Kein Freudentag: Ben Voll (r.) bekommt nach seinem Mini-Debüt in der Bundesliga Zuspruch von den Reservisten Scott Banks und Fin Stevens (v.l.) Foto: WITTERS

Voll jetzt St. Paulis Nummer eins: Warum Blessin „Nicht angst und bange“ wird

Sein Bundesliga-Debüt – dafür braucht es nicht die Superkraft des Gedankenlesens – wird sich Ben Voll ganz anders vorgestellt haben. Freude war beim Keeper des FC St. Pauli nach dem ersten Einsatz erster Klasse nicht im Ansatz zu erkennen. Kein Wunder. Denn die Umstände seines Einstandes waren alles andere als schön, sondern eher schockierend. Plötzlich im Rampenlicht – gefordert und gefragt. Das schien zu viel auf einmal. In einigen Tagen sollte Voll der neuen Rolle aber gewachsen sein. Das Vertrauen aus den eigenen Reihen in seine Fähigkeiten ist groß, die Herausforderung auch. Auf den 24-Jährigen wartet das nächste krasse Kapitel in einer für ihn extremen ersten Saison beim Kiezklub.

Gut möglich, dass ihm die neue Situation noch gar nicht vollumfänglich klar war, als er eine halbe Stunde nach dem Ende des dramatischen, in der Schlussphase chaotischen und für St. Pauli absolut bitteren Heimspiels gegen den VfB Stuttgart (0:1) zu einem Meet-and-greet mit einem Fan musste. Der im Vorfeld eines Spiels festgelegte Ablaufplan kann manchmal gnadenlos sein, insbesondere, wenn unvorhergesehene Ereignisse eintreten.

Ben Voll ist in Frankfurt St. Paulis Nummer eins

Voll zog die Sache professionell durch. Überreichte dem Anhänger ein signiertes Torwarttrikot, wechselte ein paar Worte. Der Fan hat jetzt das Trikot der neuen Nummer eins des FC St. Pauli – wenngleich dieser Status nur für ein Spiel gilt. Damit hätte vor Anpfiff niemand gerechnet.

Zu einem Interview war Voll nicht bereit, noch nicht. Höflich lehnte er auf seinem Hin- und Rückweg durch die Mixed Zone eine zweimalige Anfrage ab. „Ich möchte lieber nichts sagen“, meinte er und machte eine entschuldigende Geste. Womöglich war er sich nicht sicher genug, dass er die richtigen oder angemessenen Worte finden würde so kurz nach den hochemotionalen Ereignissen, die zu seinem Debüt geführt hatten: nämlich das persönliche Drama seines Teamkollegen Nikola Vasilj, der Nummer eins.

Bundesligadebüt in der siebten Minute der Nachspielzeit

In der siebten Minute der Nachspielzeit, hatte Vasilj die Gelb-Rote Karte gesehen, weil er nach Meinung von Schiedsrichter Florian Exner zu vehement auf das Stuttgarter Zeitspiel bei einem Eckball der Gäste reklamiert und die erste Gelbe Karte dann mit einer Daumen-hoch-Geste quittiert hatte. Platzverweis. Vasilj war daraufhin ausgerastet, nur mit Mühe und Körpereinsatz der Kollegen zu beruhigen. In der Hektik streifte zunächst Rechtsverteidiger Manolis Saliakas das gelbe Torwarttrikot über, bevor dann Voll eingewechselt wurde. Nicht einmal eine Minute später war Schluss. In der Statistik steht: erster Bundesligaeinsatz.

Der Zweite hat es in sich – und es ist der erste richtige Einsatz. Sein echtes Debüt, zugleich eine Feuerprobe. In der heißesten Phase des Klassenkampfes. Am kommenden Sonntag (17.30 Uhr) treten die Kiezkicker, die mit fünf Punkten Vorsprung auf den Relegationsplatz noch um den Klassenerhalt kämpfen müssen, bei Spitzenteam Eintracht Frankfurt an – und Ben Voll wird zwischen den Pfosten stehen und voll gefordert sein.

Alexander Blessin von Voll überzeugt: „Er ist einfach gut“

Große Fußstapfen, die der Back-up zu füllen hat. Der Ausfall von Vasilj „tut weh, weil er einfach ein Top-Top-Torhüter ist“, sagt Trainer Alexander Blessin, betont aber noch im gleichen Atemzug: „Aber ich sehe auch, was wir für einen zweiten Torhüter haben – und das ist Ben. Ich brauche ihn jetzt nicht starkzureden, denn er ist einfach gut. Deswegen ist mir nicht angst und bange.“

Extreme erste Saison: Schwerer Kieferbruch und OP

Rückendeckung geben. Das ist jetzt oberstes Gebot, denn Voll hat keinerlei Bundesligaerfahrung und stand vor seinem Wechsel zum Kiezklub im Sommer 2024 bei Drittligist Viktoria Köln im Tor. „Er hat in den Freundschaftsspielen immer gespielt und sehr gut performt“, sagt Blessin. „Ich sehe ihn in jedem Training. Er ist schon richtig gut und hat das komplette Vertrauen von unserer Seite.“ Auch Verteidiger Philipp Treu ist überzeugt, die personellen Ausfälle „gut auffangen“ zu können. „Da mache ich mir gar keine Sorgen.“

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Für Voll bedeutet die aktuelle Situation den zweiten großen und völlig unerwarteten Wendepunkt in seiner ersten St. Pauli-Saison. Im Oktober vergangenen Jahres hatte sich der 1,95-Meter-Mann im Regionalliga-Derby der U23 gegen den HSV (1:4) bei einem Zusammenprall einen doppelten Kieferbruch zugezogen, war operiert worden und wochenlang ausgefallen. Lange trug er im Training noch eine Schutzmaske, auf die er seit Mitte März verzichtet. Jetzt will er sich sportlich stabil und von seiner besten Seite zeigen.

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