Hat seine berufliche Erfüllung gefunden: Björn Dobbertin (41) ist Geschäftsleiter der Rathauspassage.

Hat seine berufliche Erfüllung gefunden: Björn Dobbertin (41) ist Geschäftsleiter der Rathauspassage. Foto: Florian Quandt

Sozial-Oase unter dem Rathausmarkt: Hier finden Menschen zurück ins Leben

Er hatte ein pralles Portemonnaie, einen dicken Firmenwagen. Viel Arbeit und wenig Zeit. Schon länger fragte sich Björn Dobbertin: War es das, was er wirklich für sein Leben wollte? Als seine kleine Tochter auf die Frage, wie denn der Name ihres Papas sei, ganz selbstverständlich mit „Arbeit“ antwortete, war das Fass übervoll. Der 41-Jährige stieg aus. Heute hat er seine berufliche Erfüllung gefunden. Als Geschäftsleiter der Rathauspassage. Die Sozial-Oase unter dem Rathausmarkt, in der Langzeitarbeitslose wieder zurück ins Leben finden. 

Manche waren obdachlos, andere haben schwere Schicksalsschläge erlitten oder psychische Erkrankungen. Wie eine Ärztin, die im Job gemobbt wurde, und aufgrund einer Sozialphobie nicht mehr arbeiten konnte. „Die Probleme sind vielfältig, aber jeder hat hier sein Päckchen zu tragen“, sagt Björn Dobbertin. Ob ungelernte Kraft oder Akademiker – sie alle sind aus dem System gefallen und waren jahrelang arbeitslos. „In der Rathauspassage wird den Menschen eine zweite, dritte oder gar vierte Chance gegeben, ihren eigenen Weg in ein unabhängiges Leben zu gehen.“ Einzige Voraussetzung: Sie müssen wollen.

„Das sind alles Menschen, die einfach wieder eine Chance brauchen“

Menschen, die über Jahre arbeitslos sind, nur weil sie keinen Bock auf Arbeiten haben, hat Björn noch nicht erlebt. „Das sind alles Menschen, die einfach wieder eine Chance brauchen.“  Besonders bewegt hat den Rathauspassagen-Chef das Schicksal eines Restaurantleiters „eines der bekanntesten Restaurants der Stadt“. Seine Frau war plötzlich verstorben und er stand mit seinen beiden kleinen Kindern alleine da. Abends arbeiten? Unmöglich. In der Rathauspassage fand er eine neue Aufgabe, die ihm Spaß machte. Als Reinigungskraft der öffentlichen WC-Anlage in der Unterführung. „Er war ein so unwahrscheinlich toller Gastgeber. Bei Veranstaltungen hat er immer die Gäste begrüßt. Sicherlich dachten viele, er sei hier der Leiter.“ Ein wunderbarer Kollege, den er nicht vergessen werde.

Zehn Ehrenamtliche, zehn Fachkräfte und etwa 50 Langzeitarbeitslose arbeiten in der bereits 1998 eröffneten Rathauspassage. Auslöser für die Entstehung war damals ein Besuch von Prinz Charles in der Hansestadt. Zu dem großen Anlass wurde der Rathausmarkt herausgeputzt. „Oben hui, unten pfui – hieß es, weil der Tunnel in sehr schlechtem Zustand war“, sagt Björn Dobbertin. Der damalige Landespastor Dr. Stephan Reimers, Gründer etlicher sozialer Projekte (u.a. Spendenparlament, „Mitternachtsbus“, „Hinz & Kunzt“) wurde gefragt, ob er eine Idee für die Fläche unter dem Rathausmarkt hätte. Hatte er. Und so gründete er die Rathauspassage.

Der Rathauspassagen-Leiter bei einem Treffen mit Sabine Holtmeier, Filialdirektorin der Haspa Jungfernstieg. Florian Quandt
Der Rathauspassagen-Leiter bei einem Treffen mit Sabine Holtmeier, Filialdirektorin der Haspa Jungfernstieg.
Der Rathauspassagen-Leiter bei einem Treffen mit Sabine Holtmeier, Filialdirektorin der Haspa Jungfernstieg.

