Derby-Klartext! HSV-Fan: „Sportliche Ambitionslosigkeit“ zeichnet St. Pauli aus
Seit zwei Jahren unterhalten und streiten sich Justus von Engelhardt (49, St. Pauli-Fan) und Ansgar Vaut (50, HSV-Fan) über die Hamburger Stadtrivalen. Vor dem Duell am Freitag bat die MOPO die befreundeten Kontrahenten zum Derby-Streitgespräch. Während HSV-Fan Vaut dem FC St. Pauli die sportliche Ambitionslosigkeit als Markenzeichen attestiert und die Spiele des Kiezklubs eher als Event betrachtet, versteht von Engelhardt nicht, wie man die HSV-Band Abschlach! gut finden kann. Und, er verrät, was er vom Verhalten der HSV-Fans hält, wenn es bei den Rothosen mal nicht läuft...
Ausgerechnet zur Jubiläumsfolge 75 ist die Stimmung im Podcast „Freibeuter und Pfeffersack“ gedämpft nach einem für beide Hamburger Teams erfolglosen Spieltag. Seit zwei Jahren unterhalten und streiten sich Justus von Engelhardt (49, St. Pauli-Fan) und Ansgar Vaut (50, HSV-Fan) über die Klubs. „Das Thema bewegt uns seit der Schulzeit“, schildert Vaut. „Wir dachten uns: Aus den langen Telefonaten, die wir führen, kann man auch mal einen Podcast machen“, sagt von Engelhardt. Die MOPO bat die befreundeten Rivalen zum Derby-Streitgespräch.
MOPO: Nach letztem Wochenende herrscht bei beiden Vereinen Frust: Erleben wir das Katzenjammer-Derby?
Ansgar: Kurios, dass beide Mannschaften mit einer Niederlage ins Derby gehen. Aber die drei Punkte werden dadurch ja nur umso wertvoller. Ein Katzenjammer-Derby wird es auf keinen Fall. Man wird von Anfang an spüren, dass es um alles geht.
Justus: Das war nur die Flaute vor dem Sturm. Vielleicht hat der HSV sich ja auch für das Derby geschont, weil sie die Büx voll haben. Deshalb haben sie Meffert gar nicht von Anfang an aufgestellt …
Ansgar: Das sind so Verschwörungstheorien, die auf dem Kiez gedeihen. Meffert muss nicht geschont werden.
Justus: Wie viele der letzten Derbys habt ihr nochmal verloren gegen uns?
Ansgar: Es ist bodenlos, dass der HSV in den neun Derbys in der Zweiten Liga nur zwei Siege und zwei Unentschieden geholt hat. Unfassbar, das regt mich wirklich auf. Auch wenn ich glaube, dass die Bilanz am Freitag etwas korrigiert wird.

Viele HSV-Fans haben Angst vor dem Frühjahrs-Einbruch. Wie seht ihr das?
Ansgar: Ein bisschen Nervosität ist da. Einige Leute aus der Walter-raus-Fraktion sagen jetzt, wir müssen schnell noch den Trainer rausschmeißen. Aber „Trainer raus“ hat beim HSV in den seltensten Fällen etwas gebracht. Wir sind immerhin Dritter mit sechs Punkten Vorsprung. Das Glas ist nicht halbleer, sondern drei Viertel voll.
Und wie ist die Stimmung bei St. Pauli?
Justus: In meiner Bubble sind alle extrem positiv. Alles kann, nichts muss.
Ansgar: Was heißt „Alles kann, nichts muss“? Für euch geht’s jetzt doch darum, im Aufstiegsrennen zu bleiben oder nicht.
Justus: Aber das ist ein Luftschloss. Ihr müsst aufsteigen, für uns ist es ein großes Geschenk, dass wir da oben sind. Wichtig ist, dass wir euch weghauen und die Stadtmeisterschaft behalten.
Ansgar: Ich war in meinem Leben auch häufiger am Millerntor, aber solche Sätze wie „Dritter oder Vierter ist doch völlig egal“ habe ich nie verstanden. Diese sportliche Ambitionslosigkeit zeichnet euch aus. Es ist ja schön, wenn ihr euch dabei wohlfühlt …
Justus: Im Gegensatz zu eurem Anspruchsdenken und dem Standesdünkel, der auf Erfolgen von vor 40 Jahren beruht. Da sind die Fans dann unverzeihlich, wenn die Leistung mal nicht ganz stimmt. Versager-raus-Transparente gibt‘s bei St. Pauli nicht. Wir sind happy, wenn die Spieler die Blutgrätsche auspacken, inzwischen auch mit ein bisschen mehr Technik dabei.
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Was nervt euch am anderen Klub am meisten?
Justus: Uns nervt gar nicht so viel an euch. Ich glaube, wir nerven euch viel mehr.
Ansgar: Das ist doch komplett umgekehrt. St. Pauli-Fans gucken viel mehr auf den HSV als umgekehrt. Zumindest war das lange so.
Justus: Ihr dachtet, ihr wäret die Platzhirsche. Jetzt seid ihr in der Zweiten Liga angekommen und behaltet trotzdem eure Herablassung bei. Bei euch ist es der Neid auf den kleinen Bruder, auf den man immer herabgesehen hat und der jetzt auf einmal erfolgreicher wird.
Ansgar: Moment, ihr wart noch in keiner einzigen Saison vor uns. Der Abstand hat sich aber verringert und muss unbedingt wieder größer werden. Da muss mindestens eine Liga dazwischen sein.
