„Das hat mit Fankultur nichts zu tun“: St. Pauli und die Folgen der Schande
Wenn die Tribüne eines Fußballstadions mit Fug und Recht als Tatort bezeichnet werden kann, dann sagt das eigentlich schon alles. Die gewalttätigen Angriffe von Anhängern des FC Hansa Rostock beim Nordderby gegen den FC St. Pauli am Millerntor sprengten jede Dimension. Mehr denn je stellt sich die Frage, wie schwere Eskalationen in den Stadien zu verhindern sind und auch bestraft werden sollen.
Wenn die Tribüne eines Fußballstadions mit Fug und Recht als Tatort bezeichnet werden kann, dann sagt das eigentlich schon alles. Die gewalttätigen Angriffe von Anhängern des FC Hansa Rostock beim Nordderby gegen den FC St. Pauli am Millerntor sprengten jede Dimension. Mehr denn je stellt sich die Frage, wie schwere Eskalationen in den Stadien zu verhindern sind und auch bestraft werden sollen.
Für Oke Göttlich ist eindeutig eine Grenze überschritten worden – weit. „Das sind schlichtweg kriminelle Handlungen, die polizeilicher Ermittlungen bedürfen“, stellt der St. Pauli-Präsident im Gespräch mit der MOPO klar. „Wir sind sehr froh, dass nicht noch mehr Menschen zu Schaden gekommen sind.“
Vor Beginn der zweiten Halbzeit des Risikospiels hatten Anhänger im Gästeblock der Nordtribüne im Zuge einer umfangreichen Pyro-Aktion auch Raketen in Richtung der Heim-Blöcke der Nordtribüne geschossen und zahlreiche Böller geworfen, die bei einer Begehung der Tribüne am Montagmorgen gefunden und sichergestellt wurden.
Rostock bewaffneten sich mit Toiletten-Trümmern
Krasser: Hansa-Chaoten hatten sanitäre Anlagen im Gästebereich zerstört, sich mit Bruchstücken der Waschbecken und sogar Toiletten bewaffnet und die zum Teil scharfkantigen Keramikteile als Wurfgeschosse benutzt, die in Richtung von Ordnern auf dem Rasen und auf benachbarte Heimfans auf der Nord- und auch Haupttribüne geworfen wurden. So etwas sei bis dato „nicht vorstellbar“ gewesen, so Göttlich. Hansa-Vorstand Robert Marien sprach klar von „Gewalt“.
Ein Ordner wurde schwer getroffen und musste mit einer Platzwunde ins Krankenhaus, ein Fan wurde durch einen Böllerwurf verletzt. Weitere Fälle sind bislang nicht bekannt.
Polizei hat mehrere Ermittlungsverfahren eingeletet
Die Polizei hat nach eigenen Angaben „mehrere Ermittlungsverfahren, unter anderem wegen Körperverletzungsdelikten, Sachbeschädigung im Stadion und in den U-Bahnen sowie des Abbrennens von Pyrotechnik eingeleitet“.
Der massive Einsatz von Pyrotechnik im Gästeblock warf schnell kritische Fragen nach der Qualität der Einlasskontrollen auf, für die der FC St. Pauli verantwortlich ist. Nach Polizeiangaben hatte es jedoch vor der Partie einen sogenannten Blocksturm gegeben, bei dem „schätzungsweise bis zu 500 Gästefans unkontrolliert ins Stadion gelangen konnten“. Eine gängige Taktik, um auswärts verbotenes Material in den Block zu bringen.
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Eklatant: Während und unmittelbar nach den Wurf-Attacken auf Heim-Fans war im etwa 3000 Mann starken Gästeblock keinerlei Distanzierung oder Abgrenzung zu erkennen. Vielmehr wurde die Halbzeitaktion, durch die sich der Wiederanpfiff um fast zehn Minuten verzögerte, nahezu kollektiv abgefeiert. Deshalb greift es zu kurz, wenn Hansa-Boss Marien die Zahl der Problem-Personen auf „50 Leute“ begrenzt. Die Duldung oder Billigung der Masse ist ein entscheidender Faktor.
Rostock droht ein Auswärtsfan-Verbot
Eine saftige Geldstrafe durch den DFB ist Hansa Rostock sicher. Denkbar ist auch, dass Hansa ein oder mehrere Auswärtsspiele ohne mitreisende Fans bestreiten muss.
Nach Meinung von Göttlich reichen die derzeit gängigen Sanktionsmittel nicht mehr aus. Bereits am Sonntagabend brachte er im NDR-„Sportclub“ einen Punktabzug für Vereine nach gravierenden Gewalt-Vergehen der Fans ins Spiel. In der MOPO bekräftigt er dies. „Man muss darüber nachdenken und diskutieren, ob ein Punktabzug ein geeignetes Mittel der Sanktionierung und vor allem der Abschreckung sein kann.“ Zugleich betont Göttlich: „Entscheidend ist dabei die Frage: Handelt es sich um Fußballfans mit einer Neigung zu Gewalt oder um Gewalttäter, die sich das Fußballstadion als Bühne ausgesucht haben. Ist Letzteres der Fall, helfen auch Punktabzüge nicht.“
St. Pauli beziffert Sachschade auf mittleren fünfstelligen Betrag
Auch der Sachschaden am Millerntor, den die Rostocker Randalierer verursacht haben, ist erheblich. Toiletten im Gästebereich wurden demoliert und verwüstet. St. Pauli spricht von einer Schadenssumme in „mittlerer fünfstelliger Größenordnung“, die der Verein dem FC Hansa in Rechnung stellen werde. Zudem wurde ein Strafantrag gestellt. Im Gästeblock fanden sich nach Vereinsangaben auch „Dutzende“ homophobe, nationalistische und rechtsradikale Sticker, die entfernt wurden und zeigen, welches Klientel sich dort aufhielt und sein Unwesen trieb.
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Göttlich, der den „guten und konstruktiven Austausch mit Hansa Rostock vor und nach“ dem Nordderby lobt, stellt nach den Vorfällen klar: „Das hat mit Fankultur überhaupt nichts mehr zu tun und schadet all jenen, die sich um Fankultur bemühen.“