Anfangs fensterlos und kleiner, wurden nach mehrjährigem Umbau vor einem Jahr die neuen Räume eröffnet. Auf insgesamt 1000 Quadratmetern gibt es die Buchhandlung „Kehrwieder“, das Café „Cafédrale“ mit großer Fensterfront zum Wasser, die Touristen-Info „Hamburg erleben“ und in der Unterführung den Snack-Shop „Ankerplatz“. Zudem wird die Rathauspassage für Events wie Lesungen, Konzerte, Podiumsdiskussionen und private Veranstaltungen genutzt. Und einmal in der Woche gibt es den Klönschnack-Tisch, organisiert von Ehrenamtlichen. Da treffen sich Menschen zum Austausch. Viele von ihnen sind einsam und wollen einfach mal mit jemanden reden.

20.000 Bücherspenden im Monat und ein sensationeller Fund

Herzstück der Rathauspassage ist die Buchhandlung mit etwa 8000 Titeln (ab zwei Euro bis mehrere Hundert Euro). Pro Monat werden ungefähr 20.000 Bücher gespendet, die auch online verkauft werden. Gelegentlich sind richtige Schätze dabei. Der spektakulärste Fund in einem Nachlass: Der Originalbericht des Nazi-Polizeipräsidenten Hans Julius Kehrl über den Verlauf und die Folgen der Luftangriffe vom Sommer 1943. Was da drin steht, war in der NS-Zeit nur für Eingeweihte bestimmt: die „Geheimakte Gomorrha“. „Das war ein sensationeller Fund. Allerdings haben wir die Bände an St. Nicolai übergeben. Das ist ein passenderer Ort“, sagt Björn Dobbertin.

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Für den Geschäftsleiter die wertvollsten Momente: Wenn seine Mitarbeitenden glücklich in den Ruhestand gehen oder einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt finden. Gerade erst hat ihm ein Mitarbeiter berichtet, dass er einen Vollzeitjob im Einzelhandel antritt. „Er hat früher auf der Straße gelebt und nun zurück ins Leben gefunden.“ Der Chef, der als Leitender Angestellter bei einem großen Einzelhandelsunternehmen viel Geld verdient hat, ist glücklich. Darüber, dass er seit sechseinhalb Jahren das Gefühl hat, etwas wirklich Sinnhaftes zu tun. Allerdings macht es Björn Dobbertin traurig, immer wieder Mails zu bekommen, in denen der Rathauspassage „Steuergeldverschwendung“ und den Mitarbeitenden „Faulheit“ vorgeworfen wird. „Langzeitarbeitslosigkeit ist in der Regel kein individuelles Problem oder eine individuelle Schuld, sondern eine Aufgabe, die es als Gesellschaft zu lösen gilt.“

Die Bessermacher – eine Aktion von MOPO und Haspa MOPO
Die Marke der Serie Bessermacher
Die Bessermacher – eine Aktion von MOPO und Haspa

„Viele haben diese tolle Einrichtung noch gar nicht auf dem Schirm“

Gutes verdient Unterstützung. Mit der Aktion „Die Bessermacher“ wollen wir nicht nur engagierte Menschen zeigen. Die Projekte bekommen auch finanzielle Hilfe und langfristige Unterstützung.

Die Haspa Jungfernstieg nutzt ihre prominente Lage in direkter Nachbarschaft, um auf die Rathauspassage aufmerksam zu machen. „Viele Hamburgerinnen und Hamburger haben diese tolle Einrichtung noch gar nicht auf dem Schirm“, sagt Filialdirektorin Sabine Holtmeier. „Das wollen wir ändern.“ Erst kürzlich lud die Haspa zusammen mit dem „Bündnis gegen Einsamkeit“ zu einem Event in die Passage ein. Und es sind weitere Projekte geplant. Unter anderem soll künftig ein Bücherregal der Rathauspassage in der Filiale am Jungfernstieg stehen. 

Zudem bekommt die Rathauspassage auch finanzielle Unterstützung. Es soll ein neues Whiteboard für Schulungen angeschafft werden. Die Haspa kümmert sich um die Finanzierung aus den Mitteln des Haspa-Lotteriesparens.

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