„Zehn Zentimeter“: Diese Volkspark-Premiere wollte kein HSV-Fan
So etwas wie in der 50. Minute des 112. Hamburger Stadtderbys hatte es im Volkspark noch nie gegeben: eine Durchsage des Schiedsrichters. Als die Stimme von Christian Dingert über die Arenalautsprecher erklang, war sofort klar: Das 1:1 durch Ransford Königsdörffer (48.) wird zurückgenommen – denn andernfalls hätte der Referee nach dem VAR-Einsatz nicht den entsprechenden Knopf an seinem Headset betätigt. „Es lag im Vorfeld eine Abseitsstellung vor“, erklärte Dingert den Fans. Daher: „Finale Entscheidung: kein Tor, Abseits.“
Die neuen Schiedsrichterdurchsagen, die die Transparenz erhöhen und das Verständnis für die Entscheidungen fördern sollen, sind seit dieser Spielzeit in allen Arenen der 1. und 2. Liga möglich, nachdem das Pilotprojekt in der Rückrunde der Vorsaison erfolgreich verlaufen war. Das Volksparkstadion war zunächst kein Bestandteil der Testphase – weshalb Dingert am Freitagabend für eine Premiere sorgte. Wenig überraschend hätten die HSV-Fans hierauf lieber verzichtet. Sie quittierten die Erklärung des Schiedsrichters mit einem gellenden Pfeifkonzert.
Königsdörffer vor dem vermeintlichen HSV-1:1 im Abseits
Merlin Polzin sprach nach der 0:2-Derbypleite von einer „Millimeterentscheidung“, die zuungunsten des HSV ausgefallen war. „Wenn ein Tor nicht gegeben wird, das man erzielt, ist das immer bitter – gerade in einem Spiel, in dem am Ende sehr viele kleine Details entscheiden.“ Eines dieser Details war kurz nach der Halbzeitpause die Körperhaltung von Königsdörffer, der zwar mit dem Fuß auf der Mittellinie stand, dessen Oberkörper zum Zeitpunkt des langen Zuspiels von Giorgi Gocholeishvili aber minimal zu weit in die Spielhälfte des FC St. Pauli hineinragte. Der riesige HSV-Jubel auf dem Platz und den Tribünen daher: umsonst.

„Es kam sofort die Information: Wir checken auf Abseits in der Entstehung der Angriffsphase“, berichtete Dingert bei Sky von seinem Austausch mit Videoassistent Harm Osmers. Anhand einer angelegten kalibrierten Linie kamen die Unparteiischen nach rund zwei Minuten der Überprüfung zu dem Schluss, dass Königsdörffer einen Tick dichter zum St. Pauli-Tor positioniert war als Hauke Wahl, dessen Oberkörper sich ebenfalls in der Kiezklub-Hälfte befand. „Aber auch wenn es nur ein Viertel des Oberkörpers ist: Wir haben Vertrauen in den VAR“, ärgerte sich Polzin nach dem Abpfiff nicht länger über die Szene.
HSV-Trainer Polzin wünscht sich „Klarheit und Direktheit“
Der Trainer verhehlte zwar nicht, dass das Abseitstor dem HSV wehgetan habe, weil es den 1:1-Ausgleich bedeutet und sein Team zurück ins Spiel gebracht hätte. Polzin wollte Königsdörffers Abseitstreffer aber vielmehr als gutes Beispiel verstanden wissen, wie der HSV offensiv gefährlich werden könne: „Nämlich über Klarheit und Direktheit.“ Und in diesem Fall über einen langen Ball in die Spitze, hinter die Abwehrkette des Gegners. „Das ist sicherlich ein Thema, an dem wir weiterhin arbeiten wollen und müssen.“ Was auch die HSV-Profis nach der Pleite so analysierten.
Das könnte Sie auch interessieren: „Einfach scheiße!“ HSV viel zu harmlos – neuer Offensivmann soll kommen
„Heute hatten wir nicht die Momente auf unserer Seite, gerade mit dem Abseitstor“, resümierte Keeper Daniel Heuer Fernandes, der glaubte: „Wir wären damit besser aus der Halbzeit gekommen.“ Auch Sportvorstand Stefan Kuntz haderte mit Königsdörffers gutem, aber nicht belohntem Laufweg: „Wir waren zehn Zentimeter zu schnell, um den Ausgleich zu erzielen.“ Der VAR kassierte diesen schließlich wieder ein – was Dingert per Headset-Mikrofon an die 57.000 Zuschauer im Stadion weitergab.
Anmerkungen oder Fehler gefunden? Schreiben Sie uns gern.