„Schaut nicht weg!“ Gastarbeiter aus Katar mit bewegendem Appell in Hamburg
Die beiden Männer wollen nicht erkannt werden. Sie haben sich die Kapuzen ihrer Hoodies über den Kopf gezogen, tragen auch im Freien Mund-Nasen-Schutz und Sonnenbrille, obwohl die Sonne nicht scheint. Die Namen, die sie nennen, sind nicht ihre richtigen. Sie haben Sorgen und Angst, sagen sie. Angst vor Sanktionen und Repressionen in dem Land, in dem sie jahrelang als Gastarbeiter geschuftet haben und in das zumindest einer von ihnen zurückkehren wird, weil er muss, um seine Familie zu ernähren. Das Land, auf das gerade die ganze Welt blickt. Katar. Ausrichter der umstrittensten Fußball-WM aller Zeiten. Für zweieinhalb Millionen Arbeitsmigranten Wahlheimat und oft auch Qualheimat, in der zu viele von ihnen ihr Leben gelassen haben und die in den global geführten Debatten nur noch Ziffer einer Zahl sind, über deren Höhe gestritten wird.
Die beiden Männer wollen nicht erkannt werden. Sie haben sich die Kapuzen ihrer Hoodies über den Kopf gezogen, tragen auch im Freien Mund-Nasen-Schutz und Sonnenbrille, obwohl die Sonne nicht scheint. Die Namen, die sie nennen, sind nicht ihre richtigen. Sie haben Sorgen und Angst, sagen sie. Angst vor Sanktionen und Repressionen in dem Land, in dem sie jahrelang als Gastarbeiter geschuftet haben und in das zumindest einer von ihnen zurückkehren wird, weil er muss, um seine Familie zu ernähren. Das Land, auf das gerade die ganze Welt blickt. Katar. Ausrichter der umstrittensten Fußball-WM aller Zeiten. Für zweieinhalb Millionen Arbeitsmigranten Wahlheimat und oft auch Qualheimat, in der zu viele von ihnen ihr Leben gelassen haben und die in den global geführten Debatten nur noch Ziffer einer Zahl sind, über deren Höhe gestritten wird.
Sie sind nervös, aufgewühlt. Das alles ist ungewohnt für sie, ganz schön viel. Aber die beiden Männer sollen reden, wollen reden. Deshalb sind sie hier. Wollen, dass nicht immer nur über Arbeitsmigranten in Katar gesprochen wird, sondern mit ihnen.
Sie wollen berichten, wie es ist, in einem der kleinsten und zugleich reichsten Länder der Welt zu arbeiten, zu leben, zu leiden, zu verzweifeln und doch zu hoffen, dass diese WM etwas verändert. Sie wollen erklären, wie es um die vielfach gelobten Fortschritte in Katar tatsächlich bestellt ist, wie sie zu Boykott-Aktionen stehen und warum keine Angst größer ist als die vor dem Abpfiff des Endspiels. Die MOPO hat diese beiden Männer getroffen.
WM in Katar als Chance für Verbesserungen?
Hamburg, St. Pauli, Millerntorstadion. Es sind nur noch wenige Wochen bis zum WM-Eröffnungsspiel. Krishna Shrestha und Jeevan KC, so lauten ihre Fantasie-Namen, stehen vermummt vor einer Mauer des Stadions und lassen sich fotografieren. Sie verstehen, dass es ein Bild braucht.
„Die WM ist unsere größte Chance, etwas zu verändern“, sagt Krishna Shrestha auf Englisch. „Wir machen das für all die Menschen, die keine Möglichkeit haben, ihre Stimme zu erheben und die nicht gehört werden. Wir sprechen für viele.“
Am Abend werden beide mit anderen Gästen an einer Info-Veranstaltung zur WM im Stadion teilnehmen, die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisiert ist und in neun deutschen Städten Halt macht. Hamburg ist die dritte Station. Auf dem Podium sitzen sie mit Kapuze, Sonnenbrille, Maske. Foto-Verbot. Bei den katarischen Behörden weiß niemand, dass sie hier sind. Hoffen sie. Offiziell sind sie auf Heimatbesuch.
Nur zehn Prozent der Einwohner in Katar sind Einheimische
Krishna Shrestha und Jeevan KC stammen aus Nepal, sie sind zwei von rund 400.000 Landsleuten, die in Katar arbeiten – rund 100.000 mehr als es Einheimische gibt. Nur etwa zehn Prozent der knapp drei Millionen Menschen in Katar sind Katarer. Beide Männer gehören dem Migrant Workers Network an, das im Verborgenen agieren muss. Ein Auffliegen ihrer Tarnung brächte auch ihre Kontaktpersonen in Gefahr.
Das Versteckspiel sagt einiges über die Lage in dem Wüstenstaat, der sich gerade in der WM-Gastgeberrolle als hochmoderner Global Player inszeniert.
Wenige Stunden vor der Info-Veranstaltung hat sich die MOPO mit den beiden Männern getroffen. Der auf 30 Minuten angesetzte Termin wird am Ende eine Stunde dauern und schon früh werden die Männer ihre Gesichter zeigen und das Gespräch zu einem unter sechs Augen machen.
Wie sieht es mit den Reformen und Verbesserungen der Arbeitsbedingungen im Zuge der WM aus, die Katar, die FIFA und auch unabhängige internationale Organisationen lobend hervorheben? Krishna Shrestha, der seit 2013 in Katar arbeitet, seufzt und holt Luft.
