Im Abschieds-Interview: St. Pauli-Kapitän Paqarada erklärt Grund für seinen Wechsel
Das wird es dann also gewesen sein. Am Sonntag wird Leart Paqarada zum 102. und letzten Mal das Trikot des FC St. Pauli überstreifen, ehe er zur neuen Saison (vermutlich) für den 1. FC Köln auflaufen wird. Im exklusiven Abschieds-Interview mit der MOPO sprach der scheidende Kapitän nicht nur über die Gründe für seinen Wechsel, sondern auch über seine Zeit an der Elbe, seine gewaltige Entwicklung, wer dafür verantwortlich war und ist, seine emotionale Gemengelage und die Startschwierigkeiten nach seinem Wechsel aus der Provinz in der Kurpfalz in die Großstadt vor drei Jahren.
Das wird es dann also gewesen sein. Am Sonntag wird Leart Paqarada zum 102. und letzten Mal das Trikot des FC St. Pauli überstreifen, ehe er zur neuen Saison (vermutlich) für den 1. FC Köln auflaufen wird. Im exklusiven Abschieds-Interview mit der MOPO sprach der scheidende Kapitän über seine Zeit an der Elbe, seine gewaltige Entwicklung, wer dafür verantwortlich war und ist, seine emotionale Gemengelage und die Startschwierigkeiten nach seinem Wechsel aus der Provinz in der Kurpfalz in die Großstadt vor drei Jahren.
MOPO: Wo lebt man eigentlich, wenn man in Sandhausen spielt?
Leart Paqarada: Ich habe in Heidelberg gewohnt, in der Bahnstadt. Die ist wirklich extrem schön, es ist sehr, sehr gut, da zu leben. Heidelberg ist schon eine coole Stadt. Und wenn man mehr erleben möchte, ist Mannheim in der Nähe.
Wie groß hat sich der Sprung nach Hamburg angefühlt?
Nach sechs Jahren mit dem gleichen Arbeitsweg, den gleichen Leuten um mich herum, dem gleichen Fußball, der sich ja mit den Trainern, die damals in Sandhausen waren, nur minimal verändert hat, hierhinzukommen in einen Verein, der gefühlt hundert Mal größer ist in allen Belangen, war für mich schon eine Umstellung. Dazu gab es im Training qualitativ einen Unterschied. Mein Vater hat nach dem Wechsel zu St. Pauli gesagt: Jetzt bist du endlich Profi-Fußballer.
Leart Paqaradas Papa nach dem Wechsel zu St. Pauli: „Jetzt bist du endlich Profi“
Womit hatten Sie am meisten zu kämpfen?
Mir war es immer wichtig, was meine Mitspieler von mir halten. Ich hatte eine relativ gute Saison in Sandhausen und wurde zum Beispiel von Boris Tashchy begrüßt mit Worten wie „Schön dich zu sehen. Ich denke, du bist ein guter Spieler! Schön, dass St. Pauli dich bekommen hat, du kannst der Mannschaft riesig helfen.“ Da dachte ich: Oh, wie geil, bekam es aber zunächst nicht auf den Platz. Und dann begann ich irgendwann zu überlegen: Boah, die denken bestimmt, ich bin gar nicht so gut. Das führt dann dazu, dass du dich auf dem Platz nicht mehr so sicher fühlst und Dinge machst, die du eigentlich gar nicht machen möchtest. Dazu kam, dass wir im ersten halben Jahr nicht geliefert haben. Alles zusammen führte dazu, dass ich schon gewisse Anpassungsprobleme hatte.
Ab wann ging es gefühlt aufwärts?
Mit dem Punktgewinn beim 1:1 in Würzburg. Ein ganz dreckiges Spiel. Da hat Omar Marmoush sein erstes Spiel für uns gemacht. Ich glaube, der saß danach in der Kabine und dachte: Wo bin ich hier nur gelandet? Da habe ich zwar kein gutes Spiel gemacht, aber es war okay. Und es war der Startpunkt um zu sagen, dass es jetzt geht in die richtige Richtung geht. Dann fiel es mir irgendwie einfacher, danach lief es fast von alleine.
