St. Pauli-Kapitän Jackson Irvine Foto: WITTERS

Wirbel um Palästina-Trikot: Antisemitismus-Vorwürfe gegen St. Pauli-Kapitän Irvine

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Eigentlich sollte es ein ganz entspanntes Wochenende werden für Jackson Irvine. Der Kapitän des FC St. Pauli nutzt die Sommerpause für einige Trips und besuchte zuletzt das Musikfestival „Primavera Sound“ im portugiesischen Porto. Geräuschvoll ist vor allem das Nachspiel in den sozialen Netzwerken, das erst jetzt so richtig hochkocht. Der australische Nationalspieler sieht sich mit Antisemitismus-Vorwürfen konfrontiert, auch aus dem eigenen Fan-Lager. Was ist passiert – und wie reagieren Irvine und der Kiezklub?

Stoff des Anstoßes ist ein Shirt, das Irvine an einem der Festival-Tage trug, ein Trikot des „FC Palestine“. Ein Foto davon fand sich in der Instagram-Bilderauswahl seiner Frau Jemilla, wurde inzwischen aber wieder gelöscht. Dieser FC Palästina ist allerdings kein realer Fußballklub, sondern ein 2015 gegründetes Solidaritäts-Projekt für die Menschen in dem Land. Das Tragen des Trikots soll ein Zeichen setzen, für Aufmerksamkeit sorgen und Verbundenheit symbolisieren. Ein Teil der Einnahmen der Verkäufe wird für soziale Zwecke in den Palästinensergebieten zugunsten der Not leidenden Bevölkerung eingesetzt, heißt es seitens der Initiatoren.

Irvine trug auf Festival ein Trikot vom „FC Palestine“

Problematisch ist, dass auf dem Trikot auch eine stilisierte Zahl 11 zu sehen ist, die beiden Einsen in den Umrissen Palästinas – allerdings inklusive des israelischen Staatsgebiets.

In den sozialen Netzwerken und in diversen Foren sorgt vor allem das für große Aufregung, Angriffe und zum Teil hitzige Diskussionen. Irvine sieht sich nun dem Vorwurf ausgesetzt, mit dem Tragen des Shirts die Existenz Israels infrage zu stellen, ein eindeutig antisemitisches Statement gesetzt zu haben oder mindestens indirekt den Terror der Hamas zu legitimieren.



Viele Fans verteidigen ihn, nennen den Antisemitismus-Vorwurf haltlos und sprechen Irvine von diesem Vorwurf frei. Andere sind enttäuscht, können nicht verstehen, warum er das Trikot getragen hat und glauben nicht an Gedankenlosigkeit des klugen und politisch interessierten Kopfes, der wie kein zweiter Kiezkicker für die Werte des Vereins, Toleranz und Diversität steht.

Der FC St. Pauli will sich auf Anfrage nicht öffentlich zu dem Fall äußern, ihn aber aufarbeiten. „Wir sprechen intern miteinander“, heißt es. Der Verein steht im Austausch mit Irvine. Dieser hat bislang noch nicht mit einem Statement auf seinen Social-Media-Kanälen auf die Vorwürfe gegen seine Person reagiert. Nicht ausgeschlossen, dass dies angesichts der zum Teil heftigen Vorhaltungen und Unterstellungen noch passiert.

FC St. Pauli äußert sich nicht, verweist auf Stellungnahme

Der Kiezklub verweist im Fall Irvine auf eine Ende Mai veröffentlichte Stellungnahme zum Nahost-Konflikt und Debatten, die auch den FC St. Pauli und seine Haltung betreffen:

„Der FC St. Pauli ist ein überkonfessioneller, überparteilicher Verein mit rund 50.000 Mitgliedern. Wir haben viele Mitglieder und Fans, die sich als links und fortschrittlich verstehen. Der Verein ist divers sowie inklusiv und positioniert sich eindeutig und klar gegen alle, die diese Vielfalt angreifen“, heißt es. „Wir haben gemeinsame Überzeugungen, aber angesichts der Vielfalt im und um den FC St. Pauli gibt es auch unterschiedliche Meinungen und Perspektiven. Wir wollen daher vor allem das Verständnis untereinander und den persönlichen Austausch fördern.“ Der Kiezklub sei „ein Fußballverein mit politischem Anspruch, aber keine Partei“ und ergreife im hochkomplizierten, widersprüchlichen und emotional aufgeladenen Nahostkonflikt auch keine Partei.

Kiezklub kritisiert Hamas und Regierung Netanjahu

So hat St. Pauli nach dem Massaker der Hamas 7. Oktober 2023 den Opfern und ihren Angehörigen kondoliert und Beistand versichert, da auch „viele Fans und Mitglieder von Hapoel Tel Aviv ermordet worden waren“, dem befreundeten israelischen Fußballverein. Ein „Zeichen der Humanität“. Zum anderen habe der Kiezklub aber auch „mehrfach dazu aufgerufen, für Menschen im Gazastreifen zu spenden“, angesichts der „katastrophalen humanitären Lage dort“.

Seine differenzierte Position fasste der Verein wie folgt zusammen: „Für den FC St. Pauli als antifaschistischen und progressiven Verein ist vollkommen klar: Wir stehen nicht an der Seite einer radikal-antisemitischen, fundamentalistischen Terror-Organisation wie der Hamas oder mit ihren verbündeten Gruppen. Wir stehen aber selbstverständlich auch nicht an der Seite einer rechtsextremen und rassistischen Regierung wie der von Benjamin Netanjahu oder anderen Regierungen mit ähnlichen Konzepten.“ Man hoffe auf „eine friedlichere Zukunft für alle Menschen – sei es in Israel oder Palästina.“

Was Jackson Irvine über den Nahost-Konflikt sagte

Im November 2023, rund einen Monat nach dem Anschlag der Hamas, bei dem mehr als 1200 Menschen starben und angesichts der militärischen Gegenoffensive der israelischen Regierung, die ebenfalls bis heute Tausende zivile Todesopfer gefordert hat, hatte Irvine vor einem Länderspiel seiner australischen Nationalmannschaft gegen die Auswahl Palästinas, über den Nahost-Konflikt gesprochen, „eines der kompliziertesten geopolitischen Probleme der letzten 100 Jahre.“

Seine Mannschaft hatte sich im Vorfeld entschieden, einen Teil ihrer Prämien für humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung in Gaza zu spenden, an die internationale Hilfsorganisation Oxfam. Das solle aber nicht als politische Botschaft oder Parteinahme verstanden werden, betonte Irvine damals. „Am Ende des Tages unterstützte ich jede humanitäre Sache“, so der St. Pauli-Kapitän. „Der Tod von Zivilisten ist eine Tragödie in jedem Konflikt und das sollte die Priorität der Diskussion sein.“

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