Nicht genug Fortschritte in Katar
„Ja, es hat ein paar Fortschritte gegeben, das können wir nicht bestreiten. Es gibt mittlerweile einen Mindestlohn, einige Verbesserungen beim Arbeitsschutz und das Kafala-System, eine Art moderner Sklaverei, gilt offiziell als abgeschafft. Tatsächlich aber werden die Reformen nicht ausreichend umgesetzt und Verstöße kaum sanktioniert“, berichtet er. „Es hat sich seit der WM-Vergabe 2010 zu wenig verändert. Und das auch nur, weil es internationalen Druck gab, nicht weil Katar es wollte und von den Reformen überzeugt war. Meint es Katar ernst mit den Menschenrechten? Dann muss viel mehr passieren. Katar ist unfassbar reich. Sie hätten das Geld, uns ordentlich zu behandeln.“
Die größten Fortschritte habe es im Bereich der Jobs gegeben, die unmittelbar an die WM gekoppelt sind und damit im Verantwortungsbereich der FIFA liegen, sagt Krishna Shrestha. „Aber da reden wir über ein, zwei Prozent. Was ist mit den anderen über zwei Millionen?!“ Seine Stimme wird laut. „Alle Arbeitsmigranten in Katar sollten gleichbehandelt werden.“
Einige der Reformen werden längst unterwandert, erzählt der eher schüchterne Jeevan KC mit leiser Stimme. Er ist seit 2017 auf Baustellen in Katar als Supervisor tätig und auch mit den Zuständen, die auf den WM-Baustellen herrschten, vertraut. „Viele Firmen beschäftigen zusätzlich Subunternehmen. Die Standards für die dort beschäftigten Arbeiter sind viel niedriger. Es gibt eine Zweiklassengesellschaft.“
Geschummelt worden sei auch bei den Inspektionen der Stadion-Baustellen durch externe Expertengruppen, berichtet Jeevan KC. Es habe vor unangemeldeten Kontrollen Vorwarnungen gegeben. Dann seien Baustelle und Unterkünfte in einen guten Zustand gebracht worden. „Die Arbeiter der Subunternehmen wurden weggeschafft, damit sie sich nicht beschweren können.“ Einzelfälle? System?
Acht neue WM-Stadien in Doha
Jetzt wird in den acht WM-Stadien im Großraum Doha gespielt und gejubelt. „Es sind beeindruckende Arenen“, sagt Krishna Shrestha. „Aber man sollte nicht vergessen, dass sie nicht nur mit vielen Millionen bezahlt worden sind, sondern auch mit vielen Menschenleben. Ein sehr hoher Preis.“
Die Toten der WM. Dass über die Zahl, wie viele Arbeitsmigranten seit der WM-Vergabe in Katar ums Leben gekommen sind, diskutiert und geradezu gefeilscht wird, wie viele in direktem Zusammenhang mit der WM gestorben sind – für die beiden Männer schwer erträglich.
„Jeder Tote ist zu viel“, sagt Krishna Shrestha sichtlich angefasst. „Viel zu oft werden Särge aus Doha nach Nepal und in andere Länder ausgeflogen. Es reicht doch eigentlich schon, die Särge zu zählen.“ Dass die Schicksale der Toten und ihrer Angehörigen niemanden interessieren, mache ihn „unfassbar traurig“. Was ihn wütend macht: „Viele Todesfälle hätten verhindert werden können.“ Die meisten Todesfälle von Arbeitsmigranten werden gar nicht richtig untersucht. Eine Praxis, die auch Amnesty International anprangert.
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Kein Wunder, dass sich viele Arbeitsmigranten in Katar wie Menschen zweiter Klasse fühlen. „Es gibt ein hohes Maß an Diskriminierung“, sagt Krishna Shrestha. „Viele Katarer sehen Arbeitsmigranten nicht als vollwertige Menschen.“ Man wolle keine Integration, verscheuche sie von öffentlichen Plätzen, verweigere ihnen Zugang zu Shoppingmalls. Die Einheimischen wollen unter sich bleiben. Sein Schmerz über die Ablehnung ist hörbar.
Im Gastgeberland der WM werden nicht nur Bälle, sondern nach wie vor auch Menschenrechte mit Füßen getreten – trotz Verbesserungen und Beteuerungen. Das ist die Botschaft, die die beiden Männer überbringen wollen.
„Der Scheinwerfer ist durch die WM auf Katar gerichtet“, sagt Krishna Shrestha. Katar will glänzen, kann aber gleichzeitig die dunklen Flecken nicht so gut verstecken. Boykott sei der falsche Weg, findet er, auch wenn er die individuelle Entscheidung respektiere. „Schaut nicht weg! Schaut genau hin!“, appelliert Krishna Shrestha.
WM-Finale findet kurz vor Weihnachten statt
Nur durch öffentlichen Druck können Katar und die FIFA zu weiteren nötigen Reformen gedrängt werden. Nur deshalb sei es im Emirat bislang überhaupt zu Veränderungen gekommen. Krishna Shrestha und Jeevan KC wünschen sich, dass auch ausländische Firmen, die mit Katar millionenschwere Geschäfte machen, stärker in die Verantwortung und Pflicht genommen werden, auf Einhaltung der Menschenrechte im Emirat zu bestehen.
In knapp vier Wochen ist die WM vorbei, unrühmliche Geschichte. Der Gedanke an den 18. Dezember, den Tag des Finals, bereitet Krishna Shrestha und Jeevan KC Bauchschmerzen. Es ist der Höhepunkt des Turniers.
Und dann? Danach? Feiert die westliche Welt Weihnachten, Silvester und wendet sich im neuen Jahr neuen Themen zu. Die beiden Männer fürchten wie viele Arbeitsmigranten, dass Katar die Fortschritte und Reformen stoppt, vielleicht sogar revidiert.
„Wenn diese WM vorüber ist“, sagt Krishna Shrestha eindringlich, „dann dürft ihr uns nicht vergessen.“