„Auf einem anderen Planeten!“ St. Pauli feiert Klassenerhalt mit Bässen und Pizza
Aus der Gästekabine des Frankfurter Stadions dröhnte Musik, die Kiezkicker belohnten sich mit Pizza und feierten ihren Coup beim Champions-League-Anwärter. Klassenerhalt! Der FC St. Pauli bleibt in der Bundesliga. Zwar noch nicht mathematisch gesichert, aber nach dem gesunden Menschenverstand. Mit einem leidenschaftlich erkämpften und auch bei den Toren starke herausgespielten 2:2 (1:2) beim Tabellendritten Eintracht Frankfurt krönte der Aufsteiger eine beeindruckende Saison.
Der Jubel nach dem Abpfiff sprach Bände. Erleichterung, Freude, Stolz. Den Vorsprung von drei Punkten und 13 Toren auf den Relegationsplatz werden sich die Braun-Weißen nicht mehr nehmen lassen. Das Saisonfinale gegen Bochum wird zur großen Millerntor-Party. Ein Feiertag.
St. Pauli feiert in Frankfurt Quasi-Klassenerhalt
Glück hat viele Gesichter. Völlig platt und auf staksigen Beinen, aber mit einem Grinsen von einem Ohr zum anderen kam Kapitän Eric Smith eine Viertelstunde nach Spielende in die Mixed Zone. „Als der Schiedsrichter abgepfiffen hat, war es das beste Gefühl der Welt“, sagte der St. Paulis Stratege nach dem Kraftakt, einem verrückten Spiel vor 58.000 Zuschauenden im ausverkauften Deutsche Bank Park. „Ich habe mich gefühlt wie auf einem anderen Planeten, das war eigentlich auch die letzten 20 Minuten des Spiels schon so. Ich habe meine Beine fast gar nicht mehr gespürt. Ich hatte keine Kraft mehr und ich glaube, so ging es jedem von uns. Aber wir sind mit Willen und Einstellung weitergelaufen. Ich könnte nicht stolzer auf jeden in diesem Verein sein, auf das, was wir dieses Jahr erreicht haben.“

Ein Quasi-Klassenerhalt mit Sternchen. Sich den entscheidenden Punkt beim Tabellendritten zu schnappen, bei einem der heimstärksten Teams, das in diesem Spiel auch noch die Chance hatte, sich mit einem Sieg für die Königsklasse zu qualifizieren – das sagt einiges darüber aus, wie weit sich der Liga-Neuling in der Saison entwickelt hat. Und wenn man auch noch bedenkt, wie viele Spieler in den letzten Wochen weggebrochen sind – die verletzten Jackson Irvine und Elias Saad oder der gegen Frankfurt gesperrte Torhüter Nikola Vasilj – dann spricht das auch für den starken Charakter des Teams.
Präsident Oke Göttlich: „Das ist einfach sensationell!“
„Das ist einfach sensationell“, schwärmte Präsident Oke Göttlich nach der Partie. „Wir haben uns vorgenommen, in dieser Liga zu bleiben. Und es sieht danach aus. Diese Liga ist der absolute Hammer und wir ziehen auch das letzte Spiel noch durch und das Torverhältnis sieht gut für uns aus.“ Ben Voll, der Vasilj hervorragend vertreten hatte, meinte: „Es müsste schon mit dem Teufel zugehen.“
Mit dem Remis, das zweifellos den Wert eines Sieges hatte, zogen die Hamburger wieder an Hoffenheim vorbei und kletterten mit nun 32 Punkten auf Tabellenplatz 14. Nach dem Schlusspfiff stürmte die Mannschaft in die Kurve, feierte mit den rund 6000 mitgereisten Fans, die ihre Mannschaft bedingungslos angefeuert und über einige schwierige Phasen im Spiel getragen hatten.

