Klassischer Pianist freut sich auf Konzert im Docks: „Das wird spannend für alle“
Rauskommen aus seiner künstlerischen Komfortzone? Leon Gurvitch (46) ist immer offen für Neues. Der umtriebige, in Belarus geborene Komponist, Pianist und Dirigent, seit 24 Jahren zu Hause in Hamburg, überschreitet gern mal Grenzen. Mit der MOPO sprach der international erfolgreiche Künstler über sein jüngstes Vorhaben, mit „Piano unplugged“ erstmals klassische Klaviermusik ins Docks am Spielbudenplatz zu bringen.
MOPO: Klassik im Kiez-Club – was hat Sie auf diese Idee zu diesem Event gebracht?
Leon Gurvitch: Na ja, der Versuch, Musik aus ihrer üblichen Umgebung rauszuholen, ist an sich nichts Ungewöhnliches. Rock- und Popbands spielen in klassischen Konzertsälen. Warum also sollte klassische Musik nicht ebenfalls an ungewöhnlichen Orten zu hören sein? Die Idee, im Docks aufzutreten, entstand durch ein Gespräch mit dem Chef des Musikclubs.
Und was steht nun auf dem Programm?
Ein unterhaltsamer Abend, der nicht nur für Klassikfans interessant sein dürfte. Ich spiele eigene moderne klassische Kompositionen, die eingängig, rhythmisch und melodisch sind, aber trotzdem anspruchsvoll. Zudem führe ich als Moderator durch das Programm. Es wird einen DJ geben, der später die Beats zu meiner Musik auflegt, und die Leute können sich während der gesamten Veranstaltung frei bewegen, tanzen, sich mit Getränken versorgen, miteinander ins Gespräch kommen.
Wie gespannt sind Sie selbst auf dieses Experiment?
Sehr. Ein Klavierkonzert in einer Location, die überhaupt nicht auf klassische Musik ausgerichtet ist, auf die Beine zu stellen, ist schon aufwendig und zeitintensiv. Zum einen, was die technische Vorbereitung und die Lichteffekte angeht. Und zum anderen, weil ich mich auf eine ganz andere Bühne einstellen muss. Das wird wirklich eine große Premiere, spannend für alle, die dabei sind.
Angst, dass es schiefgehen könnte, kennen Sie aber nicht?
Nein. Ich habe in meinem Leben immer schon Sachen gemacht, von denen andere dachten, sie können nicht funktionieren. Groß beispielsweise war die Skepsis, als ich mein Projekt „Silentium“ in der Elbphilharmonie zusammen mit dem Hamburger Kammerballett und dem Choreografen Edvin Revazov umsetzte – und dann war die Aufführung, die im Mai stattfand, in kürzester Zeit ausverkauft. Insofern bin ich auch jetzt zuversichtlich. Aber natürlich bereiten wir uns sehr gründlich vor und hoffen, dass viele Hamburgerinnen und Hamburger die Veranstaltung annehmen werden.
Was erhoffen Sie sich von diesem Sprung ins kalte Wasser?
Ich bin neugierig, wie klassische Musik in ungezwungener Club-Atmosphäre ankommt. Klassik muss ja nicht unbedingt in einem steifen Umfeld mit Krawattenzwang stattfinden. Vielen Leuten gefällt das. Das habe ich bereits erlebt, als ich vor einiger Zeit auf einem Festival spielte, das in einer Werft stattfand. Mit „Piano unplugged“ möchte ich herkömmliche Konzertformen hinterfragen und klassische Klaviermusik in einen Kontext stellen, der ihr neues Leben einhaucht. Ganz bewusst spricht dieses Programm ein urbanes junges, kulturhungriges Publikum an, das sich jenseits „akademischer“ Räume bewegt. Ihm möchten wir die Tür öffnen zu einer neuen Erfahrung des Musikhörens – intuitiv, direkt, sinnlich. Die Musik entfaltet sich nicht wie im Konzertsaal aus der Distanz. Sondern ohne Barriere zwischen Künstler und Publikum.
Wann standen Sie eigentlich das erste Mal im Rampenlicht?
Mit sechs Jahren habe ich zu musizieren angefangen. Als ich mein erstes Konzert gab, war ich sieben. Seitdem bin ich auf der Bühne. Meine Mutter, selbst Pianistin, schickte mich in Minsk auf eine Schule mit Schwerpunkt Musik, an der man viele Prüfungen ablegen, in Wettbewerben bestehen und sich eigentlich ständig beweisen musste.
Üben, üben, üben – fanden Sie das als Kind nicht schrecklich?
Geliebt habe ich es nicht. Aber danach wurden wir gar nicht gefragt. Wir Schüler hatten nur die Wahl, entweder das Pensum eisern durchzuziehen oder die Schule zu verlassen. Ich hielt durch, auch weil ich relativ früh neben der klassischen Ausbildung weitere Genres, vor allem den Jazz, entdeckte und merkte, wie viel Spaß ich am Improvisieren hatte.
2001 kamen Sie nach Hamburg. Um zu studieren?
Unter anderem. Tatsächlich war es so, dass viele junge Künstler und Studenten in den 90er Jahren aufgrund der politisch und wirtschaftlich angespannten Situation in Belarus überlegten, wie sie im Westen oder in Amerika studieren könnten. Denn große Perspektiven boten sich uns nicht. Um als Künstler weiterzukommen, braucht man die Freiheit, sich uneingeschränkt und ohne Angst ausdrücken zu können. Diese Freiheit aber vermisste und suchte ich. Natürlich war mir durchaus bewusst, dass der Neuanfang in einem fremden Land, ohne Unterstützung von Familie und Freunden, steinig sein würde. Und so war es auch.
Es hat eine ganze Zeit gedauert, bis ich in Hamburg, wo ich zunächst auf einem Flüchtlingsschiff in Altona und später in einem Wohnheim landete, aus der Misere herauskam. Doch ich hatte auch Riesenglück. Im Unterschied zu anderen Kollegen, die aus der Musikbranche ausscheiden und in andere Berufe wechseln mussten, war es immer die Musik, die mich auch in den allerschwierigsten Situationen gerettet hat. Glücklicherweise bin ich durch die strenge Schulzeit in Minsk so breit aufgestellt, dass ich auch nicht nur als Pianist und Komponist, sondern auch als Dirigent, Arrangeur, Big-Band- und Chorleiter arbeiten kann.
Freiheit ist ein Thema, das Sie auch künstlerisch beschäftigt …
Absolut. Meine Botschaft lautet, dass wir alle in Frieden und Freiheit leben wollen, was in der Kunst ja auch gut funktioniert. In meinem Ensemble treffen Musikerinnen und Musiker, egal welcher Nationalität, aufeinander und alle können sehr gut und ohne Konflikte miteinander umgehen. Unsere Sprache ist die Musik. Sie kann, neben ihrer Vorbildfunktion eines friedlichen Umgangs miteinander, vielleicht auch unsere Rettung sein – vor dem Gefühl, fremd zu sein, vor Ausgrenzung. Um Grenzüberschreitung und künstlerische Freiheit geht es letztendlich auch bei unserem Experiment im Docks – einem Abend für offene Ohren und offene Herzen.
Docks: 5.9., 20 Uhr, ab 28,50 Euro
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