Ex-St. Pauli-Boss Azzouzi über Rassismus im Fußball: „Das fühlt sich schlimm an“
Rachid Azzouzi (52) hat den allergrößten Teil seines Lebens in Deutschland verbracht, stammt aber aus Marokko. Den früheren Manager des FC St. Pauli und heutigen Sportchef von Greuther Fürth hat es deswegen besonders getroffen, als sein Spieler Julian Green im DFB-Pokal beim Halleschen FC (1:0) als Affe beschimpft wurde. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen mit Rassismus und erklärt, warum die Fürther in Halle nicht den Platz verlassen haben.
Rachid Azzouzi (52) hat den allergrößten Teil seines Lebens in Deutschland verbracht, stammt aber aus Marokko. Den früheren Manager des FC St. Pauli und heutigen Sportchef von Greuther Fürth hat es deswegen besonders getroffen, als sein Spieler Julian Green im DFB-Pokal beim Halleschen FC (1:0) als Affe beschimpft wurde. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen mit Rassismus und erklärt, warum die Fürther in Halle nicht den Platz verlassen haben.
MOPO: Herr Azzouzi, bevor wir sportlich werden: Wie haben Sie die Beleidigung gegen Julian Green erlebt?
Rachid Azzouzi: Es ist während des Spiels passiert, das kam von einer Person, die das gleich mehrfach gesagt hat.
Sie haben in der Vergangenheit gesagt, in solchen Fällen müssten Spiele abgebrochen werden. Warum hat die Mannschaft nicht den Platz verlassen?
Jule (Green, d. Red.) wollte die Mannschaft nicht in die Bredouille bringen, er wollte weiterkommen. Deswegen hat er nichts unternommen. Wir haben ihm aber gesagt, dass es wichtig ist, sich zu positionieren, weil schweigen einfach der verkehrte Weg ist. Ich finde, man sollte diesen Menschen zwar keine Plattform geben. Man darf es aber auch nicht totschweigen und die Klappe halten. Deswegen war es wichtig, dass wir uns in Person unseres Trainers so klar positioniert haben (Alexander Zorniger hielt auf der Pressekonferenz eine Brandrede gegen Rassismus, d. Red.).
Beleidigung gegen Julian Green: „Diese Menschen wissen gar nicht, was sie damit bewirken“
Sie hätten es also befürwortet, wenn Julian Green das Zeichen gegen Rassismus über den Ausgang des Spiels gestellt hätte?
Ja, ganz klar. Deswegen war ich auch nach dem Spiel trotz des Weiterkommens gar nicht so glücklich. So ein Erlebnis steht über jedem Ergebnis.
Wie geht es Julian Green?
Er ist ein Typ, der gewisse Dinge nicht an sich heranlässt. Nichtsdestotrotz trifft es ihn. Jeder, der sagt, dass das nichts mit ihm mache, der lügt. Diese Menschen wissen gar nicht, was sie damit bewirken. Für die sind es nur ein paar Worte. Aber als Betroffener muss man sein ganzes Leben damit klarkommen.

Welche Erfahrungen haben Sie selbst mit Rassismus gemacht?
Ich bin ja schon sehr, sehr lange im Fußballgeschäft und habe solche Aussagen als Spieler, aber auch als Funktionär am eigenen Leib erlebt. Besonders in jungen Jahren. Du kriegst subtil immer verdeutlicht, dass du nicht ganz dazu gehörst, dass du trotz allem anders bist. Das ist in der Schule so gewesen und hat sich durchgezogen. Wenn Sie irgendwann so weit sind, dass Sie bei der Wohnungssuche sagen: „Schatz, bitte ruf du an und melde dich mit deinem Namen und nicht mit Azzouzi“ – dann weißt du Bescheid. Ich habe natürlich auch sehr viele nette Menschen kennengelernt, denen es egal war, wo ich herkomme. Aber genauso erlebst du als Migrant immer wieder diese Stiche. Das fühlt sich schlimm an.
Rassismus in Deutschland: Azzouzi vermisst Gegenwehr
Manche sagen, es sei hoffnungslos mit Menschen zu reden, die Dinge sagen wie am Wochenende in Halle. Ist das so?
