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  • Tobias Reichmann und DHB-Vizepräsident Bob Hanning (r.).
  • Foto: imago images/wolf-sportfoto

Überraschungs-Lob: Bob Hanning: „Tobias Reichmann ist der Spieler des Turniers“

Als erste Option auf Rechtsaußen war Tobias Reichmann zur EM angereist. Doch beim Drei-Länder-Turnier spielt er nur die zweite Geige hinter Shootingstar Timo Kastening, der ihm den Rang abgelaufen hat. Man könnte Reichmann leicht zu den Verlierern im Team der deutschen Handballer zählen. Dennoch kommt ihm eine entscheidende Rolle im Spiel zu, die er trotz aller Enttäuschung angenommen hat. Für DHB-Vize Bob Hanning ist der Linkshänder sogar „der Spieler des Turniers“.

Der Mann ist immer für einen Spruch gut. Auf die Frage der MOPO, wie denn sein persönliches Fazit dieser EM, die für Deutschlands Handballer am Sonnabend in Stockholm mit dem Spiel um Platz fünf gegen Portugal (16 Uhr, live bei ARD One) zu Ende geht, ausfalle, antwortet Reichmann in nur fünf Worten: „Dass meine Beine frisch sind.“

Ein Scherz? Seine Miene bleibt ernst und den Worten hallt eine Prise Sarkasmus nach. Oder ist es Selbstironie? Unergründlich.

Sie ist jedenfalls nicht gut gelaufen für ihn, die EM. Ganz anders als geplant. Die Beine des 1,88 Meter großen Athleten von der MT Melsungen sind deshalb so frisch, weil er wenig bis gar nicht spielt bei diesem Turnier.

Tobias Reichmann von Timo Kastening überflügelt

Nach einem schwachen Beginn im zweiten Vorrundenspiel gegen Spanien setzte Bundestrainer Christian Prokop den 31-Jährigen auf die Bank und brachte EM-Debütant Kastening, der die Chance beim Schopf ergriff und von Spiel zu Spiel auftrumpfte. Reichmann war plötzlich Dauerreservist.

Durchgehangen, Platz vergangen.

Als es um Nichts ging, da durfte Reichmann wieder ran. Bei der Abschiedsvorstellung des DHB-Teams in Wien, dem 26:22 gegen Tschechien im für den weiteren Turnierverlauf völlig unbedeutenden letzten Hauptrundenspiel, stand Reichmann von Beginn an auf dem Parkett und spielte 45 Minuten. Für ihn war das eine halbe Ewigkeit.

Christian Prokop gab Reichmann 45 Minuten Spielzeit

„Es war schön, mal wieder zu spielen, für das Gefühl“, bekannte Reichmann, dem vier Tore gelungen waren.

Tobias Reichmann wirft bei der Handball-EM die Siebenmeter für Deutschland.

Tobias Reichmann und sein Spezial-Auftrag bei dieser Handball-EM: Siebenmeter.

Foto:

WITTERS

Ganze 47 Sekunden hatte er zuvor gegen Österreich (34:22) auf dem Spielfeld agiert und zuvor 29 Sekunden gegen Kroatien (24:25) – dabei aber einmal fünf und einmal vier Tore erzielt. Nicht aus dem Spiel heraus, sondern vom Punkt, eiskalt. Jeder Siebenmeter ein Treffer.

Reichmann hat bei dieser EM Kapitän Uwe Gensheimer als Siebenmeterschütze Nummer eins abgelöst. Seine Auftritt sind kurz, aber bedeutsam.

Uwe Gensheimer nicht mehr Siebenmeter-Schütze Nummer eins

Reichmann – der Mann für gewisse Sekunden.

Es ist eine Rolle, die sportlich unbefriedigend ist und nicht seinen Ansprüchen genügt, die er aber angenommen hat. „Mir wurde die Rolle zugeteilt, dass ich Siebenmeterschütze bin, und das habe ich versucht so gut wie möglich auszufüllen“, sagt Reichmann.

Kurios, dass er ausgerechnet im Spiel gegen Tschechien, in dem er sich richtig austoben konnte, seine beiden Siebenmeter versemmelte. „Von Außen hat es dafür umso besser geklappt“, tröstete er sich.

Timo Kastening bald auch in Melsungen Konkurrent von Reichmann

Mit der Rolle hat er sich so gut es eben geht arrangiert und mit Kastening, der pikanterweise im Sommer von Hannover nach Melsungen wechselt und dann auch im Verein ein Konkurrent ist, versteht er sich. „Wir kommen super miteinander zurecht.“ Er freue sich, dass Kastening „so ein geiles Turnier spielt“.

Es ist vor allem Reichmanns Umgang mit seiner Situation, vor dem DHB-Vizepräsident Hanning größten Respekt hat. „Tobi ist als Nummer eins angereist, dann ist er raus – als erfahrener Spieler. Da bist du automatisch frustiert“, führt Hanning im Gespräch mit der MOPO aus.

Bob Hanning lobt Tobias Reichmann: „Sensationell“

„Dann aber die Rolle anzunehmen und zu sagen: Ich bin wieder und wieder und wieder zu hundert Prozent da, finde ich einfach sensationell“, so Hanning weiter. „Tobi Reichmann ist für mich Spieler des Turniers. Weil er seine Rolle annimmt und sich total in den Dienst der Mannschaft stellt.“

Das war vor einem Jahr noch anders gewesen. Nachdem Reichmann von Prokop unmittelbar vor dem Start der Heim-WM aus dem Turnier-Kader überraschend und ohne Vorwarnung gestrichen worden war, verabschiedete er sich ebenso überraschend in den USA-Urlaub, obwohl der Bundestrainer ihn für den Notfall in der Nähe der Mannschaft haben wollte, um ihn nachnominieren zu können.

Zudem sorgte Reichmann mit mehreren Social-Media-Kommentaren für Wirbel, die deutlich machten, was er von Prokops Entscheidung hielt: Gar nichts. Prokop war sauer.

Christian Prokop und Tobias Reichmann: Streit abgehakt, aber nicht vergessen

Beide haben sich ausgesprochen, die Geschichte ist abgehakt, aber nicht ganz vergessen. Sowohl Spieler als auch Trainer haben jedoch daraus gelernt. Davon profitiert vor allem: die Mannschaft.

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