• Bald möchte St. Pauli nicht nur wieder vor vollen Rängen spielen, sondern auch vor vollen Logen
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Tribüne statt Rasen: St. Pauli-Profis kämpfen mit Video-Botschaften um VIP-Gäste

Mit Herz, Leidenschaft, harter Arbeit und furiosem Fußball sind die Kiezkicker aus dem Tabellenkeller geklettert und stehen kurz vor dem frühzeitigen Klassenerhalt. Auch abseits des Rasens, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, haben sich Spieler in den letzten Wochen in einem zweiten Existenzkampf engagiert, in dem Tore nur bedingt helfen. Ein ungewöhnliches Engagement, bei dem die Profis freiwillig auf die Tribüne gingen.

Man stelle sich vor, im eigenen Posteingang landet eine Mail vom FC St. Pauli mit einem Video. Nach einem Klick erscheint Guido Burgstaller auf dem Bildschirm, im Hintergrund der Rasen am Millerntor, und blickt einem direkt in die Augen. 

„Hallo Thomas!“, sagt der Torjäger. „Ich sitze hier auf deinem Platz im Stadion, von dem du uns leider im Moment nicht anfeuern kannst. Es wäre schön, wenn du in der nächsten Saison wieder dabei wärst und wir gemeinsam Siege feiern können.“

„Hallo Thomas!“: St. Pauli kämpft mit Spieler-Videos um Logen-Kunden

So oder so ähnlich und oftmals ausführlicher ist es rund 200-mal geschehen in den vergangenen Wochen. Überbringer der Botschaften aus dem Stadion waren neben Burgstaller auch Kapitän Philipp Ziereis, Daniel Buballa und Luca Zander sowie Trainer Timo Schultz, Sportchef Andreas Bornemann und Ewald Lienen, Marken- und Wertebotschafter des Kiezklubs.

Anlass für die ungewöhnliche Aktion ist der 31. März, ein „magisches Datum“, wie Bernd von Geldern es nennt. An diesem Tag endet alljährlich die Kündigungsfrist für Logen und Business Seats. „Dieser Bereich ist wirtschaftlich enorm wichtig für den Verein“, betont von Geldern, Geschäftsleiter Vertrieb des FC St. Pauli, im Gespräch mit der MOPO. Das gilt in Krisenzeiten noch viel mehr.

St. Pauli fehlen vier Millionen Euro aus Logen und Business Seats 

Rund vier Millionen Euro pro Saison nimmt der Verein mit den 35 Logen im Stadion und den für alle 17 Heimspiele verkauften 1500 Business Seats normalerweise ein. Aber in einer Pandemie ist nichts mehr normal und schon gar nichts garantiert.

Mit großem Engagement hat der Kiezklub in den vergangenen Monaten versucht, einer Kündigungswelle entgegenzuwirken. Ziel war es, die betreffenden Personen dazu zu bewegen, auf eine finanzielle Rückerstattung aufgrund der Geisterspiele in dieser Saison zu verzichten und die Buchungen auf die kommende Spielzeit zu übertragen – zu günstigeren Konditionen oder mit zusätzlichen Angeboten.

St. Pauli-Vize von Geldern: „Wir haben mehr als 600 Telefonate geführt“

„Wir kämpfen um jeden Kunden, haben in den letzten Wochen mehr als 600 Telefonate geführt“, berichtet von Geldern. In diesem Kampf wurde auch zu kreativen Mitteln gegriffen und das Team eingespannt. 

Von Geldern spricht von einer „konzertierten Aktion mit dem sportlichen Bereich“, mit dem Großkunden, die Logen oder gleich mehrere Business Seats gebucht haben, angesprochen wurden. Für jede Person gab es ein individuelles Video – jeweils vom angestammten Platz der betreffenden Person im Stadion aus. Ein enormer Aufwand.

Kampf um Kunden: Der Derby-Sieg macht es St. Pauli leichter

„Der Sport zieht überragend mit. Das hilft uns sehr“, sagt von Geldern. „Die Spieler zeigen ein großes Verständnis für die schwierige Lage und wollen helfen. Das ist großartig. Alle ziehen an einem Strang.“

Der Höhenflug der Kiezkicker in den letzten Wochen inklusive Derby-Sieg sei eine große Hilfe und „Rückenwind“ für die Bemühungen des Vereins, sagt von Geldern. „Vor Weihnachten wäre die Situation sicherlich schwieriger für uns gewesen.“ Da stand St. Pauli im Keller – und die Stimmung war es auch.

Von Geldern: „Die Lust auf Fußball beim FC St. Pauli ist ungebrochen“

Der Aufwand hat sich gelohnt. Kurz vor dem Stichtag zieht von Geldern eine positive Bilanz. „Es gibt eine große Bereitschaft weiterzumachen und nur eine kleine Zahl von Kündigungen“, die überwiegend wirtschaftlich begründet seien. „Bis auf eine sind alle Logen für die kommende Saison verkauft.” Bei den Business Seats liege die Kündigungsrate „sogar noch unter den in jedem Jahr üblichen 20 Prozent.“

Die Hilfsbereitschaft der Fans, Kunden und Partner ist groß, die Nachfrage aber auch. „Wir können keine Abkehr vom Fußball erkennen – zumindest nicht von unserem Verein”, befindet von Geldern. „Die Lust auf Fußball beim FC St. Pauli ist ungebrochen.“

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Das ist Geld wert. „Der Totalausfall der laufenden Saison im Bereich Logen und Business Seats wird durch unsere Maßnahmen quasi halbiert“, sagt von Geldern. Statt der jährlich vier Millionen Euro verliert St. Pauli „nur“ zwei. 

Die Gesamtlage beim Kiezklub sei trotz der Hilfe und Solidarität „das Gegenteil von rosig“, betont der Vertriebschef. „Uns gehen Millionenbeträge durch die Lappen. Wir werden am Ende des Geschäftsjahrs einen achtstelligen Einnahmeausfall haben.” Sportlich ist das rettende Ufer fast erreicht. „Finanziell“, sagt von Geldern, „befinden wir uns immer noch im Auge des Orkans.“

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