Alexander Blessin konnte seinen Ärger gegenüber den Schiedsrichtern nach Spielende auch nicht verbergen.

Alexander Blessin konnte seinen Ärger gegenüber den Schiedsrichtern nach Spielende auch nicht verbergen. Foto: WITTERS

„Beschissener Tag!“ St. Pauli verpasst Rettung nach Wut-Ende und verliert Spieler

Die Emotionen kochten hoch, sie kochten über, Sicherungen brannten durch und in der hitzigen und giftigen Schlussphase explodierte das Millerntor. Der FC St. Pauli hat den vorzeitigen Klassenerhalt auf dramatische Weise verpasst. Beim 0:1 (0:0) gegen den VfB Stuttgart verloren die Kiezkicker mehr als nur Punkte, sondern auch Spieler. Das späte Gegentor – ein Tiefschlag. Dazu zwei Platzverweise und eine neue Verletzung. Vor allem die Tatsache, dass der überragende Torwart Nikola Vasilj nach seinem umstrittenen Gelb-Rot in der Nachspielzeit für ein Spiel gesperrt ist, trifft die Braun-Weißen hart. Ein schwarzer Tag, was ein Feiertag sein sollte.

Ein Remis hätte zur Rettung gereicht, die zwar nicht rechnerisch wasserdicht gewesen wäre, aber angesichts eines 17 Treffer besseren Torverhältnisses gegenüber Heidenheim auf Relegationsplatz 16 quasi den Klassenerhalt bedeutet hätte. Immerhin behauptete St. Pauli trotz der schmerzhaften Niederlage Platz 14, weil Hoffenheim in einem ebenfalls turbulenten Spiel in der Nachspielzeit den 4:4-Ausgleich gegen Gladbach kassierte. Fünf Punkte beträgt der Vorsprung auf Heidenheim bei noch zwei Spielen gegen Frankfurt und Bochum.

St. Paulis Treu: „Müssen kühlen Kopf bewahren“

„Das war einfach irgendwie ein beschissener Tag heute, aber wir müssen jetzt einen kühlen Kopf bewahren“, sagte Phillip Treu, bester St. Paulianer nach dem überragenden Vasilj, und versuchte schon in den Katakomben des Stadions, das auch lange nach Spielende noch brodelte, Zuversicht zu demonstrieren und positiv nach vorne zu schauen. „Wir haben jetzt noch zwei weitere Matchbälle und sind trotzdem in einer super Ausgangslage.“

Dennoch: Die Niederlage tat und tut richtig weh, den Spielern und den Fans. „Das ist schwer zu verdauen“, sagte ein niedergeschlagener Eric Smith, der in Abwesenheit des verletzten Jackson Irvine wieder die Kapitänsbinde getragen hatte. „Wenn das Gegentor so spät fällt, du einen Elfmeter und eine Rote Karte kassierst, fühlt es sich natürlich sehr hart an. Wir haben heute nicht unser Höchstlevel erreicht und waren einfach nicht gut genug.“

Stuttgart war St. Pauli überlegen

Die Statistik untermauerte das, was gerade in der zweiten Halbzeit deutlich sichtbar war. 6:21 Torschüsse, 30:70 Prozent Ballbesitz, 46:54 Prozent gewonnene Zweikämpfe, 30:70 Prozent gewonnene Kopfballduelle.

„Es war heute nicht unsere beste Leistung, sie war aber okay und hätte für einen Punkt reichen können“, bilanzierte Trainer Alexander Blessin, dessen Mannschaft nur in der Anfangsphase die bessere gewesen war und schon nach 36 Sekunden die erste Großchance durch Noah Weißhaupt hatte. Der war nur in die Startelf gerutscht, weil sich Elias Saad beim Aufwärmen verletzt hatte. Adduktoren. Er droht für die restlichen zwei Saisonspiele auszufallen. Ein bitterer Verlust schon vor dem Anpfiff.



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Erster Knackpunkt der Partie: Der Platzverweis gegen St. Paulis linken Innenverteidiger Siebe Van der Heyden, der einen Schuss des Stuttgarters Nick Woltemade im eigenen Strafraum im Fallen mit der Hand blockte. Absicht? Schiedsrichter Dr. Florian Exner, der von Anfang an einen unsicheren Eindruck machte, entschied nach Ansicht der Videobilder auf Elfmeter und Gelb-Rot für den Belgier (57.). St. Pauli war nun in Unterzahl, was sich im Spiel mit und gegen den Ball bemerkbar machte. „Nach dem Platzverweis war es natürlich brutal schwierig“, betonte Carlo Boukhalfa.

