schwierig, negativ zu sein, wenn man gerade in den Bergen ist und in der Sonne steht! Das sind ganz andere Vibes als wenn man im Krankenhaus liegt. Natürlich gab es auch diese negativen Momente, in denen man denkt: „Ich schaffe das nicht dorthin zurück, wo ich war“, aber wenn man das reflektiert und auch sieht, welche Fortschritte ich in der Reha gemacht habe in letzter Zeit, dann gibt es mir ein gutes Gefühl. Ich war im Sommer eine Woche mit meiner Familie im Urlaub, bevor ich dann wieder nach Hamburg zurückgekehrt bin. Auch das hat mir sehr gutgetan. Diese Art Luftveränderungen, mal etwas anderes zu sehen, machen einen großen Unterschied. Ich bin überzeugt, dass die Gemütslage einen wichtigen Effekt im Heilungsprozess hat.

MOPO-Reporter Nils Weber sprach im Trainingslager mit St. Pauli-Kapitän Jackson Irvine WITTERS
Nils Weber im Interview mit Jackson Irvine
MOPO-Reporter Nils Weber sprach im Trainingslager mit St. Pauli-Kapitän Jackson Irvine.

In Ihrem Mannschaftsteil, dem zentral-defensiven Mittelfeld, ist die Konkurrenz so zahlreich und stark wie noch nie – und Sie sind nicht auf dem Rasen. Wie gehen Sie damit um, sich einen Platz erkämpfen zu müssen?

Das ist wahrscheinlich die stärkste Besetzung auf dieser Position, seit ich im Verein bin. Joel (Chima Fujita), Jimmy (James Sands), Eric (Smith), Connor (Metcalfe) – sie alle können dort spielen. So ist es halt, wenn man Fußball auf einem Toplevel spielt. Jedes Jahr erwartet man, dass die Mannschaft verstärkt wird und natürlich wollen wir uns auch weiterentwickeln. Wir haben jetzt großartige Möglichkeiten im Mittelfeld. Das macht unsere Mannschaft nur noch stärker – und das ist das Wichtigste. Für mich persönlich ist das natürlich eine weitere Herausforderung, die ich aber begrüße und annehme.

Führungsrolle: Viel Kommunikation, aber noch kein Fußball

Verändert es die Art, wie Sie ihre Führungsrolle als Kapitän ausüben, dass sie sportlich noch nicht voll dabei sind?

Zu einem gewissen Maß schon. Ich versuche immer das zu tun, was im Bereich meiner Möglichkeiten liegt. Im Moment kann ich auf dem Platz nicht viel ausrichten und beeinflussen, aber wir haben andere großartige Anführer wie Hauke oder Eric und auch andere Spieler, die sich einbringen können, um eine gute Stimmung herzustellen. Abseits des Platzes sprechen wir alle viel miteinander, auch darüber, was für eine Mannschaft wir sein und welche Standards wir setzen wollen. Es geht vor allem um das große Ganze – das war schon immer mein Ansatz und meine Herangehensweise. Zugegeben: Meine aktuelle Rolle, das alles ein bisschen aus der Distanz zu machen, ist schon komisch.

Legen Sie besonderen Wert auf Gespräche mit den Neuzugängen?

Ja, absolut. Es war anfangs schon merkwürdig. Die ersten zwei, drei Wochen war ich ja nicht da. All die neuen Spieler kamen und ich war nicht präsent. Plötzlich tauchte ich dann wieder auf – und hatte natürlich keine Infos und noch kein Gespür für die Jungs. Da muss man dann ganz schnell die Barrieren überwinden und sich kennenlernen, und ein Trainingslager bietet die beste Gelegenheit dazu.

Großes Lob für die Spieler, die St. Pauli verlassen haben

Über die Zugänge haben wir gesprochen – reden wir über die Abgänge. Die Mannschaft hat Spieler verloren, die nicht nur sportlich wichtig waren. Wie bewerten Sie als Kapitän den Verlust?

