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  • Zwei Gesichter der „Sommermärchen-Affäre“ um die WM 2006 sind die beiden ehemaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger (l.) und Wolfgang Niersbach. Dieses Foto entstand 2009 bei einem Länderspiel in Leverkusen.
  • Foto: imago images/Sven Simon

Justiz-Debakel droht: Corona-Krise verhindert wohl Urteil in Affäre um WM 2006

Frankfurt –

Es wäre ein ausgewiesenes Debakel für die Schweizer Justiz und eine herbe Enttäuschung für viele Fußball-Fans weltweit: Die Aufarbeitung der „Sommermärchen-Affäre“ um die WM 2006 in Deutschland – sie steht quasi vor dem Aus. Die Verhandlungen vor dem Schweizer Bundesstrafgericht liegen aufgrund der drohenden Gefahr durch das Coronavirus noch bis mindestens 20. April auf Eis.

Das ist ein schwerwiegendes Problem: Denn am 27. April verjähren die Delikte, die den beiden angeklagten ehemaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger (74) und Wolfgang Niersbach (69) vorgeworfen werden.

Theo Zwanziger und Wolfgang Niersbach angeklagt

„Ich halte es für die richtige Entscheidung und alternativlos“, sagte Niersbach. Zwanziger kommentierte: „Ich halte die Verschiebung für vernünftig und habe nach dem Inhalt dieser Verfügung des Gerichts zum ersten Mal das Gefühl, dass man sich mal mit der Sache wirklich zu beschäftigen scheint.“ Statements, die natürlich in einem fragwürdigen Licht erscheinen – und bei vielen Fans für Kopfschütteln und Bestürzung sorgen.

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Die Ex-DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach und Theo Zwanziger sowie der ehemalige DFB-Schatzmeister Horst Schmidt (v.l.).

Foto:

AFP

Die „außerordentliche Lage vor dem Hintergrund des Coronavirus“ verhindere derzeit eine Fortführung der Verhandlung, hatte das Gericht im schweizerischen Bellinzona am Dienstag mitgeteilt. „Sämtliche Beschuldigte sind älter als 65 und weisen teilweise einschlägige Vorerkrankungen auf. Sie gehören demnach zur Risikogruppe“, teilte das Gericht weiter mit. Niersbach und Zwanziger könne „nicht zugemutet werden, an der Hauptverhandlung teilzunehmen“.

Wirbel um Millionen-Zahlung vor der WM 2006

Auch Horst R. Schmidt (78), ehemals Schatzmeister und Generalsekretär des DFB, und der Schweizer Ex-FIFA-Generalsekretär Urs Linsi (70) müssen sich vor Gericht verantworten. Die Bundesstaatsanwaltschaft wirft den vier Ex-Funktionären vor, über den eigentlichen Zweck einer Zahlung aus dem Jahr 2005 in Höhe von 6,7 Millionen Euro vom DFB an den Weltverband FIFA getäuscht zu haben. Zwanziger & Co. haben die Vorwürfe stets bestritten.

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Ex-DFB-Präsident Wolfgang Niersbach (M.) und seine Anwälte vor dem Bundesstrafgericht im schweizerischen Bellinzona.

Foto:

dpa

Aus gesundheitlichen Gründen spielten der damalige OK-Boss Franz Beckenbauer (74) und der katarische Skandalfunktionär Mohamed bin Hammam (70) im Prozess von vornherein keine Rolle. Davon hatte sich die Staatsanwaltschaft einen zügigeren Urteilsspruch versprochen. Der Prozess hatte am 9. März begonnen. Eröffnet worden war das Verfahren bereits am 6. November 2015. Dass nun aber vor dem 27. April ein Urteil fällt, ist nun aber höchst unwahrscheinlich.

Sind der Staatsanwaltschaft Fehler unterlaufen?

Zwanziger und Schmidt waren dem Verfahren bislang ferngeblieben, sie hatten ärztliche Atteste vorgelegt. Ein Sachverständiger konnte deren Belastbarkeit aber bislang nicht prüfen – weil er die behandelnden deutschen Ärzte nicht erreichte. Niersbach hat sich unterdessen nach einem Corona-Verdachtsfall am Gymnasium seines Stiefsohnes in selbstverordnete Quarantäne begeben.

Hier lesen Sie mehr: Nach Anklage in der Schweiz – Ex-DFB-Präsidenten Theo Zwanziger und Wolfgang Niersbach auch in Deutschland vor Gericht.

Das und die Verjährungsfrist sind nicht die einzigen Probleme. Denn das Gericht hat augenscheinlich auch gravierende Mängel bei der Arbeit der Bundesanwaltschaft ausgemacht. So hätten gegen Zwanziger und Schmidt auch ein Abwesenheitsverfahren durchgeführt werden können – „wenn die beschuldigte Person im bisherigen Verfahren ausreichend Gelegenheit hatte, sich zu den ihr vorgeworfenen Straftaten zu äußern und die Beweislage ein Urteil ohne ihre Anwesenheit zulässt“, hieß es vom Gericht. Das allerdings, „scheint nicht der Fall zu sein.“

Bundesanwalt Michael Lauber: Geheimtreffen mit FIFA-Boss

Der Schweizer Bundesanwalt Michael Lauber (54) hat das Verfahren zudem durch seine nicht protokollierten Geheimtreffen mit FIFA-Präsident Gianni Infantino (49) beschädigt. Es seien laut Gericht „Umstände zu Tage“ gekommen, „die umfassende Beweisverwertungsverbote zur Folge haben könnten“.

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Der Schweizer Bundesanwalt Michael Lauber steht in der Kritik.

Foto:

imago images / Manuel Winterberger

Lauber hatte sich in der Vergangenheit mehrfach mit Infantino getroffen – das aber nicht protokolliert. Gegen ihn wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet und sein Lohn gekürzt.

Der Sommermärchen-Prozess, er ist für viele Beobachter längst zur absoluten Farce verkommen – nun droht er auch zu einem handfesten Justiz-Skandal zu werden. Einziger Ausweg: Per Notrecht könnten die gesetzlichen Fristen aufgehoben werden und ein Rechtsstillstand verhängt werden. (kos)

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