Tor als Werbung: Hat Sinani noch eine echte Chance auf St. Paulis Startelf?
Der Saisonstart rückt immer näher, der Kampf um die elf begehrten Plätze in der Startelf wird konkreter und es zeichnet sich ab, wie der FC St. Pauli in der kommenden Spielzeit kicken will – und mit wem bevorzugt. Neuzugänge haben sich über Training und Testspiele schon einen Platz erobert und gute Chancen, ihn zu behalten. Arrivierte Kiezkicker sind dagegen verdrängt worden und sahen ihre Chancen zuletzt schwinden. Einer von ihnen: Danel Sinani. In der vergangenen Saison avancierte der luxemburgische Nationalspieler in der entscheidenden Phase des Klassenkampfes zu einem wichtigen Faktor. Derzeit spielt er keine Hauptrolle. Ist einfach kein Platz für ihn? Oder könnten zwei Erkenntnisse des Coventry-Kicks das doch noch ändern?
Wie wertvoll Sinani für die Kiezkicker sein kann, zeigte er beim vorletzten Test der Saisonvorbereitung. Erst in der 72. Minute war der Linksfuß eingewechselt worden und sorgte für sichtbare Belebung auf dem Rasen und auch auf den Rängen bei den mitgereisten St. Pauli-Fans. Nachdem ein satter und sehenswerter Volleyschuss aus der Distanz zunächst nicht von Erfolg gekrönt war, gelang Sinani zehn Minuten vor Spielende der 2:2-Ausgleich, mit dem er eine Niederlage der Gäste abwendete, die kein Beinbruch gewesen wäre, aber sicher die Laune getrübt hätte.
Danel Sinani: Tor gegen Coventry, aber wieder keine Startelf
Schön für ihn, gut für St. Pauli. Sinani dokumentierte seinen Wert für die Mannschaft gegen Coventry insbesondere über seine offensiven Aktionen, nachdem er sich in der vergangenen Saison erheblich im Spiel gegen den Ball gesteigert hatte. Dennoch: In einem echten Härtetest, in dem die vermeintlich geplante Startelf mindestens eine Stunde lang auf dem Platz stehen sollte, war Sinani zunächst nicht mit von der Partie gewesen.
Nicht zum ersten Mal in dieser Vorbereitung. Gegen Nizza (2:0) hatte er aufgrund leichter Rückenprobleme ganz gefehlt, gegen Karlsruhe (6:1) die zweiten von 2 x 60 Minuten bestritten, gegen Silkeborg (4:1) war der 28-Jährige ebenfalls zur zweiten Halbzeit gekommen, hatte dann aber auf der für ihn ungewohnten Sechser-Position neben Neuzugang Joel Chima Fujita überzeugt und ein Extra-Lob von Trainer Alexander Blessin bekommen.
Wird Sinani vom Stammspieler wieder zum Bankspieler?
Alles deutete zuletzt darauf hin, dass für Sinani kein Platz in der von Blessin geplanten Startformation ist. Das liegt vor allem an der Ausrichtung und Rollenverteilung. In der vergangenen Saison spielten die Kiezkicker in der vordersten Offensivreihe mit zwei Flügelstürmern und im Zentrum mit einer „schwimmenden Zehn“, also einem spielstarken Akteur mit einem weiten Aktionsradius anstelle eines Mittelstürmers. Sinani hatte die Rolle im letzten Saisondrittel übernommen, in dieser Phase erheblich sein Spiel gegen den Ball verbessert und war so zu einem Erfolgsfaktor geworden. Und Stammspieler. 14 seiner 23 Liga-Einsätze hatte er in der Startelf – und an den letzten zehn Spieltagen der Saison stand er immer bei Anpfiff auf dem Rasen, riss reichlich Kilometer ab und bespielte viele Räume. Vom Dauerreservisten und Einwechselspieler zum Leistungsträger.

Was hat sich verändert? In der Mittelfeldzentrale, auf der geplanten Doppelsechs, haben derzeit Fujita und James Sands die Nase vorn. Auch Eric Smith – zuletzt wieder in der Zentrale der Abwehrkette – ist eine hochkarätige Option für die Sechserposition. Sinani scheint aktuell bei der Besetzung der Doppelsechs die vierte Wahl.
Hountondjis Wucht statt Sinanis Spielstärke
Auf Sinanis favorisierter Position in der Offensivzentrale spielt jetzt mit Neuzugang Andréas Hountondji ein Mittelstürmer, der mit seiner Geschwindigkeit und Körperlichkeit ordentlich Wucht und Gradlinigkeit ins braun-weiße Angriffsspiel bringt und auf den beiden Flügeln von Mathias Pereira Lage und Oladapo Afolyan flankiert wird. Hountondji, der auch auf den Außenbahnen spielen könnte, aber zentral gefährlicher sein dürfte, ist nicht der Typ des spielmachenden Stürmers, der mit präzisem Passspiel und guter Übersicht als offensive(re) Anspielstation und Schaltzentrale in der Mitte des Spielfeldes oder im vorderen Drittel agiert.

