Michael und Sonja Richter zeigen Besuchern den Tiefbunker Steintorwall.

Michael und Sonja Richter zeigen Besuchern den Tiefbunker Steintorwall. Foto: picture alliance/dpa/dpa-tmn | Wolfgang Stelljes

Vom Schutzraum zum Wahrzeichen: Hamburg und seine Bunker

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Mehr als 1000 Bunker wurden in Hamburg gebaut, viele sind heute stillgelegt, vergessen – oder haben ein zweites Leben begonnen: als Konzertsaal, Hotel oder Energiekraftwerk. Was verbirgt sich in den Tiefen unter unseren Füßen – und auf den Dächern, auf denen heute Blumen wachsen, wo einst Bomben drohten? Ein Blick in die verborgensten Orte der Stadt.

Man nimmt ihn kaum wahr, den Eingang zum Tiefbunker Steintorwall direkt neben dem Hauptbahnhof. Die Gäste eines Dönerladens müssen mit ihren Stühlen zur Seite rücken, dann erst kann Michael Richter eine Bodenplatte hydraulisch ausfahren. 35 Stufen führen hinab in die Tiefe.

In keiner deutschen Stadt wurden so viele Bunker errichtet wie in Hamburg

„Mit Flipflops und High Heels kommt man nicht runter, die Stufen sind kürzer und entsprechen nicht der deutschen Norm“, sagt Sonja Richter, seine Frau. Man nimmt besser eine Jacke mit, denn im Bunker herrschen konstant etwa zwölf Grad. Zu zweit führen die Richters Gruppen durch das unterirdische Labyrinth, einer vorn, einer hinten.

In keiner anderen deutschen Stadt wurden im Zweiten Weltkrieg so viele Bunker errichtet wie in Hamburg. Mehr als 1000 sind dokumentiert. Knapp die Hälfte waren kleinere sogenannte Röhrenbunker. Viele Bunker wurden nach dem Krieg umgenutzt. Bands fanden einen Probenraum, ein Rundbunker an der Rothenbaumchaussee dient heute als Cocktailbar. 

Der Rundbunker an der Rothenbaumchaussee ist heute eine Cocktailbar. picture alliance/dpa/dpa-tmn | Wolfgang Stelljes
Der Rundbunker an der Rothenbaumchaussee ist heute eine Cocktailbar.
Der Rundbunker an der Rothenbaumchaussee ist heute eine Cocktailbar.

Der Tiefbunker Steintorwall, durch den die Richters führen, wurde im Zweiten Weltkrieg von Zwangsarbeitern gebaut. „Die durften aber nicht rein, wenn die Sirenen gingen“, sagt Michael. Nach dem Krieg diente der Schutzbau als Restaurant und Hotel. Ab Oktober 1964 wurde die Anlage umgerüstet zu einem ABC-Bunker, der Schutz vor atomaren, biologischen und chemischen Waffen bieten sollte.

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„Alles, was Sie hier sehen, ist Kalter Krieg.“ Das beginnt bei der „Dosieranlage“ am Eingang. Unter einer Platte im Boden befindet sich ein Zählwerk, das jeden registriert hätte, der in den Bunker will. Die Anlage besteht aus zwei Hälften, in jede durften 1351 Menschen. Wäre diese Zahl erreicht worden, hätte sich die Anlage automatisch geschlossen. „Egal, ob Kind oder Partner noch draußen sind“, sagt Michael Richter.

Ein großer Raum mit lauter Sitzen, immer fünf oder sechs in einer Reihe. „16 Stunden sitzen, acht Stunden liegen“, so war es im Ernstfall laut dem Guide gedacht. Für jede Reihe lag eine Kernseife bereit, außerdem Teller, Becher und Löffel für jeden. „Aber kein Messer, keine Gabel, nichts, womit man sich oder andere verletzen könnte.“

Und wer hätte dann wo geschlafen in den Etagenbetten, Modell „Dornröschen“? „Das ist ein Thema, mit dem man sich nicht allzu lange beschäftigen darf, denn das wirft Fragen auf.“ Vieles hätte sich finden müssen, so Richter. Spätestens nach 14 Tagen hätte der Bunkerwart einen Schutzanzug angezogen und wäre herausgegangen. „Der hatte UKW-Empfang und konnte hören, was draußen los ist.“

Hamm: Hier kann man einen Röhrenbunker ansehen

Einen der Röhrenbunker kann man sich in Hamm ansehen, versteckt in einem Garten hinter einer Kirche. Der Stadtteil östlich der Innenstadt wurde bei alliierten Luftangriffen im Juli 1943 („Operation Gomorrha“) zu 96 Prozent zerstört. „Es stand fast nichts mehr“, erzählt Historikerin Stephanie Kanne, die das Stadtteilarchiv leitet.

