Nach der EM wollte er aufhören: Wie Nagelsmann die DFB-Auswahl lieben lernte
Bei der Nationalhymne kommen Julian Nagelsmann regelmäßig die Tränen. Über seine Spieler hält er wie ein Vater die schützende Hand. Und mit Rudi Völler verbindet den Bundestrainer längst eine Männer-Freundschaft. Ein Jahr nach seinem Antritt hat Nagelsmann in einem langen Interview eine Art Liebeserklärung an seinen neuen Job abgegeben, die ihm noch zu Beginn kaum jemand zugetraut hätte.
Eigentlich habe er den Bundestrainer-Job „nur bis zum Ende der EM“ machen wollen, um danach wieder Vereinstrainer zu werden, sagte Nagelsmann dem Stern. Dann aber habe er seine Aufgabe und auch die Spieler immer mehr ins Herz geschlossen. Sein heutiges Urteil: „Diese Mannschaft ist meine Mannschaft“.
Wer hätte das gedacht? Genau ein Jahr ist es am Sonntag her, dass der DFB Nagelsmann als Nachfolger von Hansi Flick präsentierte. Die Entscheidung stieß nicht überall auf Begeisterung. „Wir brauchen jetzt einen erfahrenen, starken Mann, der sich nicht selbst verwirklichen will und nicht fünf verschiedene Systeme spielen will“, hatte etwa Sky-Experte Dietmar Hamann gesagt und sich für Louis van Gaal oder Felix Magath stark gemacht.
Nagelsmann bei Nationalhymne stets überwältigt
Denn Nagelsmann galt nach seiner Zeit in Hoffenheim, Leipzig und München als Taktiknerd, der mit dem Longboard zum Training kommt. Das Jahr bei der Nationalmannschaft hat dieses Bild geändert – die Hymne ist dafür ein gutes Beispiel. „Ich kriege jedes Mal eine Gänsehaut“, sagt Nagelsmann: „Wenn ich ehrlich bin, muss ich mich teils sogar darauf konzentrieren, nicht weinen zu müssen.“
Und auch er selbst habe sich geändert, zumindest behauptet das Nagelsmann. Im Vergleich zu seinen Zeiten als Klubtrainer „wollte ich empathischer werden“, verriet er. Früher habe er „Spieler vielleicht zu oft in den Medien“ kritisiert. Heute äußere er sich nur noch intern negativ über seine Spieler: „Da halte ich die Hand schützend drüber.“
Nagelsmann lobt Unterstützung von „Vaterfigur“ Völler
Zudem spüre er auch die schützende Hand anderer – anders als manchmal in München, wo die Klubbosse Hasan Salihamidzic und Oliver Kahn angesichts des großen Umbruchs „nicht den Kopf dafür frei hatten, vielleicht auch noch nicht das Standing, um sich viel um mich zu kümmern.“ Zu Rudi Völler etwa habe er beim DFB eine enge Beziehung aufgebaut. „Er ist für mich eine Vaterfigur“, so Nagelsmann im Stern.
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Dass ihm der Erfolg geholfen hat, das weiß auch Nagelsmann, dessen Umbruch Früchte trug und in Deutschland neue Sympathien für das DFB-Team weckte. Wie sehr er seinen neuen Job mag, habe er nach der EM bemerkt, als zum Abschied „viele Tränen“ geflossen seien. „So etwas hatte ich auch noch nicht erlebt“, so Nagelsmann: „Wenn im Vereinsfußball das Saisonende gekommen ist und es in die Sommerpause geht, weint niemand.“ (sid)