Supermarkt statt Königsklasse: Die ungewöhnliche Karriere eines Ex-HSV-Profis
Er kam 2004 von Rot-Weiss Essen zum HSV. Für die Hamburger spielte er in der Champions League - seine Mitspieler hießen van der Vaart, van Buyten oder Barbarez. Seine Karriere verlief in der Folge aber weniger ruhmreich. „Im Nachhinein würde ich vieles anders machen“, sagt er. Was das war und warum er heute mit Freude um 3.30 Uhr geweckt wird, um in einem Supermarkt zu schuften, lesen Sie mit MOPO Plus.
So richtig kann er sich nicht entscheiden, wem er am Sonntag den Sieg gönnt. „Das ist wirklich schwer, ich habe zu beiden Vereinen eine besondere Beziehung“, sagt Sascha Kirschstein, wenn er an den Pokal-Auftritt des HSV in Essen denkt. Einst wechselte der Keeper von RWE in den Volkspark, startete bis in die Champions League durch und galt als eines der größten deutschen Torwart-Talente. Vor dem Duell seiner Ex-Klubs schaut Kirschstein zurück und stellt fest: „Ich bin zufrieden und stolz auf alles. Aber manches hätte anders laufen können.“
Hamburg ist wieder seine Heimat. Kirschstein ist seit geraumer Zeit zurück in der Stadt, die ihm die schönsten sportlichen Momente bescherte. Nach einer Reise, die ihn an verschiedenste Orte führte. Fürth, Ahlen, Ingolstadt, Aue. Zwischendurch auch mal Timisoara in Rumänien. Mehr als 200 Profispiele, davon 23 in der Bundesliga und drei in der Königsklasse. Eine schöne Karriere. Und doch verlief sein Leben anders, als das der meisten Ex-Profis.
Sascha Kirschstein jobbt bei Lidl in Seevetal
Kirschstein hat damit kein Problem. Er arbeitet, im wahrsten Sinne des Wortes. Als Teilzeit-Jobber ist der 43-Jährige in einem „Lidl“-Markt in Seevetal angestellt. Seine Aufgabenbereiche? „Eigentlich alles, was es im Supermarkt so gibt.“ Nicht selten klingelt morgens um 3.30 Uhr der Wecker. „Aber für mich ist das okay. Ich mache meine Arbeit ordentlich, sie bringt mir Spaß. Und die Mitarbeiter finden es auch cool, dass sie mit einem Ex-Profi zusammen arbeiten.“

Vom Fußball kann Kirschstein trotzdem nicht lassen. Bei der „Zwoten“ von Altona 93 ist er Torwart-Trainer, feierte gerade den Landesliga-Aufstieg. Und ist auch dort wieder Erster. Dazu gibt er privat Torwart-Training. „Allabout football“, heißt eines der Projekte, Kirschstein veranstaltet eigene Camps. „Läuft richtig gut“, sagt er. „Bis Jahresende bin ich fast schon ausgebucht. Es bringt wahnsinnigen Spaß, den Kids zu zeigen, wie sie besser werden können. Und auch, welche Fehler sie vermeiden können.“
Sascha Kirschstein brachte die Bayern fast zur Verzweiflung
Kirschstein hat viel zu erzählen. Ab 2004 spielte er drei Jahre lang für den HSV, zu einer Zeit, als sich der Verein noch vor allem über sportlichen Erfolg definierte. Seine Mitspieler hießen van der Vaart, van Buyten oder Barbarez. Top-Stars eben. Kirschstein war ihr Rückhalt. Zum Beispiel in der Pokal-Nacht des 21. Dezember 2005, als sie bei den Bayern antraten und der Keeper fast 70.000 Fans in der Allianz-Arena zur Verzweiflung brachte. „Dann hat Hargreaves nach 113 Minuten doch noch getroffen“, erinnert sich Kirschstein. „Aber dieses Spiel war unglaublich. Danach kam Oliver Kahn zu mir und hat mir von sich aus den Trikottausch angeboten. Das werde ich niemals vergessen.“

Die MOPO verteilte damals die Note 1 an Kirschstein und schrieb: „Er hat eine alles überragende Gabe: Er hält die Unhaltbaren!“ Warum aber wurde dann doch nicht die ganz große Nummer aus ihm?
Kirschstein: „Ich hatte falsche Freunde – vielleicht auch die falsche Frau“
„Rückblickend muss ich sagen, dass ich im Nachhinein vieles anders machen würde“, sagt Kirschstein und holt kurz aus: „Ich hatte als Fußballer viele Freunde, auch falsche. Vielleicht auch die falsche Frau. Und trotzdem bin ich stolz auf alles, was ich erleben durfte. Die Spiele in der Champions League nimmt mir keiner. Und immerhin spiele ich jetzt wieder beim HSV in der Traditionsmannschaft, das darf ja auch nicht jeder“, erzählt er lachend.
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Kirschstein ist mit sich im Reinen. „Ich bin zufrieden mit meinem Leben und brauche keinen Luxus“, stellt er glaubhaft fest. Fragt sich nur noch, welcher seiner Ex-Klubs am Sonntag der Zufriedenere sein soll. „Ich sage es mal so“, meint der Ex-Keeper. „Ich wünsche mir ein mega Spiel und ein Unentschieden nach 90 Minuten. Dann soll der gewinnen, der den besseren Torwart hat.“ Damit kennt er sich bestens aus. Noch immer.