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Wendepunkt: Hannover hatte Chancen zum Sieg, St. Pauli schon ein 2:0 verspielt und Igor Matanovic (r.), der die Auswärts-Misere dann doch beendete.
  • Wendepunkt: Hannover hatte Chancen zum Sieg, St. Pauli schon ein 2:0 verspielt und Igor Matanovic (r.), der die Auswärts-Misere dann doch beendete.
  • Foto: WITTERS

Wechseljahr eines Wintermeisters: Die verrückten zwölf Monate des FC St. Pauli

Wenn im Fußball wirklich „alles so schnell geht“, wie die Protagonisten gerne betonen – was dann wohl erst in einem Jahr passieren kann? Vieles, sicher, aber wie viel genau, das lässt sich kaum sagen. Die zurückliegenden 52 Wochen beim FC St. Pauli bieten jedenfalls einen Eindruck, was möglich ist: ziemlich viel. Rückblick auf das Wechseljahr eines Wintermeisters. 

Ganz so märchenhaft wie bei Kaiserin Sissi ging es nicht zu trotz dieser erstaunlichen Erfolgsgeschichte. Der Hamburger Berg reicht von Ästhetik und Höhe eben nicht heran an die Alpen. Bemerkenswert ist das, was sich in den vergangenen nun 363 Tagen zwischen Kollau und Kiez zutrug, aber schon. Vom Abstiegskandidaten zum Aufstiegsanwärter – Totenköpfe leben länger. Aber der Reihe nach. 

Der Tiefpunkt: Das Jahr begann, wie es schlechter kaum hätte beginnen können. Eigentlich, so waren sich nach dem erschütternden Auftritt beim 1:2 in der fränkischen Eiseskälte zu Fürth alle einig, war das Ergebnis noch das Beste an dem ganzen Schlechten gewesen. Die Leistung jedenfalls konnte es genauso wenig gewesen sein wie der 17. Tabellenplatz, auf dem St. Pauli zu diesem Zeitpunkt bereits am achten Spieltag in Folge verweilte.

Tiefpunkt: Dickson Abiama trifft gegen Svend Brodersen beim 1:2 in Fürth. Das Tor zählt nicht, das Spiel hingegen zu St. Paulis schwächsten in diesem Jahr. Imago
Tiefpunkt: Dickson Abiama trifft gegen Svend Brodersen beim 1:2 in Fürth. Das Tor zählt nicht, das Spiel hingegen zu St. Paulis schwächsten in diesem Jahr.
Tiefpunkt: Dickson Abiama trifft gegen Svend Brodersen beim 1:2 in Fürth. Das Tor zählt nicht, das Spiel hingegen zu St. Paulis schwächsten in diesem Jahr.

Doch das Gute an einem Tiefpunkt ist, und das erkannte der frühere Nationaltrainer Rudi Völler schon 2003 nach dem EM-Quali-Spiel gegen Island, dass es noch tiefer eben nicht geht. Und so spielte St. Pauli fortan mit der taktischen Grundordnung, die das Kleeblatt gegen den Totenkopf hatte siegen und schließlich aufsteigen lassen: die (Mittelfeld-)Raute im Herzen. 

Die Wende in Würzburg, die Befreiung in Hannover

Die Wende: Würzburg. Ein bisschen so wie Fürth, auch nicht weit weg. Weder von der fußballerischen Darbietung in der ersten Spielhälfte noch geografisch. Nur geschah in Würzburg etwas, das offenbar vieles und am Ende Entscheidendes veränderte. Beim Pausenstand von 0:1 gegen das Tabellenschlusslicht und nach Marvin Knolls Feldverweis in Unterzahl, schwor sich die Mannschaft in der Kabine ein und schaffte durch Rico Benatelli immerhin den Ausgleich. Eine Willensleistung. Ein Kraftakt. Die Wende. 

Der Befreiungsschlag: Vorletzter war St. Pauli trotzdem weiter. Nur ein etwas selbstbewussterer Vorletzter nach dem folgenden Remis gegen das ambitionierte Kiel und der Rückkehr des am Bauch operierten Guido Burgstaller. Dann kam Hannover und aus braun-weißer Sicht endlich mal etwas Glück ins (Fußball-)Spiel. 96 hatte Chancen, St. Pauli eine 2:0-Führung aus der Hand gegeben und einen 17-Jährigen namens Igor Matanovic, der in der Nachspielzeit zum 3:2 einschoss und den Boys in Brown nach 13 Spielen den ersten Sieg außerhalb der Stadtgrenzen bescherte. Negativ-Lauf beendet. 

St. Pauli als doppelter Derbysieger und Herbstmeister

Die Klettertour: Apropos Lauf, danach lief es wirklich. Auf Hannover folgten acht Spiele mit nur einer Niederlage gegen den späteren Meister Bochum. St. Pauli eilte von Sieg zu Sieg, kletterte in der Tabelle und startete eine Aufholjagd, die in rechnerischen Aufstiegs-Chancen bis kurz vor Schluss mündete. Nebenbei entwickelten sich die Kiezkicker zu richtiggehenden Serien-Killern. Schließlich fanden auch die Schreckens-Bilanz in Heidenheim durch ein aberwitziges 4:3 – Begleiterscheinung Nierenstein – und der Aue-Fluch im Erzgebirge, zuvor eher Schmerzgebirge, ihr Ende. Nicht unbedeutend für die Klettertour waren die Winter-Verstärkungen Omar Marmoush und Dejan Stojanovic, der den nicht mehr berücksichtigten Robin Himmelmann ersetzte. Dann wurde die Luft dünn, für ganz nach oben reichte es nicht mehr. Wohl aber nicht wegen Höhenangst, wie die neue Saison offenbart. 

Höhepunkt: Im August hieß der Siegtorschütze gegen den HSV Simon Makienok und der Derby-Sieger wie schon im März St. Pauli. WITTERS
Höhepunkt: Im August hieß der Siegtorschütze gegen den HSV Simon Makienok und der Derby-Sieger wie schon im März St. Pauli.
Höhepunkt: Im August hieß der Siegtorschütze gegen den HSV Simon Makienok und der Derby-Sieger wie schon im März St. Pauli.

Die Derbys: Teil dieser nun zur Hälfte absolvierten neuen Spielzeit war wegen des vom Stadtrivalen verpassten Aufstiegs auch das Derby gegen den HSV. Wenn auch nicht mehr ganz so emotional wie beim ersten Mal in der zweiten Liga, geht es eben nach wie vor um die Stadtmeisterschaft, deren Relevanz von der siegreichen Mannschaft immer spürbar höher bemessen wird als von der geschlagenen. Hinsichtlich dieser Kategorie ist 2021 für St. Pauli überaus erfolgreich verlaufen. Im März knallte Kyereh die Kugel zum Derbysieg ins Tor – „und fertig“ –, im August schließlich hieß der Held Simon Makienok und der Derbysieger schon wieder St. Pauli.

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Die Herbstmeisterschaft: Es war schon gemutmaßt worden: Würde es St. Pauli wie Bochum machen? Super Rückrunde und dann hoch? Nach 18 Spieltagen, von denen Timo Schultz’ Team zehn an der Spitze verbracht hat, lässt sich resümieren: gut möglich. Die neuen Spieler schlugen ein, alte blühen auf und so kommt es, dass keine andere Mannschaft in der zweiten Liga 2021 mehr Zähler angehäuft hat als St. Pauli. Vielleicht ist ja doch was dran an dem Satz: Manchmal kann es so schnell gehen im Fußball. Was ist schon ein Jahr? 

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