Mentale Stärke – das war das Überthema des Wochenendes. St. Pauli musste auf seine gesperrte Nummer eins und verzichten, stand zudem unter Druck, weil die anderen Spiele des Wochenendes gegen die Hamburger gelaufen und sie nach dem klaren Sieg von Heidenheim in Berlin am Samstag unter Zugzwang geraten waren. Und dann auch noch dieser Start…
Saliakas und Guilavogui drehen frühe Eintracht-Führung
Mit einem regelrechten Schock hatte das Spiel bei sommerlichen Temperaturen für die Gäste begonnen. Kristensen hatte die Eintracht schon nach 20 Sekunden in Führung und die Arena zum Kochen gebracht. Doch der clevere Schlenzer von Manolis Saliakas über Frankfurt-Keeper Trapp hinweg in die Maschen brachte St. Pauli wieder in die Spur (4.) und nach einer guten Viertelstunde schoss Morgan Guilavogui nach einem überragend geistesgegenwärtigen und zielgenauen Abschlag von Voll an die Mittellinie und anschließendem Vollsprint eiskalt zur 2:1-Führung ein (16.). Spiel gedreht, Publikum schock-gefrostet. Fast im Stil einer Spitzenmannschaft.
Es war klar, dass Frankfurt in der zweiten Halbzeit den Druck erhöhen und bei den Kiezkickern die Kräfte schwinden würden, aber mehr als den Ausgleich des eingewechselten Batshuayi (71.) ließen die mit Mann und Maus verteidigenden „Boys in Brown“, die im Laufe des zweiten Durchgangs auch noch nach und nach die angeschlagenen Philipp Treu, Lars Ritzka und Morgan Guilavogui ersetzen mussten, nicht zu.
Symbolhaft. Ein Erfolg des Kollektivs, in dem jeder für jeden kämpft und Ausfälle aufgefangen werden. Ein Erfolg der Qualität und Mentalität. Sinnbildlich für die gesamte Saison.
„Alles in allem vermissen wir fünf oder sechs Stammspieler. Das ist dann natürlich eine harte Aufgabe, gegen ein Topteam zu spielen, für das es auch noch um etwas geht“, betonte Smith. „Unglaublich. Ich bin super-stolz auf die Jungs, die nicht so viel gespielt haben und dann reinkommen und übernehmen. Die keine Angst vor dem Moment haben. Ich könnte nicht stolzer sein. Aber jetzt will ich mit allen feiern.“ In der Kabine und im Flieger zurück nach Hamburg. Der Großteil der Fans reiste mit dem Sonderzug, darunter einige Vereinsverantwortliche wie Präsident Göttlich.
Trainer Blessin: „Das war ein Big Point“
Trainer Alexander Blessin, ein Vater des Erfolges, wollte Gratulationen zum Klassenerhalt noch nicht so richtig annehmen. „Wir nehmen den Punkt sehr gerne. Es war ein großer Schritt. Rechnerisch ist noch was möglich, aber das war ein Big Point.“ Während die meisten seiner Spieler nach dem Schlusspfiff die Arme empor gerissen hatten und sich in die Arme gefallen waren, schien der Coach in dem Moment des Spielendes eher in sich zusammengefallen zu sein. Überschäumende Freude? Fehlanzeige. Dagegen krasser Druck-Abfall. „Da brechen innerlich alle Dämme. Ich war auch einfach nicht mehr so fit, dass ich ausbreche. Das kommt vielleicht nächste Woche.“
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Im Saisonfinale im eigenen Stadion wollen die Kiezkicker den Klassenerhalt mit dem neunten Saisonsieg und dann 35 Punkten krönen. Das ist das erklärte und auch klare Ziel. „Wir wissen alle, dass es im Groben jetzt geschafft ist. Es fällt jetzt schon eine Last von einem runter nach so einer langen Saison“, bekannt Treu, der während des Spiels Magenprobleme bekommen und sich in der Halbzeitpause sogar übergeben hatte. „Wir wollen trotzdem nächste Woche noch mal so einen runden Abschluss gegen Bochum haben, nochmal alles reinhauen und uns dann zuhause am Millerntor nochmal verabschieden, am besten mit einem Sieg.“
Präsident Göttlich kündigte im Hinblick auf den Bundesliga-Aufstieg des Lokalrivalen HSV tags zuvor an: „So feiern wie die Blau-Weißen können wir auch. Und das werden wir am nächsten Wochenende nachholen!“
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