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  • Foto: imago images/Jan Huebner

Der neue Spirit: Warum Würzburg für St. Pauli der Wendepunkt war

Auswärtsmacht. So weit ist es schon gekommen. St. Pauli sorgt in fremden Stadien für Angst und Schrecken – und das nicht mehr bei sich selbst und dem eigenen Anhang, sondern beim Gegner. Es ist das neueste Kapitel in dieser verrückten Geschichte, in der die Kiezkicker von Sieg zu Sieg eilen, in der Tabelle klettern und ihren Status als beste Rückrundenmannschaft ausbauen. Wann nahm dieser wunderbare Wahnsinn seinen Anfang? Der kommende Gegner war dabei im Spiel. An einem Abend, der Weichen gestellt hat. Für diese Saison. Bestenfalls darüber hinaus.

Wer dieser Tage mit dem Präsidenten des FC St. Pauli über den Höhenflug der Kiezkicker, die furiose sportliche Auferstehung aus dem finsteren Tabellenkeller, das tiefe Tal rund um den Jahreswechsel, den begeisternden Fußball unter dem Trainer-Eigengewächs Timo Schultz und eine vielversprechende Zukunft sprechen will, der wird auf einen Tag im Januar dieses Jahres verwiesen. Da sei alles gesagt worden, was gesagt werden muss zu alledem. Mehr, sagt Oke Göttlich, habe er derzeit verbal nicht beizutragen, weist jedoch wiederholt auf die Bedeutung des besagten Tages hin.

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Die Rede ist vom 6. Januar, einem kalten Mittwoch im Stadion am Dallenberg, offiziell Flyeralarm Arena. An diesem Abend trat der Tabellen-17. St. Pauli zum Nachholspiel bei Schlusslicht Würzburger Kickers an. Alles andere als ein Dreier, so die einhellige Meinung: eine Katastrophe. Nach umkämpften und phasenweise dramatischen 90 Minuten endete die Partie 1:1.

Ein Punkt für die Moral, der bei St. Pauli viel bewegte

Viel zu wenig für die Mannschaft, die seit September schon sieglos war. Eigentlich. Aber St. Pauli hatte Moral bewiesen, sich nach einem frühen 0:1-Rückstand und 50 Minuten in Unterzahl einen „goldenen Punkt“ für „die Moral“ erkämpft, so Schultz später. Unter maximalem Druck mit dem Rücken zur Wand hatten sich die Kiezkicker leidenschaftlich gegen die drohende Niederlage gestemmt, in der Halbzeitpause und nach dem Spiel einen ganz besonderen Spirit entwickelt.

Auf dem Papier sieht das Remis in Würzburg in der reinen Chronologie der Saisonspiele auch heute noch wie ein weiterer Rückschlag aus. Tatsächlich aber gilt es vielen im Verein im Kontext als ein Meilenstein dieser Spielzeit, wenn nicht gar als der Wendepunkt.

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Wenn das 1:2 in Braunschweig der „Tiefpunkt“ war, wie Schultz kürzlich sagte, dann war Würzburg der Aufbruch. Vielleicht so etwas wie eine Initialzündung, ein Urknall, nicht nur sportlich. Man kann das für übertrieben halten, sollte aber bedenken, das Göttlich noch heute auf seine Botschaften von damals verweist.

Denkwürdig war nämlich auch das TV-Interview des Präsidenten, der nach dem zwölften Spiel ohne Sieg – ein neuer Negativ-Rekord im Unterhaus für St. Pauli – kämpferische Worte sprach, sich dabei in Rage redete und dem Trainer, dem die Ergebnisse fehlten, demonstrativ den Rücken stärkte.

Göttlich und sein klares Ja zu Trainer Timo Schultz

„Wir gehen den Weg mit Timo Schultz unbeeindruckt weiter“, wiegelte Göttlich fast wütend damals jede Trainerdiskussion ab. Es gehe auch gar nicht um Schultz. „Es geht um Leidenschaft, um das, was auf dem Feld passiert, und darum, dass der FC St. Pauli mehr aus seinen Möglichkeiten macht – mit Timo Schultz.“

Die zweite zentrale Botschaft von Göttlich war nicht minder wichtig. „Wir sehen, dass wir gewisse Dinge verändern müssen, auch mit kompromisslosen Entscheidungen, für die wir gerne auch kritisiert werden.“ Das „gerne“ war Sarkasmus.

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Zum damaligen Zeitpunkt stand die sportliche Leitung und auch die Vereinsführung massiv unter Beschuss, nachdem die langjährige und bei vielen Fans beliebte Nummer eins Robin Himmelmann, aus dem Tor genommen und dann auch noch aus dem Kader  beordert worden war. Und Göttlich sagte: „Das halten wir weiter aus, und wir werden sie weiter treffen.“ Gemeint waren die kompromisslosen Entscheidungen.

Nicht nur die Mannschaft rückte in diesen Tagen und speziell an diesem Abend in Würzburg enger zusammen, wurde zusammengeschweißt, sondern auch Schultz, Sportchef Andreas Bornemann und Göttlich. Eine gewisse Wagenburgmentalität war fortan zu spüren und die phasenweise fast trotzig und manchmal selbstgerecht wirkende Überzeugung, das Richtige zu tun und den Shitstorm im Dienste des großen Ganzen aushalten zu müssen.

St. Pauli holte aus den letzten 14 Spielen zehn Siege

Der sportliche Erfolg der letzten Monate gibt ihnen recht. Die Bilanz vor Würzburg: 13 Spiele mit nur einem Sieg, fünf Remis und sieben Niederlagen. Auf das 1:1 folgten 14 Spiele mit zehn Siegen, zwei Remis und nur zwei Niederlagen. Sonntag kommen die Kickers zum Rückspiel. Würzburg ist noch immer Letzter. St. Pauli Achter.

Den neuen Spirit will man sich weiter bewahren beim FC St. Pauli. In der Mannschaft. Aber auch auf der Führungsebene.

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