Und zwar so gut, dass es vor einem Jahr eigentlich im Erstliga-Aufstieg hätte münden müssen. Trauert man der vergebenen Chance immer noch hinterher?
Ich glaube, das ist Typen-abhängig. Und um ehrlich zu sein: Mir tut es immer noch sehr weh. Auch wenn man jetzt, ein Jahr später, ein bisschen zurückblickt. Ich hätte schon vieles dafür gegeben, wenn wir letzte Saison hochgegangen wären.
Was haben Ihnen Timo Schultz und Fabian Hürzeler als Trainer vermitteln können, dass Sie diesen großen Entwicklungsschritt gehen konnten?
Unabhängig vom Sportlichen war es für mich der größte Unterschied zu sehen, wie eine Spieler-Trainer-Verbindung auch funktioniert. Bis dahin war es immer hier der Trainer, da der Spieler. Es gab vielleicht einen Co-Trainer, der so ein bisschen das Bindeglied war. Aber jetzt weiß ich, dass es auch anders geht. Zum Beispiel ins Trainer-Büro zu gehen, ohne zittrige Knie zu haben. Oder auch mal einen Spruch machen zu können oder einen Witz zu erzählen, ohne darauf achten zu müssen, ob jedes Wort richtig ist. Dieses fast schon Kollegiale habe ich den letzten drei Jahren extrem erlebt. Und ich glaube nach wie vor, dass 90 Prozent der Trainer nicht so sind. Es ist aber auch sehr schwierig für Trainer, diese Balance zu finden.
Leart Paqarada: Bei St. Pauli habe ich in allen Belangen dazugelernt
Und aus fußballerischer Sicht?
Ich habe in allen Belangen dazugelernt. Ich bin viel variabler geworden in meinem Spiel, brauche nicht mehr die Außenlinie links neben mir als meinen besten Freund. Und vor allem habe ich gelernt, dass du als Spieler auf dem Platz immer irgendwas bewirkst. Ob mit oder ohne Ball. Du musst immer aktiv sein, die Positionierung ist wichtig.
Welches waren die prägnantesten Mitspieler in den drei Jahren hier?
Ich habe mich neben und auf dem Platz mit Daniel-Kofi Kyereh extrem gut verstanden. Ich glaube, dass wir voneinander auch sehr profitiert haben, weil er jemanden hatte, der ihm die Bälle in den Zehner-Raum knallt, und ich jemanden hatte, von dem ich wusste, ich kann die Bälle auch dahin knallen und der macht was draus. Vorne hattest du einen Guido Burgstaller, der teilweise aus einer halbguten Flanke eine richtig gute Chance gemacht hat. Aber auch mit Marcel Hartel verstehe ich mich sehr gut, auf dem Platz und auch daneben. Das ist schon besonders. Ich kenne zum Beispiel Erik Zenga, seitdem ich elf oder zwölf bin, er ist einer meiner besten Freunde und ich habe in Sandhausen mit ihm zusammengespielt. Aber auf dem Platz hatte er immer eine andere Idee als ich.
Paqarada: „Wenn ich den Ball nicht bekomme, werde ich zickig“
Hat es in dieser Saison geholfen bzw. entlastet, in Manolis Saliakas auf der rechten Seite auch einen aktiven Außenbahnspieler zu haben?
Das kommt auf jeden Fall der Mannschaft zugute, weil wir dadurch einfach unberechenbarer sind. Ich habe ja in der letzten Saison selbst gemerkt, wie sich die Gegner auf mich einstellen. Auf einmal klebte mir dann 90 Minuten lang einer an den Fersen, das war schon eine Umstellung. Es war aber auch eine Umstellung, das jetzt nicht mehr so zu haben. Ich bin jemand, der vielleicht schon zu oft den Ball haben möchte und zickig ist, wenn er den Ball nicht bekommt. Aber für die Mannschaft ist es natürlich gut, variabel zu sein. Und ich bekomme ja trotzdem genügend Ballkontakte.
