Ex-St. Pauli-Profi Adrion dreht Katar-Doku: „Die FIFA ist ein hoffnungsloser Fall“
Viele Kritiker urteilen aus der Ferne, Benjamin Adrion aber machte sich ein eigenes Bild von den Gegebenheiten in Katar. Anfang September flog der 41-Jährige nach Doha und drehte dort für den Dokumentarfilm „Das Milliardenspiel“, der am Montag um 20.15 Uhr auf ProSieben gezeigt wird. Spannende Einblicke im Land des WM-Gastgebers, über die der Ex-Spieler des FC St. Pauli vorab mit der MOPO sprach.
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Viele Kritiker urteilen aus der Ferne, Benjamin Adrion aber machte sich ein eigenes Bild von den Gegebenheiten in Katar. Anfang September flog der 41-Jährige nach Doha und drehte dort für den Dokumentarfilm „Das Milliardenspiel“, der am Montag um 20.15 Uhr auf ProSieben gezeigt wird. Spannende Einblicke im Land des WM-Gastgebers, über die der Ex-Spieler des FC St. Pauli vorab mit der MOPO sprach.
„Das ist das Gegenteil von Geschichten, die der Fußball eigentlich erzählen sollte“, sagt Adrion sichtlich bewegt im Film, als er sich die „Cards of Qatar“ anschaut: Sammelbilder, die auf den WM-Baustellen gestorbene Arbeitsmigranten zeigen. In Doha filmt er Unterkünfte, in denen bis zu 15 Menschen auf engstem Raum untergebracht sind. Wie viele Arbeiter dem Bau der WM-Arenen zum Opfer gefallen sind, ist unklar, weil Katar die insgesamt 15.012 Todesfälle auf Baustellen der letzten zehn Jahre nicht systematisch untersucht und gerade erst einen Entschädigungsfonds für die Opfer abgelehnt hat.
Adrion will durch den Fußball die Welt verbessern
Wir treffen Adrion in einem Baucontainer im Münzviertel, wo sein Trinkwasserprojekt „Viva con Agua“ gerade die Villa Viva errichtet, ein soziales und nachhaltiges Gasthaus auf zwölf Stockwerken. „Es ist ein spannendes Thema, dem Fußball-Business auf die Pelle zu rücken“, erklärt er seine Motivation zwischen Kran und Betonmischer: „Schließlich ist es auch eine Idee, die Kraft des Fußballs zu nutzen, um die Welt zu verbessern – so wie wir das seit Jahren auch mit Viva con Agua weltweit machen.“
Aber wie groß ist die Kraft des Fußballs? Es scheint, als würde die FIFA (und nicht nur sie) systematisch die Luft aus der Kugel lassen. Mit etlichen Nadelstichen, von denen die WM in Katar nur der offensichtlichste ist. Längst ist bekannt, dass für die Vergabe an den Golfstaat Gelder geflossen sind. „Die Frage war nicht, was können sie für den Fußball tun, sondern was kann der Fußball für sie tun“, fasst Bonita Mersiades im Film ihre Erfahrungen mit FIFA-Entscheidungsträgern zusammen. Die Australierin sollte als Kommunikationschefin die WM 2022 nach „Down Under“ holen, was sie nicht nur Gürtel und Geldbörsen aus Känguruleder beschaffen ließ, sondern auch Schmiergeld in Millionenhöhe.
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Neben Mersiades versammelt Adrions Film viele weitere Stimmen, etwa von Bundestrainer Hansi Flick, EM-Botschafter Philipp Lahm, St. Paulis WM-Teilnehmer Jackson Irvine oder der Sportpolitikerin Dagmar Freytag. Die FIFA antwortete auf seine Anfragen nicht.
Ex-St. Pauli-Profi Adrion: Das läuft alles schief in Katar
„In Katar gibt es Dinge, die man kritisieren muss: verstorbene Menschen auf Baustellen, fehlende LGBTQI-Rechte, die Rechte von Frauen“, sagt Adrion und gibt zu bedenken: „Gleichzeitig sollte man dabei über die richtigen Fakten verfügen und den Kontext zumindest berücksichtigen. Eine Entwicklung von heute auf morgen umzusetzen, ist gar nicht so einfach. Mir ist es wichtig, dass man Urteile auf der Basis der richtigen Sachlage fällt.“
Man merkt Adrion an, wie er seine Worte abwägt. Klare Kritik an der Menschenrechtssituation vor Ort, ohne in die gefällige Auffassung eines weißen Europäers abzugleiten, dort unten am Golf könne ja ohnehin nichts Vernünftiges herauskommen. „Ich glaube schon, dass die öffentliche Aufmerksamkeit zu einer Änderung der Entwicklungsgeschwindigkeit geführt hat“, meint er: „Es gibt Verbesserungen, aber diese reichen nicht aus. Man kann Leute nicht wie Leibeigene behandeln, aber wir dürfen auch nicht den Fehler machen, jede Veränderung zu ignorieren.“
Adrian erhofft sich Reformierung der WM-Vergaben
Für Adrion wäre es sinnvoll, die WM-Vergabe künftig an die Menschenrechtssituation zu koppeln: „Aber das kann nur die FIFA tun, die jedoch ein recht hoffnungsloser Fall ist. Von den Reformen, die die Ethikkommission vorgeschlagen hat, ist kaum etwas angenommen worden. Präsident Gianni Infantino hat alle kritischen Leute ausgewechselt.“
Wichtig sei, dass die Welt auch nach der WM die Entwicklung verfolgt. „Katar wird auch weiterhin ein Interesse daran haben, Großveranstaltungen auszurichten, vielleicht sogar die Olympischen Spiele“, sagt Adrion: „Dann werden wir weiter hinschauen. Dass unsere Menschenrechtsbeauftragte Luise Amtsberg angekündigt hat, nach der WM nach Katar zu fahren, finde ich in diesem Zusammenhang gut.“