Ich habe jetzt das erste Mal die Gelegenheit, darüber zu sprechen, denn ich war lange weg und viele Spieler haben uns in der Zwischenzeit verlassen. Es ist mir wichtig, diesen Spielern erst einmal zu danken, für ihren Beitrag in den vergangenen Jahren – auf und neben dem Spielfeld. Es ist eine wirklich großartige Gruppe von Jungs. Wir haben gemeinsam einen sehr speziellen Kern entwickelt. Viele hatten einen großen Einfluss. Sie haben sich tagtäglich eingebracht, jeder auf seine Weise, und mitgeholfen, dieses besondere Mannschaftsumfeld aufzubauen.

Das könnte Sie auch interessieren: Bitterer Auftakt im Trainingslager: St. Pauli-Profi Smith übel ausgebremst

Die Zahl der Abgänge und Zugänge ist in diesem Sommer doppelt so hoch wie im vergangenen.

Es hat viele Veränderungen im Kader gegeben, aber wir wollen unser Teamgefühl erhalten. Das ist unsere Aufgabe. Wir müssen den neuen Spielern unsere Art vermitteln, wie wir trainieren, wie wir arbeiten und wie wir miteinander umgehen, nicht nur untereinander in der Mannschaft, sondern auch mit dem Staff. Aber angesichts dessen, was ich bislang von den neuen Spielern sehe, habe ich keinerlei Zweifel, dass sie schnell ein Gefühl dafür bekommen, was für eine Kabine wir sein wollen. Aber natürlich ist beispielsweise ein Spieler wie Philipp (Treu) mit seiner Rolle auf dem Platz, aber auch daneben, schwer zu ersetzen. Andererseits sehe ich bereits jetzt Jungs, die das Zeug haben, in solch eine Rolle hineinzuwachsen.

Irvine über Palästina-Trikot und Antisemitismus-Vorwürfe

Ein heiß diskutiertes Thema während der Sommerpause war das Trikot des FC Palästina, das Sie auf einem Musikfestival in Portugal getragen haben. Welche Motivation steckte dahinter?

Meine Motivation? Nun, ich habe über dieses Problem mit dem Verein gesprochen, mit Oke (Präsident Oke Göttlich) und wir hatten einige Diskussionen darüber. Das Wichtigste ist, sich auf das Problem an sich zu fokussieren. Ich habe das Shirt als Zeichen der Solidarität für die Menschen in Palästina und in Gaza getragen, die derzeit unter unbeschreiblichen Gräueltaten leiden. Das war nur eine kleine Art und Weise, ein öffentliches Zeichen der Unterstützung zu setzen. Ein Zeichen auf einem Shirt ist nicht wichtig im Vergleich dazu, was derzeit in der Welt passiert (Irvine macht eine Pause, holt tief Luft). Ich würde es gerne dabei belassen.

Erlauben Sie noch eine Frage. Es gab in den digitalen Netzwerken verbale Angriffe gegen Sie, auch Vorwürfe des Antisemitismus. Wie sind Sie damit umgegangen? Wie sehr hat Sie das getroffen?

Ich habe direkte Nachrichten mit diesem Vorwurf erhalten und ich bin froh, mal was dazu sagen zu können. Ich habe das als zutiefst beleidigend und verletzend empfunden, so abgestempelt zu werden (Irvine spricht mit bebender Stimme, ist sichtlich aufgewühlt). Ich habe nichts getan in meinem Leben und seit ich in diesem Verein bin, das in irgendeiner Form diskriminierend war oder hasserfüllt gegenüber irgendeiner Gruppe von Menschen. Ich habe bei der Betrachtung von Problemen immer den Blick der Humanität an erste Stelle gestellt. Es ist enttäuschend, dass ich nicht so verteidigt wurde, wie ich es mir gewünscht hätte. Nun, manche Leute haben halt ihre Meinungen, sie intellektualisieren Dinge und gehen damit weit über das hinaus, was eigentlich passiert ist. Ich bin froh, dass sich auf gewisse Weise der Sturm gelegt hat. Aber es war schrecklich und bedauerlich. Am Ende des Tages geht es doch gar nicht um mich und auch nicht um ein Shirt, das ich auf einem Festival getragen habe. Es geht darum, was gerade passiert. Was mich betrifft, möchte ich nach vorne schauen.

Share on facebook
Share on twitter
Share on whatsapp
test