Überraschung vor Rekord-Kulisse: SC Victoria dreht Finale – St. Pauli-Trainer sauer
Überraschung an der Hoheluft: Im Hamburger Pokalfinale setzten sich die Kickerinnen des SC Victoria nach einer grandiosen Aufholjagd mit 3:2 (1:2) gegen den höherklassigen FC St. Pauli durch. Die Braun-Weißen verpassten damit ihren dritten Pokalsieg in Folge – auch durch einen umstrittenen Platzverweis kurz vor der Pause. Mehr als 4.000 Zuschauer:innen sorgten für eine Rekordkulisse im Stadion Hoheluft.
„Die Mannschaft hat so viel Moral bewiesen, das ist einer der schönsten Tage, die wir haben werden“, jubelte Victorias Trainer Dennis Wolf, nachdem er seiner Matchwinnerin Celine Witt eine Bierdusche verpasst hatte. Der Pokalsieg war vielleicht mehr, als sich das Team um Kapitänin Jule Nachtigall selbst erhofft hatte.
An der Hoheluft sind Victorias Spielerinnen zu Hause, in diesem Jahr wurden sie Hamburger Meisterinnen und wollten die Scharte aus dem Vorjahr auswetzen, als sie im Pokalfinale gegen den Regionalligisten St. Pauli mit 0:6 untergegangen waren. Gute Vorsätze hatten sie, ein Heimspiel indes nicht. St. Paulis Fans waren in großer Zahl und mit vielen großen Fahnen unter anderem auf der Gegengeraden versammelt. Wer „Vicky” anhing, schwenkte tapfer kleinere blau-gelbe Fähnchen auf der Tribüne, auf der mit Jackson Irvine allerdings auch ein St. Pauli-Profi zur prominenten Unterstützung Platz nahm.
Mehr Zuschauer beim Frauenfinale als bei den Herren
Insgesamt fanden sich 4.288 Zuschauer:innen zum „Hamburger Wembley” ein. „Auf der Gegengerade hätten wir noch mehr Tickets verkaufen könnten“, sagte HFV-Präsident Christian Okun und warb erneut für ein größeres Stadion mit Platz für mehr als 5000 zugelassenen Menschen. Es war aber auch so eine Rekordkulisse für das Pokalfinale der Frauen und deutlich als die 3.300 Menschen beim Pokalfinale der Männer zwischen Eintracht Norderstedt und dem USC Paloma am vergangenen Samstag. Die hatten vor dem Elfmeterschießen keine Tore gesehen, das sollte dem Himmelfahrts-Publikum nicht passieren. Victorias Torhüterin Raven Bosselt musste sich früh gegen Lina Jubel (3.) auszeichnen, ein raffinierter Distanzschuss von Carlotta Kuhnert (15.) bereitete ihr leichte Probleme. St. Pauli dominierte zunächst das Geschehen. „Zu den ersten zwanzig Minuten kann man dem Team nur gratulieren“, sagte St. Pauli-Coach Jan-Philipp Kalla später.

Denn just als die Außenseiterinnen die erste Viertelstunde schadlos überstanden hatten, brach das Unheil über sie herein: Brosselt ließ eine Hereingabe aus den Händen rutschen, Merle Oppenheim (16.) war zur Stelle und schob den Ball ins lange Eck. Zwei Minuten später kombinierte sich Kuhnert über rechts durch, gab zurück auf Joline Floeter, die dann die noch besser postierte Julia Hechtenberg (18.) fand – 2:0 für St. Pauli innerhalb von zwei Minuten. „Nach dem 0:2 habe ich gedacht, das könnte böse werden“, gab Victorias Trainer Dennis Wolf zu.
Victoria kämpft sich zurück
Doch Victoria ließ sich vom braun-weißen Doppelschlag nicht schocken – und wurde belohnt, als St. Paulis Torhüterin Tara Zimmermann den Ball an den Kopf von Witt schoss. Vickys Nummer Neun nahm den Abpraller auf und schob ihn ins verwaiste Tor. „Da habe ich einfach auf meinen Instinkt gehört“, erklärte Witt, warum sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen war. Es stand nur noch 2:1 für die Favoritinnen – und es gab einen dramatischen Wechsel des oft beschworenen Momentums. „Leider haben wir Vicky durch einen Fehler wieder ins Spiel gebracht“, bedauerte Kalla – wobei das Ausmaß des Umschwungs erstaunlich war.
Mit dem Anschlusstreffer war alle Nervosität bei Victoria verflogen und ein komplett anderes Spiel entstanden. Jana Schofeld (32.) hätte um ein Haar den Ausgleich markiert, doch ihr Schuss prallte von der Latte zurück ins Feld. Kurz darauf kam Jana Bothmann (35.) nach Zuspiel von Finja Paape im St. Pauli-Strafraum zu Fall, Schiedsrichterin Jacqueline Herrmann ließ aber zu Recht weiterlaufen. Dann zeichnete sich St. Pauli-Keeperin Zimmermann mit einer Fußabwehr gegen Paape (38.) aus.

