„Mein Handy ist eskaliert“: Nordlicht (19) stellt Leichtathletik-Welt auf den Kopf
Es war ein Wurf für die Geschichtsbücher. Eine Explosion, die die Leichtathletik-Welt durchgeschüttelt hat. Max Dehning aus Hermannsburg, 100 Kilometer südlich von Hamburg in der Lüneburger Heide gelegen, hat sie verursacht, diese Explosion. Bei den Deutschen Meisterschaften im Winterwurf in Halle schleuderte er am Sonntag den Speer auf 90,20 Meter. Nie zuvor schaffte ein Mann unter 23 Jahren eine solche Weite. Dehning ist 19 Jahre alt. Die MOPO sprach mit dem Supertalent über den Sensations-Wurf.
Die Nacht, sie verging schlaflos. Zu aufgewühlt war Dehning. „Mein Handy ist komplett eskaliert. Da habe ich dann die Nachrichten durchgescrollt und mich einfach gefreut, wie viele Leute sich mit mir gefreut haben“, sagt er.
Seit Juli 2022 warf weltweit niemand über 90 Meter
Zur Einordnung: Dehning war der erst sechste Werfer in Deutschland und der 23. weltweit, dem ein 90-Meter-Wurf gelang. Seit dem 23. Juli 2022 hatte niemand mehr die Speerwurf-Schallmauer durchbrochen.
Dass es dazu kam, gleicht einem Wunder. Dehning, der 2022 Vize-Weltmeister und 2023 Vize-Europameister bei den U20-Junioren wurde, hatte zuvor noch nie über 80 Meter geworfen. „Vor dem Wettkampf habe ich zu meinem Trainer gesagt, dass ich den ersten Wurf erst mal ganz locker machen will. Der sollte einfach erst mal gültig sein“, schildert der Modellathlet. „Und dann laufe ich nach vorne, werfe das Ding weg und das kommt gar nicht mehr runter.“ Das Gefühl eines Wahnsinns-Wurfs, es war direkt da. „84 oder 85 Meter, dachte ich.“ Schon das wäre Weltklasse. Als dann 90,20 Meter auf der Anzeigetafel erschienen, „da wusste ich gar nicht mehr, wohin mit mir“. Das Schönste sei gewesen, „wie sich alle Athleten mitgefreut haben. Die waren alle aus dem Häuschen. Einen 90-Meter-Wurf sieht man nicht so oft“.
Max Dehning wechselte 2021 nach Leverkusen
Mit sechs Metern Vorsprung setzte sich Dehning, der im zweiten Versuch noch einen Wurf über 85,45 Meter nachlegte, auf Platz eins der Weltjahresbestenliste. Und das, obwohl die Bedingungen gut, aber keineswegs optimal waren. „Es war sehr kalt, der Wind hat von rechts reingepfiffen“, sagt Dehning, der den Wettkampf fast abgesagt hätte, weil er zuvor vier Tage erkältet im Bett gelegen hatte.
Dann aber reiste er doch nach Halle, wo seine Eltern und Großeltern hautnah miterlebten, wie ihr Spross in die Weltspitze aufstieg. „Sie standen von Anfang an hinter meinem Sport. Das war das Wichtigste“, sagt der junge Mann, der früher auch sehr ambitioniert Handball gespielt hatte. Im Alter von 17 Jahren wechselte er 2021 nach Leverkusen. Für die Leichtathletik-Karriere. „Ein sehr schwerer Schritt“, sei das gewesen. Gemeistert hat er ihn auch dank seiner ein Jahr älteren Schwester Marie. Die ist das wohl größte deutsche Talent im Siebenkampf und ein enormer Rückhalt für den kleinen, großen Bruder. „Geschwister streiten sich ja eigentlich oft, aber wir waren irgendwie immer ein Herz und eine Seele. Wir teilen uns auch die Aufgaben im Haushalt in Leverkusen, wobei sie schon besser kocht als ich“, verrät der begeisterte Motorradfahrer. Letztlich sei der Wechsel aufgrund der besseren Trainingsbedingungen „das Beste gewesen, was uns passieren konnte“. Im Herzen aber bleibe er ein Nordlicht, „das ist meine Heimat, auch wenn ich im Fußball jetzt zum Leverkusen-Fan geworden bin“.
Dehning schlüpft auch für Olympia in Favoritenrolle
Sein Wurf, er war ein Naturereignis, Dehning weiß darum. Seine Ziele will er deswegen aber nicht groß verschieben. „Vor der Saison habe ich von Olympia geträumt. Jetzt bin ich für Olympia gesetzt“, sagt er. Nur wenn drei nationale Konkurrenten seine Marke übertreffen sollten, wäre daran noch zu rütteln. Letztlich werden Europameister Julian Weber, Ex-Weltmeister Johannes Vetter und Olympiasieger Thomas Röhler wohl aber nur unter sich ausmachen, wer neben dem norddeutschen Supertalent nach Paris fahren darf.
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Was dann bei Olympia drin ist? Würfe über 90 Meter reichten nach 1972 immer zur Goldmedaille. Wird er also als Favorit anreisen? „Darüber mache ich mir keinen Kopf“, sagt Dehning, der beim Einwerfen in Halle sogar noch ein paar Meter weiter warf als im Wettkampf. „Aber ich weiß schon, dass man jetzt nicht jeden Tag über 90 Meter wirft. Entweder es klappt oder es klappt nicht.“ Mit dieser Einstellung war er schon am Sonntag in den Wettkampf gegangen. Und hat die Speerwurf-Welt mal eben auf den Kopf gestellt.