St. Pauli „Modelabel mit angeschlossener Betriebssportmannschaft“, HSV „lebt in der Vergangenheit“
Und was nervt euch jetzt genau?
Ansgar: St. Pauli hat mich nie gecatcht, weil es ein Modelabel mit angeschlossener Betriebssportmannschaft ist. Da hat man eine gute Zeit mit Freunden, Fußball steht gar nicht im Vordergrund. Das Totenkopf-Logo ist natürlich sehr gutes Marketing. Damit rennen auch Leute außerhalb Hamburgs rum. Nicht, weil sie sich für Fußball interessieren, sondern weil es für sie eine coole Marke ist.
Justus: Das neidet ihr uns. Bei uns steht eine Kultur und eine Haltung dahinter, das kommt ja nicht von ungefähr.
Ansgar: Das gibt‘s beim HSV auch. Nur dass in eurem Museum kein einziger Pokal steht.
Justus: Das nervt mich am meisten am HSV. Es geht doch nicht um Pokale. Vor allem, wenn der letzte Pokal 35 Jahre her ist. Es geht darum, gewisse Werte zu verkörpern. Ein Verein zu sein, der im Jetzt lebt, nicht in der Vergangenheit.
Ansgar: Interessanterweise sind Sportchef Bornemann und Präsident Göttlich bei euch ja schon ambitionierter als die Fans. Den Schulle-Rauswurf hätte es früher vielleicht nicht gegeben. Da hätte man auch sagen können: Wir sind kuschelig, wir machen weiter mit ihm.
Wie ist die Entlassung von Timo Schultz als St. Pauli-Trainer denn bei euch angekommen?
Justus: Übelst. Ich dachte, es liegt nicht am Trainer, sondern an den Spielern. Dass im Kader mehr steckt, haben wir jetzt erfahren. Ein Großteil der Fans findet den Rauswurf immer noch scheiße, hält im Moment aber die Klappe.
AC/DC oder Abschlach! – welcher Verein hat die bessere Musik?
In einer Podcast-Folge habt ihr euch auch über den Musikgeschmack der anderen Seite aufgeregt …
Ansgar: Atmosphärisch ist es ja ganz cool, wenn am Millerntor zum Einlaufen „Hells Bells” läuft. Aber das ist ein Oldie einer australischen Band. Was hat der mit St. Pauli zu tun? Mit „Song 2“ als Torhymne ist es genauso. Der HSV ist mit Scooter und „Auf geht’s, Hamburg“ viel lokalbezogener, weil Hamburg der Markenkern des HSV ist. Ich finde es auch total cool, dass eine Band wie Abschlach! sich als Graswurzelbewegung hochgearbeitet hat.
Justus: Ein frühes Lied von denen heißt „Kniet nieder, ihr Bauern, hier kommt der HSV“, dazu eine Hymne mit Ehre, Eisen und Treue … das ist keine Band, die man niedlich finden kann, auch wenn sie jetzt Kuschelrock spielen. Nebenbei gibt es ja auch gute Hamburger Musik, nicht nur Scooter. Wir haben Thees Uhlmann, Bela B. und Niels Frevert.
Ansgar: Die Promis finden es halt schick, zu St. Pauli zu gehen.
Justus: Soll ich dir sagen, was der Markenkern von St. Pauli ist? Rotlicht, Rum und Rock‘n‘Roll. Kneipen und Musik. Blur sind mit „Song 2“ in der Großen Freiheit aufgetreten. Da besteht eine klare Verbindung.
Ansgar: „Wir sind der HSV“ von Abschlach! ist einfach großartig. Das muss man nicht abends zu Hause hören, aber es ist eine fantastische Stadionhymne. Mit Fans für den Verein gemacht. Angus Young von AC/DC kennt St. Pauli doch gar nicht.
Justus: Muss er auch nicht.
Auf der Suche nach dem Derbyhelden: Macht’s Suhonen oder Irvine?
Wie verfolgt ihr das Derby?
Ansgar: Beim letzten HSV-Heimspiel gegen Hannover waren wir beide im Volksparkstadion, aber das Derby gucken wir im Fernsehen. Vermutlich auf meiner Couch, mit unseren Kindern und Freunden. Beim letzten Derby war’s genauso, da war meine Laune hinterher doch ziemlich schlecht.
Und wer wird der Derby-Held?
Ansgar: St. Pauli wird ein Tor schießen, die Defensive des HSV hat sich ja als nicht so stabil erwiesen. Aber wir schießen eins mehr und gewinnen 2:1. Ich würde mich total freuen, wenn Suhonen eingewechselt wird, rumflitzt und das Siegtor schießt. Ein sympathischer Typ, der Frische reinbringt.
Justus: 2:1 stimmt, aber natürlich für uns. Derby-Held wird Jackson Airvine, der das Ding mit einem Flugkopfball unter die Latte zimmert.
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Jetzt haben wir lange über das kommende Hamburger Derby geredet. Wann findet denn das übernächste statt?
Justus: Es wäre ja schön, wenn beide Vereine aufsteigen. Aber ich denke, wir sehen uns nächstes Jahr in der Zweiten Liga wieder.
Ansgar: Ich hoffe, dass es sehr, sehr lange dauern wird. Vielleicht ja in drei, vier Jahren im Pokal. Und dann natürlich am besten in Berlin.