Vasilj parierte Woltemade-Elfmeter

Helden-Auftritt Vasilj: St. Paulis Elfer-Killer parierte Woltemades Strafstoß – und damit schon den vierten in dieser Saison. Eine Heldentat, die einen Punkt verdient gehabt hätte, aber längst nicht die einzige. Der bosnische Nationalkeeper lieferte zahlreiche Klasseparaden ab, sodass sogar VfB-Keeper Alexander Nübel nach der Partie lobte: „Niko macht ein Welt-Spiel!“

Drama inklusive. Und was für eines! Denn in der Nachspielzeit kassierte Vasilj die Gelb-Rote Karte (90.+7), weil er Referee Exner zunächst vehement auf das Stuttgarter Zeitspiel vor einem Eckball hingewiesen hatte. Dieser zeigte dem St. Pauli-Schlussmann dafür die Gelbe Karte, ohne aber auf das VfB-Zeitspiel einzugehen und es zu ahnden. Nachdem Vasilj in der emotionalen Ausnahmesituation für die Verwarnung den Daumen hochreckte, zückte Exner sehr schnell Rot hinterher. Der überragende Torhüter war außer Rand und Band und nur mit vereinten Kräften seiner Mitspieler zu beruhigen und davon abzuhalten, dem Schiedsrichter auf die Pelle zu rücken.

Kollektive Wut im Stadion über eine Entscheidung, die nach dem Regelbuch korrekt gewesen sein mag, aber ohne jedes Gefühl für die Situation war, wie viele St. Pauli-Spieler und auch Verantwortliche später monierten.

St. Pauli muss in Frankfurt Stammspieler ersetzen

Bittere und nachhaltige Konsequenz: Vasilj und Van der Heyden sind im kommenden Auswärtsspiel bei Eintracht Frankfurt gesperrt. Vor allem der Ausfall der Nummer eins, die in dieser Saison bislang jedes Spiel absolviert und oftmals einer der besten oder sogar der beste St. Paulianer gewesen war, ist ein schwerer Schlag. Nun wird der in der Nachspielzeit eingewechselte Ben Voll zwischen die Pfosten rücken.

Knackpunkt Nummer zwei der Partie ereignete sich zehn Minuten vor der emotionalen Eskalation. Das schön herauskombinierte 0:1 durch Woltemade war eine eine eiskalte Dusche (88.) für das braun-weiße Kollektiv auf dem Rasen und den Rängen. „So kurz vor Schluss nach 30-minütiger Unterzahl zu verlieren, ist schon extrem bitter“, beschrieb der starke Abwehrchef Hauke den Wirkungstreffer, nach dem sich seine Mannschaft zwar noch einmal aufgebäumt hatte, ohne aber zu einer Großchance zu kommen.

St. Pauli glaubt an Rettung in den letzten beiden Spielen

„Es fühlt sich scheiße an“, bekannte Weißhaupt nach der hochemotionalen und turbulenten Schlussphase. Boukhalfa haderte nach der ersten Niederlage nach zuvor vier unbesiegten Duellen in Folge: „Das ist brutal frustrierend.“ 

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Jetzt gilt es, sich schnell wieder aufzurichten. Blessin fing schon kurz nach dem Spiel damit an. „Ich habe eine Mannschaft gesehen, die sich aufopferungsvoll gewehrt und alles versucht hat“, sagte der Coach und zollte seinen Spielern „größten Respekt“. Sein Zorn über die Schiedsrichterleistung war ihm anzumerken, aber er hielt seine Emotionen im Zaum. „Es bringt jetzt nichts, sich darüber totzureden. Heute können wir uns ärgern. Morgen geht der Blick auf Frankfurt und dort wollen wir dann die nötigen Punkte holen.“ Smith verkündete trotz finsterer Miene: „Wir haben jetzt noch zwei Finals und freuen uns darauf.“ Ein bisschen Wut im Bauch kann auch zusätzlicher Treibstoff sein. Aber im Saisonfinale braucht St. Pauli neben einem heißen Herzen wieder einen kühlen Kopf.

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