Trotzdem jetzt der Wechsel. Warum?
Den Plan, irgendwann in der 1. Liga zu spielen, sollte meiner Meinung nach jeder Fußballer verfolgen. Wenn du das nimmst plus diese Erfahrung und diese Entwicklung, die ich in den letzten drei Jahren nehmen durfte, dann hat das dazu geführt, dass ich sage: Ich fühle mich jetzt soweit, ich hab es vielleicht auch verdient im zarten Alter von 28. Und wenn ich mir was hätte malen können, wo ich irgendwann in der 1. Liga spiele, dann wäre Köln wahrscheinlich der Verein gewesen. Ich komme von da, meine Eltern leben da, Traditionsverein, unglaublich viele Zuschauer. Das ist ja wie ein Bilderbuch für mich. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich hätte zehn Mal überlegt, ob ich das mache. Dass ich mir grundsätzlich hätte vorstellen können, hier noch zehn Jahre zu spielen – sehr, sehr gerne, das können mir alle glauben. Mit Herz und Leidenschaft. Aber wenn man so eine Chance bekommt, dann sollte man die besser nutzen.
Paqarada ist Timo Schultz und Andreas Bornemann sehr dankbar
Hätte St. Pauli irgendwas an Ihren Wechselabsichten ändern können?
Ich glaube, ich war der erste Spieler in der 2. Liga, der irgendwo unterschrieben hat. Ich lege großen Wert auf Dankbarkeit. Und dementsprechend war es mir wichtig, Andreas Bornemann und Fabian Hürzeler schon im Januar ganz klar zu signalisieren: Hört zu, Leute, ich mache diesen Schritt. Aber so lange ich das St. Pauli-Trikot trage, werde ich alles dafür geben. Und ich glaube, dass ich dazu gestanden habe. Auch weil ich Andreas Bornemann und Timo Schultz viel zu sehr dankbar bin für diese Chance, die sie mir damals gegeben haben. Und den Fans für die unglaubliche Unterstützung, die ich über all die Jahre bekommen habe.
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Wie ist die aktuelle Sachlage in Bezug auf den Effzeh und das von der FIFA ausgesprochene Transferverbot? Gibt es Neuigkeiten?
Ich habe noch keine Sekunde dran gedacht, dass es nicht klappen wird. Alle Beteiligten sind so ein bisschen im Wartestand. Vor etwa vier Wochen ist der Antrag beim CAS eingegangen, und jetzt geht es darum, ob das Ding aufgehoben, verschoben oder durchgezogen wird. Für mich persönlich geht es erstmal nur darum, dass sie sagen, das Verbot wird vorerst auf Eis gelegt. Und davon gehen wir alle eigentlich geschlossen aus. Aber so lange es nicht schwarz auf weiß irgendwo zu lesen ist, kann man nichts machen.
Leart Paqarada will mit St. Pauli in die Geschichtsbücher
Nun ist es nur noch einmal Millerntor, einmal 90 Minuten in Braun-Weiß, einmal St. Pauli. Wie sind Sie emotional aufgestellt für Sonntag?
Schwer zu sagen. Mich lassen viele Dinge relativ kalt, der Abschied bis zu einem bestimmten Zeitpunkt auch. Aber als ich gestern durch unsere Wohnung gelaufen bin und da nur noch vollgepackte Kisten gesehen habe, wenn jetzt all diese Nachrichten kommen – dann kann ich schon sagen, dass das extrem hart wird. Es ist komisch, daran zu denken, dass ich ab nächster Woche nicht mehr in Hamburg leben werde. Unglaubliche Stadt, unglaubliche Leute. Es kann sein, dass am Wochenende jemand Zwiebeln schneiden wird. Aber am Sonntag wollen wir noch einmal Gas geben, 43 Punkte voll machen. Dann würdest du in den Geschichtsbüchern stehen, und wenn in 30 Jahren irgendeiner mal 42 Punkte hat, dann werden die Leute sagen: Da gab es mal eine Mannschaft, die war noch erfolgreicher.