Wenn reden hoffnungslos ist, dann können wir einpacken in der Demokratie. Aber ich glaube nicht, dass du viel bewirkst bei Menschen, die diese Einstellung haben. Es geht darum, dass die Mehrheit, die andere Werte vertritt, laut ist und sich dagegen wehrt. Und das vermisse ich etwas. Wir dürfen es nicht über uns ergehen lassen, dass diese Minderheit noch mehr Zulauf erhält. In Deutschland sollte man aus der Geschichte heraus sensibel reagieren und die richtigen Maßnahmen treffen. Das sehe ich gerade nicht genug.
Wie wichtig ist es Ihnen, in einem Verein zu arbeiten, in dem Sie sich so eindeutig positionieren können?
Sehr wichtig. Ich glaube, ich könnte in keinem Verein arbeiten, in dem das anders wäre. In der Bundesliga hat sich sehr viel getan, aber natürlich gibt es weiterhin Standorte, die noch nicht so weit sind. Ich bin total stolz darauf, dass ich bei einem Verein wie St. Pauli arbeiten konnte und jetzt bei der SpVgg Greuther Fürth sein kann, wo es überhaupt keine zwei Meinungen zu Rassismus gibt.

Lassen Sie uns über das Sportliche sprechen. Vor fast genau einem Jahr trafen beide Mannschaften mit jeweils anderem Trainer und in einer tabellarisch kritischen Situation aufeinander. Was ist seitdem richtig gelaufen in Fürth?
Wir haben mit dem Aufstieg in die Bundesliga und dem darauffolgenden Abstieg zehn Stammspieler verloren. Das ist so in Fürth, weil es uns zu unserer Philosophie gehört, mit jungen, entwicklungsfähigen Spielern zu arbeiten, die irgendwann den nächsten Schritt machen. Diese Fluktuation mussten wir trotzdem auffangen und die Negativität aus vielen Niederlagen im Bundesliga-Jahr kompensieren. Das war eine Stimmungslage, die nicht förderlich war. Wir haben danach Zeit gebraucht und einen Trainerwechsel. Unter Alexander Zorniger ist die Entwicklung gut. Wir haben versucht, uns zur neuen Saison nicht zu sehr zu verändern und eine super spannende Mannschaft: Im ersten Ligaspiel gegen Paderborn hatten wir fünf Spieler unter 23 Jahren in der Startelf; wir haben aber auch drei, vier Jungs, die erfahren sind und das Herzstück bilden. Ich glaube, das ist eine sehr gute Mischung.
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Und wie nehmen Sie die Entwicklung bei St. Pauli wahr?
Sehr, sehr gut. Wer etwas anderes erzählt, versucht es kleinzuhalten. Fabian Hürzeler macht es im Verbund mit Andreas Bornemann sehr gut. Ich habe immer gesagt, dass unter Timo Schultz nicht alles schlecht war, sondern in vielen Bereich sogar sehr gut. Aber sie haben zu viele Gegentore bekommen, das hat Fabian Hürzeler abgestellt. Sie spielen einen sehr reifen Fußball, haben eine sehr reife Mannschaft. St. Pauli hat sich in den letzten Jahren wirtschaftlich so aufgestellt, dass der Verein zu den Big Playern in der zweiten Liga gehört und den Anspruch haben kann, aufzusteigen. Aber dazu braucht es mehr als einen großen Geldbeutel. Man sieht ja am HSV, wie oft sie es schon erfolglos probiert haben, obwohl sie einen der besten Etats haben. Wenn man aber wie St. Pauli eingespielt ist, ist das ein riesiges Plus. Dazu braucht es ein bisschen Glück und keine Verletzungen.
Und wer steigt nun auf?
Naja: Zwei auf jeden Fall und der dritte muss in die Relegation (lacht). Nein, im Ernst: Ich kann es Ihnen nicht sagen. Ich könnte es mir super einfach machen und sagen: HSV, Schalke und St. Pauli oder Hertha gehen in die Relegation. Und ich garantiere Ihnen, dass es am Ende doch nicht so kommen wird.