Bei einer Bunkerführung beantwortet sie Fragen nach Schlafplatz („im Sitzen auf der Holzbank“), dem Essen („das, was jeder mitgebracht hatte“) oder dem Klo („am Ende jeder Röhre“). Die vier Röhren der unterirdischen Anlage boten jeweils 50 Menschen Schutz vor Splittern und Trümmerteilen, aber nicht vor einem direkten Bombentreffer. Was die Menschen hier bei dem Feuersturm 1943 empfunden haben? „Dafür fehlt uns die Vorstellungskraft“, sagt Kanne.

Flakbunker von St. Pauli wurde umgebaut zu neuem Wahrzeichen

Das bekannteste Beispiel für eine Umnutzung ist sicher der Flakbunker auf St. Pauli. Er gehört zu den größten, die jemals gebaut wurden, und bot im Krieg Schutz für 18.000 Menschen – offiziell. Beim Bombeninferno im Juli 1943 waren es deutlich mehr, erzählt Stadtführer Tomas Kaiser. Nach dem Krieg verzichteten die Briten auf eine Sprengung, zu massiv war der Betonklotz.

Ab 1990 wandelte er sich zu einem Medienzentrum. Das „Uebel & Gefährlich“, ein weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannter Musikclub, fand hier ebenso eine Heimat wie der „resonanzraum“, der europaweit erste Club für klassische Musik.

Der ehemalige Flakbunker auf St. Pauli wurde umgebaut und oben begrünt. dpa
Bunker
Der ehemalige Flakbunker auf St. Pauli wurde umgebaut und oben begrünt.

Von 2019 bis 2024 wurde der Bunker aufgestockt. Fünf weitere Stockwerke kamen hinzu. Sie bieten unter anderem Platz für eine Veranstaltungshalle und für das Hotel „Reverb by Hard Rock“ mitsamt Restaurant, Café, Bar und Shop.

Der Bunker ist nun unten grau und oben grün: Auf den fünf neuen Stockwerken wurden Tausende von Stauden, Büschen und Bäumen angepflanzt. „Das Ding ist nur entstanden, weil wir einen Garten haben wollten“, sagt Miriam Wiese vom Verein Hilldegarden. Wiese lebt im benachbarten Karoviertel und führt Gruppen auf den Bunker, der zu einem neuen Wahrzeichen Hamburgs geworden ist.

Der „Energiebunker“ in Wilhelmsburg

Neben dem Flakbunker auf St. Pauli gibt es noch einen zweiten dieser Art in Hamburg. Er steht in Wilhelmsburg auf der anderen Seite der Elbe. Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung wurde die Kriegsruine ab 2010 zu einem sogenannten Energiebunker umgebaut.

Beliefert bei Bedarf alle angeschlossenen Haushalte in Wilhelmsburg mit Wärme: der Energiebunker Wilhelmsburg. Patrick Sun
Energiebunker Wilhelmsburg
Beliefert bei Bedarf alle angeschlossenen Haushalte in Wilhelmsburg mit Wärme: der Energiebunker Wilhelmsburg.

Bei einer Führung lernt man unter anderem das Herzstück der Anlage kennen, einen 20 Meter hohen Wärmespeicher mitten im Bunker, der zwei Millionen Liter Wasser fasst und bei Bedarf alle angeschlossenen Haushalte in Wilhelmsburg mit Wärme beliefert.

Ein Besuch des „Café vju“ in einem der vier Flaktürme ist auch ohne Führung möglich. Der Fernblick von der Außenterrasse in 30 Metern Höhe auf die Silhouette der Hansestadt steht dem Panoramablick vom Bunker auf St. Pauli in nichts nach.

Bunkerbesuche: Eine Führung durch den „Tiefbunker Steintorwall“ ist online buchbar bei dem Verein „Hamburger Unterwelten“. Den Röhrenbunker in Hamm kann man im Rahmen von Gruppenführungen nach Vereinbarung besuchen. Mehr über die Geschichte des Bunkers auf St. Pauli erfährt man bei Führungen des Vereins Hilldegarden. Führungen durch den „Energiebunker“ in Wilhelmsburg bieten die Hamburger Energiewerke samstags und sonntags an. Das „Café vju“ hat ebenfalls nur am Wochenende geöffnet.

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