Genau diese Anspielstation fehlte gegen Coventry phasenweise, und daran krankte dann auch das Aufbauspiel der Kiezkicker. Fujita und Sands bewegten sich zu oft im gleichen Raum vor der Abwehrkette, machten das Spiel eng oder breit, aber nicht tief. „Beide Sechser haben sich zu kurz angeboten“, benannte Blessin den Fehler. Dann „fehlen offensiv Anspielpunkte“.
Alexander Blessin bemängelt „offensive Anspielpunkte“
Verschärft wurde das dadurch, dass Smith bei Ballgewinn ins defensive Mittelfeld vorrückt, was er eigentlich auch soll. Nur: Wenn sich dort auch die beiden Sechser auf einer Linie aufhalten, wird es im defensiven Mittelfeldzentrum noch enger. Die Folge: zu kurze Passwege, zu wenig Tiefgang und damit Probleme, das eigene Angriffsspiel aufzuziehen, den Gegner ins Laufen zu bekommen, geschweige denn ihn unter Druck zu setzen.
Das ist nicht zwingend eine personelle Frage, sondern der richtigen Aufgabenverteilung und Interpretation der eigenen Rolle. Sands ist als gelernter defensiver Mittelfeldspieler und Innenverteidiger für den defensiven Part der Doppelsechs prädestiniert. Fujita sieht sich selbst zwar als „Box to Box“-Spieler, also Akteur mit einem großen Aktionsradius zwischen beiden Strafräumen des Spielfeldes. Aber: in den bisherigen Testspielen gewann oder forderte er den Ball zumeist tief, suchte ohne Ball nicht so oft wie erforderlich den Weg nach vorne, um dort die nächste Phase des Angriffsspiels gestalten zu können.
Doppel-Sechs: Fujita und Sands derzeit erste Wahl
Es fehlte damit zu oft eine zentrale Anspielstation zwischen dem defensiven Sechser und Mittelstürmer Houndtondji. Der zu überbrückende Weg war zu weit. Genau dieser Raum ist es, in dem sich ein Danel Sinani am wohlsten fühlt und seine Stärken am besten ausspielen kann. Er ist die Option, wenn es darum geht die Doppelsechs mit einem defensiv und einem offensiv ausgerichteten Spielertypen, der weiter vorn seine Stärken hat, zu besetzen. Das könnte im Saisonverlauf situativ erforderlich sein, wenn es gegen Gegner geht, gegen die St. Pauli mehr Ballbesitz haben wird als gegen Bayern München oder andere Topteams.

Allerdings sind Sands und Fujita zweikampfstarke Balleroberer, die mit ihren Qualitäten St. Paulis Umschalt-Fußball besser und effizienter machen sollen. Das wird aber nur gelingen, wenn aus vielen Ballgewinnen auch schnelle Ballstafetten werden, mit denen die Kiezkicker Gefahr nach vorne erzeugen. Abstimmungssache. Das ist zu erlernen und auch zu verinnerlichen. Nicht zu vergessen: Der hochveranlagte Fujita ist neu im Team, neu in der Liga und mit 23 Jahren auch noch jung.
Spannend: Wie stellt Blessin bei der Generalprobe auf?
Die Frage ist, ob Blessin im für den 9. August geplanten (aber noch nicht final vereinbarten) letzten Testspiel der Vorbereitung, der Generalprobe, noch einmal etwas anderes ausprobiert – beispielsweise Smith und Fujita auf der Doppelsechs und Hauke Wahl wieder in der Abwehrzentrale – oder aber darauf setzt, dass sich ein zentrales Dreieck aus Smith, Sands und Fujita weiter einspielt und die Aufgaben und Vorgaben zunehmend besser erfüllt und umsetzt. Aber: gegen Silkeborg harmonierten Fujita und Sinani eine Halbzeit lang sehr gut.
Dennoch deutet derzeit einiges darauf hin, dass Sinani zum Saisonstart einer der großen Härtefälle sein wird, der es nicht in die Startelf schaffen wird, obwohl er unbestritten die Qualitäten dafür hat. Aber: eine Elf ist eben nicht eine Formation der besten Spieler einer Mannschaft, sondern ein komplexes Puzzle, in dem die Teile zusammenpassen müssen. Eine Saison ist jedoch lang und voller unvorhergesehener Entwicklungen, unerwarteter Ereignisse und Wendungen und neuer Chancen. Wer wüsste das besser als Danel Sinani?
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