„Frust“ als Treibstoff und Jubel-Geheimnis: Boukhalfa genießt St. Paulis Helden-Rolle
Wochenlang nur Reserve, plötzlich gefeierter Fußballgott. Carlo Boukhalfa war der Mann des Abends beim FC St. Pauli im Sonntagabendspiel gegen Meister Bayer Leverkusen. Sein Abstauber-Tor brachte den Ausgleich zum 1:1-Endstand, der wie ein Sieg gefeiert wurde. Um seinen besonderen Jubel machte er ein Geheimnis.
Das Millerntorstadion bebte, als Boukhalfa in der 78. Spielminute den Ball aus kurzer Distanz im Leverkusener Tor unterbrachte und damit die beindruckende Drangphase der Kiezkicker krönte. Ausgerechnet Boukhalfa, der in den zehn Spielen zuvor nur sporadisch zum Einsatz gekommen war und sechsmal gar nicht gespielt hatte.
Carlo Boukhalfa beschert St. Pauli Punkt gegen Leverkusen
Das Stadion bebte kurz darauf erneut, als er in der 84. Minute ausgewechselt wurde. Tosender Applaus ertönte, während der Torschütze den Rasen verließ und als der Stadionsprecher noch einmal seinen Namen nannte, ließ das Publikum ein lautes „Fußballgott“ folgen.
„Es waren beides besondere Momente auf jeden Fall“, sagte Boukhalfa nach der intensiven Partie in den Katakomben. „Es freut mich natürlich, jetzt nach langer Zeit mal wieder zu spielen und dann auch ein Tor zu machen. Das ist natürlich sehr befreiend und ich bedanke mich bei den Fans für den Applaus bei der Auswechslung.“
Stolzer Torschütze zieht „vor jedem Einzelnen den Hut“
Es war sein zweiten Saisontor – und das erste, dass Punkte brachte, einen. Zuvor hatte der 25-Jährige am 3. Spieltag beim 1:3 in Augsburg getroffen. „Wir haben gegen einen amtierenden deutschen Meister unentschieden gespielt und das fühlt sich ein bisschen wie ein Sieg an“, fand der Mittelfeldmann. Auch deshalb sei er „extrem stolz auf die Leistung heute. Vor jedem Einzelnen ziehe ich den Hut, der heute auf dem Platz stand. Es war eine brutale Energieleistung.“
Seine Energie hatte er aus dem Ärger über seine Rolle in letzter Zeit gezogen, nachdem er in der Mitte dieser Saison lange Stammspieler im zentralen Mittelfeld gewesen war und seinen Platz an den weiter nach vorne beorderten Eric Smith verloren hatte, wie er nach der Partie unumwunden zugab.
Bank-Frust: „Ich lasse heute alles raus“
„Das ist dann auch ein bisschen der Frust, den man dann aufbaut über die Wochen, wenn man nicht spielt“, berichtete der 1,85-Meter-Mann. „Und ich habe mir heute gedacht, ich lasse heute alles raus, was sich über die letzten Wochen ein bisschen angestaut hat und ich glaube, das ist mir ganz gut gelungen“, sagte er mit einem leichten und durchaus zufriedenen Grinsen.
Der Austausch mit Trainer Alexander Blessin sei rege, auch wenn er zuletzt nicht so viel Zufriedenstellendes gehört hatte. „Klar, man spricht. Ich verstehe natürlich den Trainer auch. Er hat seine Ideen, das muss man akzeptieren. Ich kann nur Gas geben. Ich glaube, wenn man mich kennt und meine Karriere bei St. Pauli beobachtet hat, dann weiß man, dass ich immer Gas gebe, auch wenn ich mal nicht spiele. Und ich glaube, das ist heute belohnt worden, und das freut mich natürlich.“
Alexander Blessin lobt den Torschützen
Den Coach ebenso. „Es freut mich wahnsinnig für ihn. Er hat es nicht leicht gehabt. Es war schwierig für ihn, an Eric und Jacko vorbeizukommen.“ Zugleich lobte Blessin, dass sich Boukhalfa zu keiner Zeit hängen lassen oder schlechte Laune verbreitet habe. „Er war nie ein Stinkstiefel.“
Aber durch den Ausfall von Jackson „Jacko“ Irvine ergab sich eine neue Chance – und Boukhalfa nutzte sie. Nicht nur, weil er das Tor erzielte. Er hatte eine laufstarke und vor allem zweikampfstarke Leistung auf den Platz gebracht, hohe Energie und sehr viel Aggressivität.
Härte gegen die Bayer-Stars – das war durchaus Boukhalfas Marschroute, wie er nach dem Spiel verriet. „Ich war mir sicher, dass das auf jeden Fall helfen wird. Solche Spieler wie Wirtz, wenn er im Zentrum spielt, die musst du ein bisschen ärgern, die musst du provozieren, die musst du nerven, weil sie dann keinen Bock haben, zu zocken. Das haben wir versucht und ich glaube, es ist uns phasenweise sehr gut gelungen.“
Spezieller Torjubel von Boukhalfa und Wahl
Und dann war da ja noch sein spezieller Jubel, besondere Fingergesten in Gesichtshöhe, die er nach dem ersten Jubel beim Aufeinandertreffen mit Abwehrchef Hauke Wahl vollführte.
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Was es damit auf sich hatte, wollte Boukhalfa nicht verraten. „Da kann ich nicht mehr zu sagen“, entgegnete er auf Nachfrage verschmitzt. Wahl war da ein wenig auskunftsfreudiger. Entstanden sei die Geste „letztes Jahr auf irgendeinem Mannschaftsabend“, so der Defensiv-Routinier. „David Nemeth hat es zuerst gemacht. Und seitdem ist es so unser Gag. Wir sagen uns täglich so ‚Hallo‘ – also ist schon länger drin.“ Ein Insider also – durch das Tor von Boukhalfa auf großer Bühne gezeigt.
Vertrag läuft aus: Bleibt Boukhalfa bei St. Pauli?
Ebenso zugeknöpft wie beim Thema Jubel war der Punkt-Bringer in der Zukunftsfrage. Sein Vertrag läuft am Saisonende aus. „Dazu kann ich leider aktuell noch nichts sagen“, sagte er knapp. Auf die Nachfrage, ob er sich bei St. Pauli wohlfühle, antworte er noch knapper: „Ja.“ Jede andere Antwort wäre an diesem Abend, nach diesem Spiel und den Ovationen für ihn auch eine mittlere Sensation gewesen.
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