Schatten der WM: Event beim FC St. Pauli klärt über Missstände in Katar auf
Der Countdown läuft – und für viele Fußballfans ist es ein Countdown des Grauens. Der Anstoß zur umstrittensten Fußball-Weltmeisterschaft aller Zeiten ist nur noch acht Wochen entfernt und das Turnier in Katar wirft seine dunklen Schatten voraus – auch am Millerntor wurden sie jetzt auf eindrucksvolle Weise deutlich. Und einmal mehr stellte sich die große Frage: wie umgehen mit dieser WM?
Der Countdown läuft – und für viele Fußballfans ist es ein Countdown des Grauens. Der Anstoß zur umstrittensten Fußball-Weltmeisterschaft aller Zeiten ist nur noch acht Wochen entfernt und das Turnier in Katar wirft seine dunklen Schatten voraus – auch am Millerntor wurden sie jetzt auf eindrucksvolle Weise deutlich. Und einmal mehr stellte sich die große Frage: wie umgehen mit dieser WM?
4600 Kilometer Luftlinie trennen Hamburg und das Emirat Katar am Persischen Golf. Welten. Für einen Abend waren viele der Probleme rund um die Winter-WM ganz nah, das Leid zigtausender Menschen in Katar spürbar.
FC St. Pauli: Arbeitsmigranten aus Katar berichten von ihren Erfahrungen
Im prall gefüllten Ballsaal der Südtribüne berichteten Arbeitsmigranten aus dem Wüstenstaat im Rahmen der Veranstaltungen „WM22 Katar: Foulspiel mit System“, zu der die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Kooperation mit dem Fanladen und der Braun-Weißen Hilfe geladen hatte, von ihren jahrelangen Erfahrungen. Fotos waren nicht erlaubt.
Kenianer Bidali: „Es sind brutale Arbeitsbedingungen“
„Es sind brutale Arbeitsbedingungen“, sagt Malcolm Bidali, von 2016 bis 2021 migrantischer Arbeiter in Katar und mittlerweile als Aktivist tätig, um auf die Missstände im WM-Gastgeberland aufmerksam zu machen. Etwa 2,3 der 2,8 Millionen Menschen, die in Katar leben, sind Arbeitsmigranten, die in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Arbeitgeber stehen, das als moderne Sklaverei gilt. Menschenrechtsverstöße sind an der Tagesordnung.
Bidali, ein Kenianer, hat als Wachmann gearbeitet, auch auf WM-Baustellen. „Man lebt in vollgestopften Zimmern mit acht, zehn, zwölf Leuten. Die Verpflegung ist schlecht, die Arbeitszeiten sind zu lang – zehn, zwölf Stunden“, zählt er nur einige der Missstände auf, zu denen auch mangelhafter Arbeitsschutz gehört.
6500 Menschen sollen seit der Vergabe der WM an Katar 2010 auf WM-Baustellen ums Leben gekommen sein.
Irgendwann wurde es zu viel. „Es reichte mir, das Maß war voll. Ich habe es persönlich genommen“, so Bidali. Er prangerte die massiven Probleme auf dem Blog einer NGO sowie über Twitter und Instagram zunächst anonym an – und wurde verhaftet. Drei Wochen saß er im Knast, kam dann auf Druck internationaler Menschenrechtsorganisationen frei. Gegen Zahlung einer Geldstrafe konnte er Katar im August 2021 verlassen.
Politikerin Pandey berichtet von „positiven Veränderungen“
Es gibt aber auch Fortschritte in Katar, das bestätigt Binda Pandey. Die nepalesische Politikerin und Gewerkschafterin war an Verhandlungen mit der katarischen Regierung über eine Reform des Arbeitsrechts beteiligt. „Es hat durch die WM positive Veränderungen gegeben“, sagt Pandey. Etwa 400.000 ihrer Landsleute arbeiten in Katar. „Aber wir schauen genau hin, wie das in der Praxis umgesetzt wird.“ Da gibt es weiter enorme Defizite.
Festnahmen-Serie nähert Zweifel an Katar
Erst kürzlich sind in Doha 60 Arbeiter festgenommen worden, weil sie vor ihrer Firma für die Auszahlung von seit Monaten ausstehenden Löhnen demonstriert hatten. Viele von ihnen wurden abgeschoben. Dieser Vorfall, so kurz vor der WM, nährt die Zweifel daran, dass es Katar mit den Reformen wirklich ernst meint.
Autor Jäger bezeichnet WM-Vergabe als „Irrsinn“
Dass sich Katar punktuell bewegt hat, zeigt, dass sich Widerstand lohnt“, findet Glenn Jäger, Autor des Buches „In den Sand gesetzt“, das sich kritisch mit der WM-Vergabe nach Katar auseinandersetzt. Jäger, ebenfalls Gast der Infoveranstaltung, bezeichnet die Vergabe als „Irrsinn“, erklärt sie aber auch mit einem „massiven wirtschaftlichen Interesse“ des Westens, darunter Deutschland und große deutsche Firmen.
Autorin Schwermer fordert Reformen bei der FIFA
Vor einem Katar-Bashing warnt bei aller berechtigten Kritik die Autorin Alina Schwermer. Die Formulierung „die Scheichs“ habe einen „rassistischen Klang“ und die Sichtweise „Da ist der böse Staat Katar und wir sind die Guten“ sei ebenso verbreitet wie falsch. Es müsse endlich auch im „problematischen Laden“ FIFA massive Reformen geben.
Der Druck auf den Weltverband, den Ausrichter, aber auch die internationale Gemeinschaft müsse hochgehalten und noch erhöht werden, da waren sich alle Gäste des Abends einig.
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Die WM brauche keine Boykott-Aktionen, sondern maximale Aufmerksamkeit für die Missstände, betonte Bidali. „Die Fans können Druck ausüben auf die Institutionen.“ Auch kritische Berichterstattung helfe. „Negative PR ist wichtig. Man muss Katar zu Veränderungen zwingen.“ Die Chance, sagen Bidali & Co., sei noch nie so groß wie jetzt. Und könnte, so fürchten sie, nach dem Ende des Turniers dramatisch schrumpfen. „Die Weltmeisterschaft wird nach vier Wochen zu Ende sein, die Fans werden abreisen – aber die Arbeitsmigranten bleiben.“