Er reiste in über 100 Fußballstadien: Die bewegende Geschichte von Autist Jason (18)
Laut, eng, stressig – der Besuch in einem Fußballstadion kann für Menschen mit Autismus eine große Herausforderung sein. Das gilt auch für den Autisten Jason von Juterczenka (18). Doch weil er unbedingt einen Lieblingsverein finden möchte, reist er gemeinsam mit seinem Vater Mirco (46) in alle 56 Stadien der 1., 2. und 3. Liga Deutschlands. Die bewegende Geschichte der beiden erzählt der Film „Wochenendrebellen“ ab Donnerstag im Kino. In der MOPO sprechen Jason und Mirco über ihre teilweise skurrilen Erlebnisse, ihre besondere Vater-Sohn-Beziehung, den Umgang mit Autismus – und darüber, was der FC St. Pauli mit all dem zu tun hat.
Laut, eng, stressig – der Besuch in einem Fußballstadion kann für Menschen mit Autismus eine große Herausforderung sein. Das gilt auch für den Autisten Jason von Juterczenka (18). Doch weil er unbedingt einen Lieblingsverein finden möchte, reist er gemeinsam mit seinem Vater Mirco (46) in alle 56 Stadien der 1., 2. und 3. Liga Deutschlands. Die bewegende Geschichte der beiden erzählt der Film „Wochenendrebellen“ ab Donnerstag im Kino. In der MOPO sprechen Jason und Mirco über ihre teilweise skurrilen Erlebnisse, ihre besondere Vater-Sohn-Beziehung, den Umgang mit Autismus – und darüber, was der FC St. Pauli mit all dem zu tun hat.
Als Papa Mirco seinem Sohn auf dem Heimweg von dessen allererstem Stadionbesuch vorschwärmt, welche Bedeutung ein Lieblingsverein für einen Menschen hat, will der damals sechsjährige Jason auch einen haben. Nur weiß er nicht, wie er das anstellen soll. „Mir wurde erst erzählt, was das für eine wichtige Entscheidung sei, aber dann hieß es plötzlich: Es entstehe durch Zufall. Das widersprach sich für mich“, erzählt Jason im Gespräch mit der MOPO. „Mir war von Anfang an klar, dass bei einer solch bedeutenden Entscheidung Logik eine Rolle spielen muss. Deswegen musste ich alle Vereine sehen, um mich entscheiden zu können.“
Bei Jason von Juterczenka wurde Asperger diagnostiziert
Für Jason ist das die einzig richtige Vorgehensweise. Der heute 18-Jährige lebt als Autist, im Alter von vier Jahren wurde bei ihm Asperger-Autismus diagnostiziert – eine so genannte Autismus-Spektrum-Störung (ASS), die schätzungsweise 0,02 bis 0,03 Prozent der Menschen in Deutschland als Teil ihrer Persönlichkeit haben. Da Jason in seinem Leben dadurch immer klaren Regeln und Strukturen folgt, ist eine logische Denk- und Verhaltensweise für ihn selbstverständlich.