Die WochenMOPO – ab Freitag neu und überall, wo es Zeitungen gibt!
Diese Woche u.a. mit diesen Themen:
- Gesetzlich gegen privat: Der große Kampf um die Arzttermine
- Hauptbahnhof-Attacke: Warum das System bei Messer-Angreiferin Lydia S. versagte
- Schnecken-Ämter: Wütende Mütter demonstrieren gegen Endlos-Wartezeiten beim Elterngeld
- Radler-Boom: Wie die Risiken an den Hauptachsen zunehmen
- Große Rätselbeilage: Knobelspaß für jeden Tag
- 20 Seiten Sport: Der große HSV-Hype – neuer Rekord bei Trikotverkäufen und alle wollen dieses eine Shirt
- 20 Seiten Plan7: Hamburg feiert die Speicherstadt, britische Durchstarter in der Fabrik und Geschichten vom Jenischpark
St. Pauli schwamm – und Linnea Taube nicht mehr mit. In der 39. Minute sah die braun-weiße Nummer 20 nach einem Foul an der Mittellinie die Gelb-rote Karte. Eine harte Entscheidung nach zwei Vergehen in fünf Minuten, aber in Unterzahl retteten ihre Mitspielerinnen die 2:1-Pausenführung in die Kabine. „Schade, dass die Schiedsrichterin nicht ihren besten Tag hatte“, konnte Kalla den Platzverweis nicht nachvollziehen: „Unsere Spielerin hat eine ganze Regionalliga-Saison ohne Gelbe Karte gespielt. Jetzt gibt die Schiedsrichterin ihr Gelb-Rot und bleibt dieser Linie dann aber nicht treu.“
Victoria kontrollierte das Spiel in der Schlussphase
Direkt nach dem Wechsel hatte Witt (46.) für Vicky den Ausgleich auf dem Fuß, doch der Ball rutschte ihr vom Schlappen. Mehr Erfolg hatte Bothmann (51.), als sie nach einem durch Fußabwehr von Bosselt eingeleiteten und blitzsauber ausgespielten Konter mit Hilfe des Innenpfostens traf. 2:2, alles offen an der Hoheluft! „Nach dem Ausgleich dachte ich: Jetzt ist es unser Spiel, das holen wir nach Hause“, beschrieb Bothmann ihre Gedanken nach dem Treffer.

Mit einer Frau mehr kontrollierte Victoria zunehmend das Geschehen. Item Üstüm (60.) zwang Zimmermann zu einer Fußabwehr. Hechtenberg (65.) erzielte ein Abseitstor für St. Pauli, ansonsten lief in der Offensive des Favoriten zu zehnt aber wenig zusammen. Ganz im Gegensatz zu den Außenseiterinnen, die immer wieder Gefahr heraufbeschworen – und jubeln durften, als Witt (74.) mit einem Heber über Zimmermann zum 3:2 traf. Vicky hatte das Spiel gedreht. „Das passiert, wenn man an sich glaubt und zusammenhält“, sagte Doppel-Torschützin Witt, die auch zur Spielerin des Spiels gewählt wurde.
Victoria Hamburg bei DFB-Pokal mit dabei
St. Pauli rannte nun mit dem Mut der Verzweiflung an, doch Victorias Abwehr verteidigte fast alles weg, Bosselt parierte bravourös gegen Jubel (90.+2), Rachel Rinast (90.+4) köpfte die letzte St. Pauli-Chance übers Tor. Kurz vor 17 Uhr war die Überraschung perfekt: Pokalsieg für den Außenseiter, Revanche fürs Vorjahr und dazu noch eine Aufholjagd, die nach den ersten zwanzig Minuten wohl kaum jemand den Hohelufterinnen zugetraut hätte. Nun vertritt der SC Victoria Hamburg neben dem Bundesliga-Aufsteiger HSV im DFB-Pokal.
Das könnte Sie auch interessieren: Last-Minute-Drama vor Mega-Kulisse! Altona vergibt Auftaktsieg in Aufstiegsrunde
In der ersten Pokalrunde warten allerdings noch keine Erstligisten auf Victoria. Die Landespokal-Gewinner messen sich mit Zweitliga-Teams oder untereinander, bevor die 16 besten Klubs der vergangenen Saison in der zweiten Runde eingreifen. Um auf das ganz große Los zu hoffen – Torschützin Bothmann wünschte sich Bayern München –, braucht Vicky also noch einen weiteren Sieg. Aber das wird den Spielerinnen von Trainer Wolf erst einmal komplett egal sein.
Anmerkungen oder Fehler gefunden? Schreiben Sie uns gern.