„Jason war schon immer schwer abzubringen von Dingen, die er sich in den Kopf gesetzt hat“, berichtet Papa Mirco. Der Operations Manager in der Systemgastronomie hat seinem Sohn in jener Nacht versprochen, mit ihm einen Lieblingsfußballverein zu finden – und da auch Versprechen für Jason einen hohen Stellenwert haben, lässt er sich auf die Reise ein. „Für mich war das keine Reise für einen Lieblingsverein, sondern für eine engere Beziehung zu meinem Sohn“, sagt Mirco heute. „Durch diese Tour habe ich Jason viel besser kennengelernt und bin sehr gewachsen in meiner Rolle als Vater.“
Von ihrer Heimat nördlich von Kassel geht es los durch ganz Deutschland, später sogar durch Europa, in bis heute über 100 Fußballstadien. Verschiedene Kriterien spielen für Jason eine Rolle: die Fanszene, die Anreise per Zug, der ökologische Aspekt, Skurrilitäten und Besonderheiten im Stadion – und die Maskottchenregel, wonach der Verein kein Maskottchen haben darf, seit Berlins „Herthinho“ Jason umarmen wollte. „Ich habe das Fan-Sein am Anfang gar nicht verstanden“, gesteht er. „Also habe ich mir Regeln gemacht, und solange diese Regeln eingehalten werden, ist es für mich nachvollziehbar, wenn ich Fan eines Vereins bin.“
Mirco und Jason erleben kuriose Situation beim FC St. Pauli
Natürlich macht das Vater-Sohn-Duo auch in Hamburg Halt – und der Besuch beim FC St. Pauli bleibt besonders in Erinnerung. Der Grund: die silbernen Stehtoiletten am Millerntor. Denn für Jason, damals sieben, muss eine Toilette weiß sein und er muss sitzen können. „Ich habe großen Druck gemacht, dass Papsi das löst“, erinnert sich Jason. Also kniet Mirco auf den Boden und formt aus seinem Körper eine Art Sitz-Toilette – mitten im Urinal am Millerntor. Eine „sehr skurrile Situation“, lacht der Vater rückblickend: „Aber ich wusste: Das ging für ihn nicht anders. Also war es für mich selbstverständlich, dass ich das Problem löse.“

Problem. Ein Wort, das Jason in Bezug auf Autismus vermeiden möchte. „Natürlich spielt Autismus eine Rolle in unserer Geschichte, wenn auch nicht die Hauptrolle“, betont er. „Ohne wäre es sicherlich anders gelaufen. Aber Autismus ist keine Krankheit und grundsätzlich überhaupt nichts, das man heilen muss. Es ist ein Teil meiner Persönlichkeit.“ Papa Mirco sieht das ähnlich: „Autismus sorgt bei uns zu Hause für Leitplanken und Linien im Alltag – und ich habe festgestellt: Das ist auch für uns neurotypische Menschen gar nicht so schlecht.“
Zu einer Herausforderung wird es erst, als nichtautistische Menschen versuchen, aus der Geschichte einen Film zu machen. Doch dank der Offenheit von Regisseur Marc Rothemund „waren wir von Tag eins an in sehr engem Austausch und ich durfte viel Feedback geben“, sagt Jason: „Der Film hat zwar nicht das Ziel, über Autismus aufzuklären, aber er soll auch keine falschen Stereotypen stärken.“ Auch für Mirco ein großes Anliegen: „Natürlich sind uns anfangs im Film auch mal Fehler passiert. Deshalb war der ständige Austausch sehr wichtig und für den sind wir enorm dankbar. Das Ende wurde zum Beispiel auf Wunsch von Jason noch mal geändert, denn uns war wichtig, dass er sich mit seiner Rolle im Film wirklich wohlfühlt.“
Florian David Fitz spielt Mirco in „Wochenendrebellen“
Das haben das Team um Rothemund und die Hauptdarsteller Florian David Fitz (Mirco) und Mirco Cecilio (Jason) nun geschafft – und Papa und Sohn sind stolz auf einen „besonders herausragenden Film auf vielen Ebenen“, wie Mirco findet. „Wären wir nicht zufrieden, gäbe es den Film so nicht“, weiß auch Jason und unterstreicht: „Mit dem Endergebnis bin ich nahezu hundertprozentig zufrieden. Auch, weil es extrem gut gelungen ist, neurotypischen Menschen greifbarer zu machen, wie ein Autist diese Reise erlebt.“
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Neben Film, Blog, Podcast und sogar einem Buch, das mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde, kamen durch das Projekt auch schon 50.000 Euro für die Neven-Subotic-Stiftung zugunsten Kindern in armen Ländern zusammen. Nur eines hat Jason noch nicht geschafft: seinen Lieblingsverein zu finden. „Aber das ist nicht schlimm“, sagt Jason. „Wir suchen nach wie vor nach meinem Lieblingsverein und ich fände es okay, wenn wir für immer weitersuchen. Ich möchte nicht, dass das aufhört.“
▶ „Die Wochenendrebellen” erscheint am Donnerstag im Kino. Zur Premiere sind Mirco und Jason von Juterczenka für eine spezielle Vorstellung gemeinsam mit dem FC St. Pauli im Holi Kino (Schlankreye 69) zu Gast. Start ist um 20 Uhr, Tickets gibt’s über CinemaxX.de, den FC St. Pauli und an der Abendkasse.